Artikel:Günther Prien zum Gedächtnis
Von einem Kameraden
Atlantikküste, im Mai 1941

Mit jubelnder Liebe hat das ganze deutsche Volk den jungen Kaptänleutnant in sein innerstes Herz geschlossen, als es an jenem 14. Oktober 1939 erfuhr, dass er mit seinem U-Boot mitten in dem für gänzlich unangreifbar gehaltenen Schlupfwinkel der Grand Fleet, in der unseligen bucht von Scapa Flow, dass Schlachtschiff "Royal Oak" vernichtet und ein zweites, die "Repulse", schwer beschädigt hat.
Scapa Flow — welcher Deutsche dächte bei diesem Namen nicht mit einem bitteren Zorn an die schmählich erzwungene Auslieferung und mit von Trauer umschattetem Stolz an die tapfere Selbstversenkung der ersten deutschen Hochseeflotte. Mit einem Schlage löschte Priens einmalige Tat diese so tief demütigende Tat aus und setzte in ihre Stelle einen großen heiligen Stolz und eine unbändige Zuversicht. Ein junger deutscher Offizier, „irgendein Kapitänleutnant", bewies damit seinem Volke und der ganzen Welt, daß die kleine deutsche Kriegsmarine in ihrer zahlenmäßig hoffnungslosen Unterlegenheit in keiner Weise die Entschuldigung für eine defensive Haltung suchte, sondern im Gegenteil vom ersten Tage an den aufgezwungenen Existenzkampf besonders mit der jüngsten Waffe, den U-Booten, als Angriffskrieg führte und dabei nicht davor zurückschreckte, die junge Kriegsflagge mitten in die Höhle des britischen Löwen hineinzutragen und ihm gerade dort, wo er sich am unangreifbarsten glaubte, vernichtende Schläge beizubringen.
Von einem Abend auf den anderen Morgen war der junge, namenlose Kapitänleutnant zum Weddigen des neuen Krieges geworden. Wer war das, dieser Mann? Die bald in allen Zeitungen und Wochenschauen erscheinenden Bilder zeigten einen, wie es schien, unerhört jungen, gänzlich frischen, gänzlich unbeschwerten, fröhlichen jungenhaften Seeoffizier; aber wer näher hinsah, erkannte am Bau des runden Schädels, an den kräftigen: energisch geschnittenen Zügen, an der straffen gesammelten Haltung und dem wachen Auge, daß da mehr war als ein Mann, den „nur eine Welle des Glücks emporgetragen" hatte.
Prien war nichts geschenkt worden! Wie unzählige seiner Jahrgangskameraden hatte er die ganze Härte des Existenzkampfes im demokratischen Deutschland auf das bitterste am eigenen Leibe erfahren. Immer wieder mußte er ganz von vorn beginnen, der arbeitslos gewordene Seeoffizier als einfacher freiwilliger im Arbeitsdienst, der junge Arbeitsdienstführer wiederum als Matrose in der Kriegsmarine.
Über den normalen Ausbildungsgang wurde er zum zweiten Male, was er schon einmal gewesen, Offizier, — diesmal Offizier der Kriegsmarine. Aber die Härte seines Werdeganges;- die die Härte einer ganzen Generation geworden ist, hatte ihn nicht nur nicht verbraucht, sondern zu einer höchsten Elastizität und Lebendigkeit hinauftrainiert: sie hat auch nicht verhindern können, daß er der unsterbliche Typ des jungen unbezwingbaren Leutnants wurde, des wachen, lebendigen, energischen, frischen jungen Mannes, der, endlich im freien Fahrwasser, mit unstillbarem Lebenshunger und unbezwinglicher Vitalität, Dienst, Freizeit, kurz sein ganzes Dasein als ein fortlaufenden Fest empfand.
Zur U-Boot-Waffe kommandiert, kam ihm seine großen seemännische Erfahrung vom ersten Tage an in hervorragender Weise zustatten, und mochte es auch auf einem Schulboot sein, auf dem er „nur" als Gast fuhr, immer stand er in kürzester Zeit im Mittelpunkt des Lebens, wußte um alles, kannte jeden Mann und jedes Niet an Bord und wurde — mochte die Nacht noch so kurz, der Tag noch so lang gewesen sein — nicht müde, bei Aus- und Heimfahrt die ganze Brückenwache mit seiner außerordentlichen Erzählergabe in Atem zu halten und in endlose Heiterkeit zu versehen.
In der harten Schule der Ausbildung der jungen U-Boot-Waffe im Frieden bewährte er sich aufs beste. Wie kaum ein anderer war er bei allen Angriffsübungen und Manövern mit Herz und Seele dabei. Ihm ging der U-Boot-Dienst über alles. Dem Befehlshaber ist sein Ausspruch noch in bester Erinnerung: „Eine prima Geleitzugsübung weit draußen ist mir mehr wert als der beste Urlaub!" So dachte und handelte er. Als Wachoffizer eines U-Bootes nahm Prien an den spanischen Ereignissen teil und vollendete seine Ausbildung als U-Boot-Offizier. Dann kam das eigene Boot, die wachsende Verantwortung, der Krieg, der — Ruhm. Allen vieren war er gewachsen. Boot, Verantwortung, Krieg waren seine Pflicht, und sorgfältigste Ausbildung erlaubte es ihm, sie vorbildlich zu erfüllen. Sie kehrte aber auch die Außerordentlichkeit seiner Begabung für dieses Fach — die U-Boot-Waffe — hervor; der Ruhm war eine zusätzliche, wahrscheinlich die schwerste, die menschlichste Aufgabe. Er meisterte sie in einmaliger Weise. Wie wenige ertragen den Ruhm! Und wie ertrug ihn Prien! Da gab es keine Starallüren! Weiß Gott, er freute sich aus vollem Herzen der Liebes die ihm von allen Seiten entgegengetragen wurde, er erlebte mit allen Fasern die Begegnungen mit seinem Führer! die ihm die höchsten.Auszeichnungen eintrugen. Er berichtete hingenommen und begeistert von ihnen, wie von den Einladungen des Reichsmarschalls und den vielfältigen Geschenken und Ehrungen, die an ihn und seine Besatzung ergingen, aber er wurde nie — micht einmal im Scherz - Hochmütig durch sie.
Gerade und nur, Offizier mit Leib und Seele, fasste er den unerwarteten Ruhm nicht anders auf, denn als Verpflichtung zu immer weiterer Leistung.
Ganze Säcke voll Post, Zeichen der Liebe eines ganzen großen Volkes, erreichten ihn nach jeder Unternehmung, und so unerbittlich er die zahllosen Autogrammjäger-Schreiben dem Papierkorb überantwortete — „ich bin Offizier und nicht Filmstar" — so herzlich und eingehend beantwortete er manches rührend unbeholfene Schreiben eines Jungen oder Mädels, aus dem ihm in kindlicher Sprache, oft genug kaum lesbar geschrieben, die deutsche Liebe entgegenflutete.
Im vergangenen Herbst, als ich das Glück hatte, an einer langen Unternehmung seines Bootes teilzunehmen und diesen wahrhaft seltenen Mann so nahe kennenzulernen, wie dies allein unter den Bedingungen möglich ist, die das U-Boot-Leben mit sich bringt, schrieb er manche Stunde hinter den gleichmäßig hin- und herschwingenden dicken grünen Vorhängen, die das Kommandantenschapp notdürftig vom allgemeinen Bootsbetrieb absondern, an seinen Dankesbriefen, während jenseits der dünnen Stählwände der novemberliche Atlantik tobte und orgelte und immer wieder Schub um Schub das überkommende Wasser durch das Turmluk in die Zentrale herabgeschossen kam.
Derselbe Prien war aber auch ein unerbittlicher Vorgesetzter; er konnte es sein, da er sich selbst nichts schenkte. Wie manchesmal haben wir gesessen und von den wenigen Dingen gesprochen, um die es einem echten Mann zu leben lohnt! Und wie war es, als wir nach langem Suchen endlich einen Geleitzug erwischten und zum Angriff kamen! Da stand oben auf dem schmalen Turm der Kommandant, er allein Herr über das komplizierte. Kunstwerks das solch ein U-Boot ist. Er alleine das Hirn, die Zentrale blitzschneller und doch — wie ich mit bewunderndem Erstaunen erlebte — genau durch- und vorbedachter Entschlüsse und Befehle.
Dann fielen die Schüsse, rauschten die Todessäulen der Treffer mittschiffs der getroffenen Dampfer auf, krachten die tödlichen Detonationen herüber und — Prien hatte gerade eine Sekunde Zeit, sich so zu freuen wie ein Leutnant — und schon kam wieder der eiskalte Befehl an Gefechtsrudergänger und Torpedowaffe, schon war er wieder das kühl rechnende Hirn, das die Chancen sah, den Gefahren auswich, die Ausgucks ermahnte, die Schusswerte im Kopf errechnete und das Boot unmerklich, buchstäblich unmerklich, so selbstverständlich in die beste Angriffsposition brachte, daß man diese Kunst erst begriff, wenn der Schuss schon gefallen war und ein nächstes Opfer angesteuert wurde.
„Ein Boot ist ein Lebewesen", sagte er, als wir nach dem Angriff wieder unten saßen, „wenn da nicht jeder zum Organ wird, wenn nicht jeder begreift, daß wir zusammenrücken müssen wie ein schönes, elegantes Raubtier, dann ist es nichts". Ich kann nichts, ohne den Leitenden und der nichts ohne den Dieselheizer und die wieder nichts ohne mich. Das ist gerade das Herrliche an unserer Waffe: „Einer ist nichts, alle sind alles!"
Wir sind heimgekommen; der Ruhm hat Prien wieder ergriffen, und als er zurückkehrte zum Stützpunkt, um wieder auszulaufen zu seiner letzten Fahrt, da sagte er plötzlich ganz impulsiv: „Mensch, ich freue mich, daß der alte Bock (das Boot) wieder klar ist und daß es wieder anständige frische Seeluft um die Nase gibt!"
Er ist ausgelaufen, Günther Prien, geleitet von den Hurras der zurückbleibenden Kameraden, wie manches Boot vor ihm und manches seither. Niemand, am wenigsten er selbst, wußte, daß es sein letztes Auslaufen sein wurde. Voll Zuversicht gab er uns die Hand, ehe er ablegte. „Diesmal gibts eine gute Reise", sagte er, „das habe ich im Gefühl...!"
Möge Deine letzte Reise eine gute gewesen sein, Günther. Uns, die wir Dich gekannt, geliebt und bewundert haben, ist es bis heute noch nicht faßlich, daß es wirklich und wahrhaftig Deine letzte gewesen sein soll. Aber der Krieg kennt keine Gnade, und in das Wissen, „Dich im leiblichen verloren zu haben, mischt sich neben der Trauer das tröstende Gefühl, daß es Dir vergönnt war, früh zu vollenden, was wenigen gegeben ist: Das ganze Leben eines großen klaren Soldaten durch Werden, Ruhm und Tod.
Noch eines wissen wir aus einer unbestimmbaren Quelle, aber mit aufrichtender Gewissheit: Du kehrst nicht zurück, aber nachdem Du das Letzte gegeben hast, was Dir zu geben blieb, bist Du ganz und für alle Zeiten unverlierbar unser aller Vorbild geworden. Kein Boot wird fahren, auf dem nicht Du unsichtbar auf der Brücke stehst, kein Schiff wird als versenkt gemeldet werden, bei dem nicht das ganze deutsche Volk an Deinen Namen denken wird. Kein Glas wird erhoben werden, wenn Boote heimkehren, bei dem nicht still Deiner gedacht würde. Du kehrst nicht wieder, aber indem Du draußen bliebest und eingingst in die große, weite Ewigkeit, hast Du uns allen den letzten, Deinen größten Dienst erwiesen: „Daß Du uns, uns alle, verpflichtest, so zu sein wie Du!"