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Artikel:Die polnische Frage: Unterschied zwischen den Versionen

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Die polnische Revolution fand im Jahre 1848 ihren eigentlichen Schau­platz in der preußischen Provinz Posen. Russisch-Polen lag seit 1831 unter den eisernen Griffen des Zarismus, und Österreichisch-Polen hatte sich noch nicht von dem Aufstande des Jahres 1846 erholt. Die für dieses Jahr auch in Preußisch-Polen geplante Erhebung war im Keime erstickt worden und hatte nur zu dem großen Polenprozesse geführt, der vom 2. August bis zum 17. November 1847 in Berlin verhandelt wurde und damit endete, daß 134 Angeklagte freigesprochen, 117 aber wegen schweren Landesverrats verurteilt wurden, darunter 8 zum Tode. Man hoffte am Hofe, daß nament­lich Mierosławski, das Haupt der prozessierten Polen, um Gnade bitten würde, doch erfüllte sich diese Hoffnung nicht. Gelassen erwartete Mierosławski seine Hinrichtung; „läßt man uns frei, so fangen wir wieder an, ich wenigstens ganz gewiß“. Er hatte im Moabiter Zellengefängnis seine Schrift: Debat entre la revolution et la contrerevolution en Pologne ge­schrieben, worin er die agrarisch-demokratische Revolution in Polen be­fürwortete und Polen als die Schutzwehr der westeuropäischen Zivilisation gegen die asiatische Despotie verherrlichte; in gleichem Sinne hatte er vor den gerichtlichen Schranken erklärt, Deutschlands Zukunft sei untrennbar von der Wiederherstellung der polnischen Macht, die allein das drohende Ungeheuer des Panslawismus niederwerfen könne.
Die polnische Revolution fand im Jahre 1848 ihren eigentlichen Schau­platz in der preußischen Provinz Posen. Russisch-Polen lag seit 1831 unter den eisernen Griffen des Zarismus, und Österreichisch-Polen hatte sich noch nicht von dem Aufstande des Jahres 1846 erholt. Die für dieses Jahr auch in Preußisch-Polen geplante Erhebung war im Keime erstickt worden und hatte nur zu dem großen Polenprozesse geführt, der vom 2. August bis zum 17. November 1847 in Berlin verhandelt wurde und damit endete, daß 134 Angeklagte freigesprochen, 117 aber wegen schweren Landesverrats verurteilt wurden, darunter 8 zum Tode. Man hoffte am Hofe, daß nament­lich Mierosławski, das Haupt der prozessierten Polen, um Gnade bitten würde, doch erfüllte sich diese Hoffnung nicht. Gelassen erwartete Mierosławski seine Hinrichtung; „läßt man uns frei, so fangen wir wieder an, ich wenigstens ganz gewiß“. Er hatte im Moabiter Zellengefängnis seine Schrift: Debat entre la revolution et la contrerevolution en Pologne ge­schrieben, worin er die agrarisch-demokratische Revolution in Polen be­fürwortete und Polen als die Schutzwehr der westeuropäischen Zivilisation gegen die asiatische Despotie verherrlichte; in gleichem Sinne hatte er vor den gerichtlichen Schranken erklärt, Deutschlands Zukunft sei untrennbar von der Wiederherstellung der polnischen Macht, die allein das drohende Ungeheuer des Panslawismus niederwerfen könne.


Es gehörte nun zu den ersten Akten der Berliner Märzrevolution, dem Könige die Begnadigung der verurteilten Polen zu entreißen. Sie wurden am 20. März von der begeisterten Menge in Moabit abgeholt und in einem großen Triumphzuge unter dem Wehen deutscher und polnischer Fahnen bis vor das Schloß geleitet. Im ersten und frischen Sturm der revolutionä­<36>ren Leidenschaft herrschte durchaus die richtige Empfindung vor, daß Polens Sieg Deutschlands Sieg, Polens Fall auch Deutschlands Fall sei; selbst das Frankfurter Vorparlament erklärte bei allem sonstigen Mangel an politischer Einsicht, daß die Wiederherstellung Polens eine heilige Pflicht der deutschen Nation sei. Die Wiederherstellung Polens war im Wesen der Dinge aber nichts anderes als ein Kampf mit Rußland auf Leben und Tod, und so konfus Friedrich Wilhelm IV. sonst sein mochte, so stellte er die Frage doch in aller Klarheit und Schärfe, als ihn am 24. März eine Deputation aus der Provinz Posen mit dem Erzbischofe Przyluski an der Spitze aufsuchte.
Es gehörte nun zu den ersten Akten der Berliner Märzrevolution, dem Könige die Begnadigung der verurteilten Polen zu entreißen. Sie wurden am 20. März von der begeisterten Menge in Moabit abgeholt und in einem großen Triumphzuge unter dem Wehen deutscher und polnischer Fahnen bis vor das Schloß geleitet. Im ersten und frischen Sturm der revolutionä­<36>ren Leidenschaft herrschte durchaus die richtige Empfindung vor, daß Polens Sieg Deutschlands Sieg, Polens Fall auch Deutschlands Fall sei; selbst das Frankfurter Vorparlament erklärte bei allem sonstigen Mangel an politischer Einsicht, daß die Wiederherstellung Polens eine heilige Pflicht der deutschen Nation sei. Die Wiederherstellung Polens war im Wesen der Dinge aber nichts anderes als ein Kampf mit Rußland auf Leben und Tod, und so konfus Friedrich Wilhelm IV. sonst sein mochte, so stellte er die Frage doch in aller Klarheit und Schärfe, als ihn am 24. März eine Deputation aus der Provinz Posen mit dem Erzbischofe Przyluski an der Spitze aufsuchte.
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Die nächste Wirkung dieser Verfolgungen war, daß die deutschen Hand­werksburschen in hellen Haufen in ihre Heimat zurückkehrten und daß in deutschen Städten verboten wurde, nach Polen auszuwandern. Die Ent­völkerung der Städte hatte allerdings für den Adel ihre unangenehme Seite, und so ergingen zwischenein auch gesetzliche Bestätigungen der Zunftorganisation und des Zunftzwanges, doch waren die verbietenden Gesetze auf die Dauer zahlreicher und in jedem Falle wirksamer als die schützenden. Das letzte tat dann die Auslieferung der Städte an die Sta­rosten, die eigentlich nur die militärische Verteidigung leiten sollten, aber sich bald der Kriminaljustiz, der Polizeigewalt und überhaupt der ganzen städtischen Verwaltung bemächtigten, um den Städten Blut und Mark auszupumpen und sie in den Zustand herabzudrücken, den der Primas bei Eröffnung des Reichstags im Jahre 1764 mit den Worten schilderte: „Die Zierde des Königreichs, Städte ohne Bürger, und die, welche da sind, ohne Handel, Handel ohne Nutzen, weil in jüdischen Händen, mit einem Worte, in den Städten muß man die Städte suchen: die Straßen sind nichts als Felder und die Marktplätze nichts als Wüsteneien.“
Die nächste Wirkung dieser Verfolgungen war, daß die deutschen Hand­werksburschen in hellen Haufen in ihre Heimat zurückkehrten und daß in deutschen Städten verboten wurde, nach Polen auszuwandern. Die Ent­völkerung der Städte hatte allerdings für den Adel ihre unangenehme Seite, und so ergingen zwischenein auch gesetzliche Bestätigungen der Zunftorganisation und des Zunftzwanges, doch waren die verbietenden Gesetze auf die Dauer zahlreicher und in jedem Falle wirksamer als die schützenden. Das letzte tat dann die Auslieferung der Städte an die Sta­rosten, die eigentlich nur die militärische Verteidigung leiten sollten, aber sich bald der Kriminaljustiz, der Polizeigewalt und überhaupt der ganzen städtischen Verwaltung bemächtigten, um den Städten Blut und Mark auszupumpen und sie in den Zustand herabzudrücken, den der Primas bei Eröffnung des Reichstags im Jahre 1764 mit den Worten schilderte: „Die Zierde des Königreichs, Städte ohne Bürger, und die, welche da sind, ohne Handel, Handel ohne Nutzen, weil in jüdischen Händen, mit einem Worte, in den Städten muß man die Städte suchen: die Straßen sind nichts als Felder und die Marktplätze nichts als Wüsteneien.“


[[Datei:Thorner Blutgericht.jpg]]Thorner Blutgericht: Hinrichtung von neun Thorner Bürgern auf dem altstädtischen Markt unter dem Kommando des Chefs der angetretenen Garnison, des Königlich Polnischen Krongarde-Regiments mit Franz Georg Jauch als seinerzeitigem Capitaine und Kompaniechef.
[[Datei:Thorner Blutgericht.jpg]]
 
Thorner Blutgericht: Hinrichtung von neun Thorner Bürgern auf dem altstädtischen Markt unter dem Kommando des Chefs der angetretenen Garnison, des Königlich Polnischen Krongarde-Regiments mit Franz Georg Jauch als seinerzeitigem Capitaine und Kompaniechef.


Es war das Verhängnis Polens, nicht einmal zu der „Kleinbürgerei der mittelalterlichen Reichsstädte“ zu gelangen, von der die „Neue Rheinische Zeitung“ als der „höchsten Blüte“09 Deutschlands spricht. Aber die Einwanderung der deutschen Kleinbürgerei in Polen hat das Verhängnis Polens nicht verschuldet. Sie ist auch keineswegs „fast ununterbrochen“ vor sich gegangen, sondern nur vom 12. bis ins 15. Jahrhundert; dann ist sie einer durchaus rückläufigen Bewegung gewichen, eben weil die deutsche Kleinbürgerei für den polnischen Adel noch eine viel zu hohe Kulturstufe war. Beiläufig muß man auch sehr einschränken und selbst umkehren, was die „Neue Rheinische Zeitung“ von der großen Masse Deutscher sagt, die, durch Sektenverfolgungen vertrieben, von den Polen mit offenen Armen aufgenommen worden seien; zur Vertreibung der deutschen Handwerker aus Polen, die meist Protestanten waren, trug nicht zum wenigsten das Gesetz bei, das Nichtkatholiken die Zugehörigkeit zu den Zünften verbot. Überhaupt wuchs der religiöse Fanatismus des polnischen Adels in glei­chem Schritt mit seiner moralischen Verlumptheit, wie unter anderm das <48> Thorner Blutbad noch im Jahre 172410 zeigte, und es war in der Tat nur Kannegießerei in erhabener Arbeit, wenn Robert Blum in der Frankfurter Polendebatte den polnischen Schlachtschitzen als einen modernen Nathan den Weisen feierte, weil er die in aller Welt verfolgten Juden geduldet habe.
Es war das Verhängnis Polens, nicht einmal zu der „Kleinbürgerei der mittelalterlichen Reichsstädte“ zu gelangen, von der die „Neue Rheinische Zeitung“ als der „höchsten Blüte“09 Deutschlands spricht. Aber die Einwanderung der deutschen Kleinbürgerei in Polen hat das Verhängnis Polens nicht verschuldet. Sie ist auch keineswegs „fast ununterbrochen“ vor sich gegangen, sondern nur vom 12. bis ins 15. Jahrhundert; dann ist sie einer durchaus rückläufigen Bewegung gewichen, eben weil die deutsche Kleinbürgerei für den polnischen Adel noch eine viel zu hohe Kulturstufe war. Beiläufig muß man auch sehr einschränken und selbst umkehren, was die „Neue Rheinische Zeitung“ von der großen Masse Deutscher sagt, die, durch Sektenverfolgungen vertrieben, von den Polen mit offenen Armen aufgenommen worden seien; zur Vertreibung der deutschen Handwerker aus Polen, die meist Protestanten waren, trug nicht zum wenigsten das Gesetz bei, das Nichtkatholiken die Zugehörigkeit zu den Zünften verbot. Überhaupt wuchs der religiöse Fanatismus des polnischen Adels in glei­chem Schritt mit seiner moralischen Verlumptheit, wie unter anderm das <48> Thorner Blutbad noch im Jahre 172410 zeigte, und es war in der Tat nur Kannegießerei in erhabener Arbeit, wenn Robert Blum in der Frankfurter Polendebatte den polnischen Schlachtschitzen als einen modernen Nathan den Weisen feierte, weil er die in aller Welt verfolgten Juden geduldet habe.
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