Buch:Die Akkumulation des Kapitals
Die Akkumulation des Kapitals
Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus
Berlin 1913. Verlag: Buchhandlung Vorwärts Paul Singer G. m. b. H.
Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5, Berlin/DDR. 1975, »Die Akkumulation des Kapitals«, S. 5-411.
Vorwort
Den Anstoß zur vorliegenden Arbeit hat mir eine populäre Einführung in die Nationalökonomie gegeben, die ich seit längerer Zeit für denselben Verlag vorbereite, an deren Fertigstellung ich aber immer wieder durch meine Tätigkeit an der Parteischule oder durch Agitation verhindert wurde. Als ich im Januar dieses Jahres, nach der Reichstagswahl, wieder einmal daranging, jene Popularisation der Marxschen ökonomischen Lehre wenigstens im Grundriß zum Abschluß zu bringen, bin ich auf eine unerwartete Schwierigkeit gestoßen. Es wollte mir nicht gelingen, den Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion in ihren konkreten Beziehungen sowie ihre objektive geschichtliche Schranke mit genügender Klarheit darzustellen. Bei näherem Zusehen kam ich zu der Ansicht, daß hier nicht bloß eine Frage der Darstellung, sondern auch ein Problem vorliegt, das theoretisch mit dem Inhalt des zweiten Bandes des Marxschen "Kapitals" im Zusammenhang steht und zugleich in die Praxis der heutigen imperialistischen Politik wie deren ökonomische Wurzeln eingreift. Sollte mir der Versuch gelungen sein, dieses Problem wissenschaftlich exakt zu fassen, dann dürfte die Arbeit außer einem rein theoretischen Interesse, wie mir scheint, auch einige Bedeutung für unseren praktischen Kampf mit dem Imperialismus haben.
Dezember 1912
Erster Abschnitt
Das Problem der Reproduktion
Erstes Kapitel
Gegenstand der Untersuchung
<9> Zu den unvergänglichen Verdiensten Marxens um die theoretische Nationalökonomie gehört seine Stellung des Problems der Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Bezeichnenderweise begegnen wir in der Geschichte der Nationalökonomie nur zwei Versuchen einer exakten Darstellung des Problems: an ihrer Schwelle, bei dem Vater der Physiokratenschule, Quesnay, und an ihrem Ausgang, bei Karl Marx. In der Zwischenzeit hört das Problem nicht auf, die bürgerliche Nationalökonomie zu quälen, doch hat sie es nie bewußt und nie in seiner reinen Form, losgelöst von verwandten und durchkreuzenden Nebenproblemen, auch nur zu stellen, geschweige zu lösen gewußt. Bei der fundamentalen Bedeutung dieses Problems jedoch kann man bis zu einem gewissen Grad an der Hand dieser Versuche die Schicksale der wissenschaftlichen Ökonomie überhaupt verfolgen.
Worin besteht das Problem der Reproduktion des Gesamtkapitals?
Reproduktion ist wörtlich genommen einfach Wiederproduktion, Wiederholung, Erneuerung des Produktionsprozesses, und es mag auf den ersten Blick nicht abzusehen sein, worin sich der Begriff der Reproduktion von dem allgemeinverständlichen der Produktion eigentlich unterscheiden und wozu hierfür ein neuer, befremdender Ausdruck nötig sein soll. Allein gerade in der Wiederholung, in der ständigen Wiederkehr des Produk- <10> tionsprozesses liegt ein wichtiges Moment für sich. Zunächst ist die regelmäßige Wiederholung der Produktion die allgemeine Voraussetzung und Grundlage der regelmäßigen Konsumtion und damit die Vorbedingung der Kulturexistenz der menschlichen Gesellschaft unter allen ihren geschichtlichen Formen. In diesem Sinne enthält der Begriff der Reproduktion ein kulturgeschichtliches Moment. Die Produktion kann nicht wiederaufgenommen werden, die Reproduktion kann nicht stattfinden, wenn nicht bestimmte Vorbedingungen: Werkzeuge, Rohstoffe, Arbeitskräfte, als Ergebnis der vorhergegangenen Produktionsperiode gegeben sind. Auf den primitivsten Stufen der Kulturentwicklung aber, bei den Anfängen in der Beherrschung der äußeren Natur, ist diese Möglichkeit der Wiederaufnahme der Produktion jedesmal noch mehr oder weniger vom Zufall abhängig. Solange hauptsächlich Jagd oder Fischfang die Grundlage der Existenz der Gesellschaft bilden, ist die Regelmäßigkeit in der Wiederholung der Produktion häufig unterbrochen durch Perioden des allgemeinen Hungerns. Bei manchen primitiven Völkern haben die Erfordernisse der Reproduktion als eines regelmäßig wiederkehrenden Prozesses schon sehr früh einen traditionellen und gesellschaftlich bindenden Ausdruck in bestimmten Zeremonien religiösen Charakters gefunden. So ist nach den gründlichen Forschungen von Spencer und Gillen der Totemkult der Australneger im Grunde genommen nichts anderes als die zur religiösen Zeremonie erstarrte Überlieferung gewisser seit undenklichen Zeiten regelmäßig wiederholter Maßnahmen der gesellschaftlichen Gruppen zur Beschaffung und Erhaltung ihrer tierischen und pflanzlichen Nahrung. Doch erst der Hackbau, die Zähmung der Haustiere und die Viehzucht zu Ernährungszwecken ermöglichten den regelmäßigen Kreislauf von Konsumtion und Produktion, der das Merkmal der Reproduktion bildet. Insofern erscheint also der Begriff der Reproduktion selbst als etwas mehr denn bloße Wiederholung: Er umschließt bereits eine gewisse Höhe in der Beherrschung der äußeren Natur durch die Gesellschaft oder, ökonomisch ausgedrückt, eine gewisse Höhe der Produktivität der Arbeit.
Andererseits ist der Produktionsprozeß selbst auf allen gesellschaftlichen Entwicklungsstufen eine Einheit von zwei verschiedenen, wenn auch eng miteinander verknüpften Momenten: der technischen und der gesellschaftlichen Bedingungen, d.h. der bestimmten Gestaltung des Verhältnisses der Menschen zur Natur und der Verhältnisse der Menschen untereinander. Die Reproduktion hängt gleichermaßen von beiden ab. Inwiefern sie an die Bedingungen der menschlichen Arbeitstechnik gebunden und selbst erst das Ergebnis einer gewissen Höhe in der Produktivität der <11> Arbeit ist, haben wir soeben angedeutet. Aber nicht minder bestimmend sind die jeweiligen gesellschaftlichen Formen der Produktion. In einer primitiven kommunistischen Agrargemeinde wird die Reproduktion, wie der ganze Plan des Wirtschaftslebens, von der Gesamtheit der Arbeitenden und ihren demokratischen Organen bestimmt: Der Entschluß zur Wiederaufnahme der Arbeit, ihre Organisation, die Sorge für nötige Vorbedingungen - Rohstoffe, Werkzeuge, Arbeitskräfte -, endlich die Bestimmung des Umfangs und der Einteilung der Reproduktion sind das Ergebnis des planmäßigen Zusammenwirkens der Gesamtheit in den Grenzen der Gemeinde. In einer Sklavenwirtschaft oder auf einem Fronhof wird die Reproduktion auf Grund persönlicher Herrschaftsverhältnisse erzwungen und in allen Details geregelt, wobei die Schranke für ihren Umfang jeweilig das Verfügungsrecht des herrschenden Zentrums über einen größeren oder geringeren Kreis fremder Arbeitskräfte bildet. In der kapitalistisch produzierenden Gesellschaft gestaltet sich die Reproduktion ganz eigentümlich, was schon der Augenschein in gewissen auffälligen Momenten lehrt. In jeder anderen geschichtlich bekannten Gesellschaft wird die Reproduktion regelmäßig aufgenommen, sofern nur die Vorbedingungen: vorhandene Produktionsmittel und Arbeitskräfte, dies ermöglichen. Nur äußere Einwirkungen: ein verheerender Krieg oder eine große Pest, die eine Entvölkerung und damit massenhafte Vernichtung der Arbeitskräfte und der vorrätigen Produktionsmittel herbeiführen, pflegen zu verursachen, daß auf ganzen großen Strecken früheren Kulturlebens die Reproduktion für längere oder kürzere Perioden nicht aufgenommen oder nur zum geringen Teil aufgenommen wird. Ähnliche Erscheinungen können teilweise bei despotischer Bestimmung über den Plan der Produktion hervorgerufen werden. Wenn der Wille eines Pharao im alten Ägypten Tausende von Fellachen für Jahrzehnte an den Bau von Pyramiden fesselte oder wenn im neuen Ägypten Ismael Pascha 20.000 Fellachen für den Bau des Suezkanals als Fronknechte abkommandierte oder wenn der Kaiser Shih-huang-ti, der Begründer der Dynastie Ch'in, 200 Jahre vor der christlichen Ära 400.000 Menschen vor Hunger und Erschöpfung umkommen ließ und eine ganze Generation aufrieb, um die Große Mauer an der Nordgrenze Chinas auszubauen - so war in allen solchen Fällen die Folge, daß gewaltige Strecken Bauernlandes unbestellt blieben, das regelmäßige Wirtschaftsleben hier für lange Perioden unterbrochen wurde. Aber diese Unterbrechungen der Reproduktion hatten in jedem solchen Falle ganz sichtbare, klare Ursachen in der einseitigen Bestimmung über den Reproduktionsplan im ganzen durch das Herrschaftsverhältnis. In den kapitalistisch pro- <12> duzierenden Gesellschaften sehen wir anderes. In gewissen Perioden sehen wir, daß sowohl alle erforderlichen materiellen Produktionsmittel wie Arbeitskräfte zur Aufnahme der Reproduktion vorhanden sind, daß andererseits die Konsumtionsbedürfnisse der Gesellschaft unbefriedigt bleiben und daß trotzdem die Reproduktion teils ganz unterbrochen ist, teil nur in verkümmertem Umfange vonstatten geht. Hier sind aber keine despotischen Eingriffe in den Wirtschaftsplan für die Schwierigkeiten des Reproduktionsprozesses verantwortlich. Die Aufnahme der Reproduktion ist hier vielmehr außer von allen technischen Bedingungen noch von der rein gesellschaftlichen Bedingung abhängig, daß nur diejenigen Produkte hergestellt werden, die sichere Aussicht haben, realisiert, gegen Geld ausgetauscht zu werden, und nicht nur überhaupt realisiert, sondern mit einem Profit von bestimmter, landesüblicher Höhe. Profit als Endzweck und bestimmendes Moment beherrscht hier also nicht bloß die Produktion, sondern auch die Reproduktion, d.h. nicht bloß das Wie und Was des jeweiligen Arbeitsprozesses und der Verteilung der Produkte, sondern auch die Frage, ob, in welchem Umfange und in welcher Richtung der Arbeitsprozeß immer wieder von neuem aufgenommen wird, nachdem eine Arbeitsperiode ihren Abschluß gefunden hat. "Hat die Produktion kapitalistische Form, so die Reproduktion."(1)
Infolge solcher rein historisch-gesellschaftlichen Momente also gestaltet sich der Reproduktionsprozeß der kapitalistischen Gesellschaft im ganzen zu einem eigenartigen, sehr verwickelten Problem. Schon das äußere Charakteristikum des kapitalistischen Reproduktionsprozesses zeigt seine spezifische geschichtliche Eigentümlichkeit: Er umfaßt nicht nur die Produktion, sondern auch die Zirkulation (Austauschprozeß), er ist die Einheit beider.
Vor allem ist die kapitalistische Produktion eine solche zahlloser Privatproduzenten ohne jede planmäßige Regelung und der Austausch der einzige gesellschaftliche Zusammenhang zwischen ihnen. Die Reproduktion findet hier als Anhaltspunkt für die Bestimmung der gesellschaftlichen Bedürfnisse immer nur die Erfahrungen der vorhergehenden Arbeitsperiode vor. Allein diese Erfahrungen sind Privaterfahrungen einzelner Produzenten, die nicht einen zusammenfassenden gesellchaftlichen Ausdruck finden. Ferner sind es immer nicht positive und direkte Erfahrungen über die Bedürfnisse der Gesellschaft, sondern indirekte und negative, die aus der jeweiligen Bewegung der Preise einen Rückschluß über das Zuviel oder <13> Zuwenig der hergestellten Produktenmasse im Verhältnis zur zahlungsfähigen Nachfrage erlauben. Die Reproduktion wird aber immer wieder unter Benutzung dieser Erfahrungen über die vergangene Produktionsperiode von einzelnen Privatproduzenten in Angriff genommen. Daraus kann sich in der folgenden Periode ebenfalls nur wiederum ein Zuviel oder Zuwenig ergeben, wobei einzelne Produktionszweige ihre eigenen Wege gehen und in dem einen sich ein Zuviel herausstellen kann, dagegen in einem anderen ein Zuwenig. Bei der gegenseitigen technischen Abhängigkeit jedoch fast aller einzelnen Produktionszweige zieht ein Zuviel oder Zuwenig einiger größerer führender Produktionszweige auch die gleiche Erscheinung in den meisten übrigen Produktionszweigen nach sich. So ergibt sich von Zeit zu Zeit abwechselnd ein allgemeiner Überfluß oder ein allgemeiner Mangel an Produkten im Verhältnis zur Nachfrage der Gesellschaft. Daraus folgt schon, daß die Reproduktion in der kapitalistischen Gesellschaft eine eigentümliche, von allen anderen geschichtlichen Produktionsformen verschiedene Gestalt annimmt. Erstens macht jeder Produktionszweig eine in gewissen Grenzen unabhängige Bewegung durch, die von Zeit zu Zeit zu kürzeren oder längeren Unterbrechungen in der Reproduktion führt. Zweitens summieren sich die Abweichungen der Reproduktion in den einzelnen Zweigen von dem gesellschaftlichen Bedürfnis periodisch zu einer allgemeinen Inkongruenz, worauf eine allgemeine Unterbrechung der Reproduktion folgt. Die kapitalistische Reproduktion bietet somit eine ganz eigentümliche Figur. Während die Reproduktion unter jeder anderen Wirtschaftsform - abgesehen von äußeren, gewaltsamen Eingriffen - als ein ununterbrochener gleichmäßiger Kreislaut verläuft, kann die kapitalistische Reproduktion - um einen bekannten Ausdruck Sismondis anzuwenden - nur als eine fortlaufende Reihe einzelner Spiralen dargestellt werden, deren Windungen anfänglich klein, dann immer größer, zum Schluß ganz groß sind, worauf ein Zusammenschrumpfen folgt und die nächste Spirale wieder mit kleinen Windungen beginnt, um dieselbe Figur bis zur Unterbrechung durchzumachen.
Der periodische Wechsel der größten Ausdehnung der Reproduktion und ihres Zusammenschrumpfens bis zur teilweisen Unterbrechung, d.h. das, was man als den periodischen Zyklus der matten Konjunktur, Hochkonjunktur und Krise bezeichnet, ist die auffälligste Eigentümlichkeit der kapitalistischen Reproduktion.
Es ist jedoch sehr wichtig von vornherein festzustellen, daß der periodische Wechsel der Konjunkturen und die Krise zwar wesentliche Momente der Reproduktion, aber nicht das Problem der kapitalistischen Re- <14> produktion an sich, nicht das eigentliche Problem darstellen. Periodischer Konjunkturwechsel und Krise sind die spezifische Form der Bewegung bei der kapitalistischen Wirtschaftsweise, sie sind aber nicht die Bewegung selbst. Um das Problem der kapitalistischen Reproduktion in reiner Gestalt darzustellen, müssen wir vielmehr gerade von jenem periodischen Konjunkturwechsel und von Krisen absehen. So befremdend dies erscheinen mag, so ist es eine ganz rationelle Methode, ja die einzige wissenschaftlich gangbare Methode der Untersuchung. Um das Problem des Wertes rein darzustellen und zu lösen, müssen wir von den Schwankungen der Preise absehen. Die vulgärökonomische Auffassung sucht stets das Wertproblem durch Hinweise auf die Schwankungen der Nachfrage und des Angebots zu lösen. Die klassische Ökonomie von Smith bis Marx hat die Sache umgekehrt angefaßt, indem sie erklärte: Schwankungen im gegenseitigen Verhältnis der Nachfrage und des Angebots können nur Abweichungen des Preises vom Wert, nicht aber den Wert selbst erklären. Um herauszufinden, was der Wert der Waren ist, müssen wir das Problem unter der Voraussetzung packen, daß sich Nachfrage und Angebot die Waage halten, d.h. der Preis und der Wert der Waren [sich] decken. Das wissenschaftliche Wertproblem beginnt also gerade dort, wo die Wirkung der Nachfrage und des Angebots aufhört. Genau dasselbe gilt für das Problem der Reproduktion des kapitalistischen Gesamtkapitals. Der periodische Wechsel der Konjunkturen und die Krisen bewirken, daß die kapitalistische Reproduktion als Regel um die zahlungsfähigen Gesamtbedürfnisse der Gesellschaft schwankt, sich bald von ihnen nach oben entfernt, bald unter sie bis zur nahezu völligen Unterbrechung sinkt. Nimmt man jedoch eine längere Periode, einen ganzen Zyklus mit wechselnden Konjunkturen, so wiegen sich Hochkonjunktur und Krise, d.h. die höchste Überspannung der Reproduktion mit ihrem Tiefstand und ihrer Unterbrechung, auf, und im Durchschnitt des ganzen Zyklus bekommen wir eine gewisse mittlere Größe der Reproduktion. Dieser Durchschnitt ist nicht bloß ein theoretisches Gedankenbild, sondern auch ein realer, objektiver Tatbestand. Denn trotz des scharfen Auf und Ab der Konjunkturen, trotz Krisen werden die Bedürfnisse der Gesellschaft schlecht oder recht befriedigt, die Reproduktion geht weiter ihren verschlungenen Gang, und die Produktivkräfte entwickeln sich immer mehr. Wie kommt dies nun zustande, wenn wir von Krise und Konjunkturwechsel absehen? - Hier beginnt die eigentliche Frage und der Versuch, das Reproduktionsproblem durch den Hinweis auf die Periodizität der Krisen zu lösen, ist im Grunde genommen ebenso vulgärökonomisch wie der Versuch, das Wertproblem <15> durch Schwankungen von Nachfrage und Angebot zu lösen. Trotzdem worden wir weiter sehen, daß die Nationalökonomie beständig diese Neigung verriet, das Problem der Reproduktion, kaum daß sie es halbwegs bewußt aufgestellt oder wenigstens geahnt hatte, unversehens in das Krisenproblem zu verwandeln und sich so die Lösung selbst zu versperren. Wenn wir im folgenden von kapitalistischer Reproduktion sprechen, so ist darunter stets jener Durchschnitt zu verstehen, der sich als die mittlere Resultante des Konjunkturwechsels innerhalb eines Zyklus ergibt.
Die kapitalistische Gesamtproduktion wird durch eine schrankenlose. und beständig schwankende Anzahl von Privatproduzenten bewerkstelligt, die unabhängig voneinander, ohne jede gesellschaftliche Kontrolle außer der Beobachtung der Preisschwankungen und ohne jeden gesellschaftlichen Zusammenhang außer dem Warenaustausch produzieren. Wie kommt aus diesen zahllosen. unzusammenhängenden Bewegungen die tatsächliche Gesamtproduktion heraus? Wird die Frage so gestellt - und dies ist die erste allgemeine Form, unter der sich das Problem unmittelbar bietet, so wird dabei übersehen, daß die Privatproduzenten in diesem Fall keine einfachen Warenproduzenten, sondern kapitalistische Produzenten sind und daß auch die Gesamtproduktion der Gesellschaft keine Produktion zur Befriedigung der Konsumbedürfnisse schlechthin, auch keine einfache Warenproduktion, sondern kapitalistische Produktion ist. Sehen wir zu, welche Veränderungen im Problem dies mit sich bringt.
Der Produzent, der nicht bloß Waren, sondern Kapital produziert, muß vor allem Mehrwert erzeugen. Mehrwert ist das Endziel und das bewegende Motiv des kapitalistischen Produzenten. Die hergestellten Waren müssen ihm, nachdem sie realisiert werden, nicht nur alle seine Auslagen, sondern darüber hinaus eine Wertgröße eintragen, der keine Auslage auf seiner Seite entspricht, die reiner Überschuß ist. Vom Standpunkte dieser Mehrwerterzeugung zerfällt das vom Kapitalisten vorgeschossene Kapital. ohne daß er es weiß und entgegen den Flausen, die er sich und der Welt über stehendes und umlaufendes Kapital vormacht, in einen Teil, der seine Auslagen für Produktionsmittel: Arbeitsräume, Roh- und Hilfsstoffe, Instrumente, darstellt, und einen anderen Teil, der in Arbeitslöhnen verausgabt wird. Den ersteren, der seine Wertgröße durch Gebrauch im Arbeitsprozeß unverändert auf das Produkt überträgt, nennt Marx den konstanten, den letzteren, der durch Aneignung unbezahlter Lohnarbeit zum Wertzuwachs, zur Erzeugung von Mehrwert führt, den variablen Kapitalteil. Von diesem Standpunkt entspricht die Wertzusammensetzung jeder kapitalistisch hergestellten Ware normalerweise der Formel c + v + m, wo- <16> bei c den ausgelegten konstanten Kapitalwert, d.h. den auf die Ware übertragenen Wertteil der gebrauchten toten Produktionsmittel darstellt, v den ausgelegten variablen, d.h. in Löhnen verausgabten Kapitalteil bedeutet, endlich m den Mehrwert, d.h. den aus dem unbezahlten Teil der Lohnarbeit herrührenden Wertzuwachs repräsentiert. Alle drei Wertteile stecken zusammen in der konkreten Gestalt der hergestellten Ware - jedes einzelnen Exemplars wie der gesamten Warenmasse als Einheit betrachtet, ob es sich um Baumwollgewebe oder Ballettdarbietungen, gußeiserne Röhren oder liberale Zeitungen handelt. Die Herstellung der Waren ist nicht Zweck für den kapitalistischen Produzenten, sondern bloß Mittel zur Aneignung des Mehrwerts. Solange aber der Mehrwert in der Warengestalt steckt, ist er für den Kapitalisten unbrauchbar. Er muß, nachdem er hergestellt, realisiert, in seine reine Wertgestalt, d.h. in Geld, verwandelt werden. Damit dies geschieht und der Mehrwert in Geldgestalt vom Kapitalisten angeeignet wird, müssen auch seine gesamten Kapitalauslagen die Warenform abstreifen und in Geldform zu ihm zurückkehren. Erst wenn dies gelungen. wenn die gesamte Warenmasse also nach ihrem Wert gegen Geld veräußert ist, ist der Zweck der Produktion erreicht. Die Formel c + v + m bezieht sich dann genau so, wie früher auf die Wertzusammensetzung der Waren, jetzt auf die quantitative Zusammensetzung des aus dem Warenverkauf gelösten Geldes: Ein Teil davon (c) erstattet dem Kapitalisten seine Auslagen an verbrauchten Produktionsmitteln, ein anderer (v) seine Auslagen an Arbeitslöhnen. der letzte (m) bildet den erwarteten Überschuß, den "Reingewinn" des Kapitalisten in bar.(2) Diese Verwandlung des Kapitals aus ursprünglicher Gestalt, die den Ausgangspunkt jeder kapitalistischen Produktion darstellt, in tote und lebendige Produktionsmittel (d.h. Rohstoffe, Instrumente und Arbeitskraft), aus diesen durch lebendigen Arbeitsprozeß in Waren und endlich aus Waren durch den Austauschprozeß wieder in Geld, und zwar in mehr Geld als im Anfangsstadium, dieser Umschlag des Kapitals ist jedoch nicht nur zur Produktion und Aneignung von Mehrwert nötig. Zweck und treibendes Motiv der kapitalistischen Produktion ist nicht Mehrwert schlechthin, in beliebiger Menge, in einmaliger Aneignung, sondern Mehrwert schrankenlos, in unaufhörlichem Wachstum. in einer immer größeren Menge. Dies kann aber immer wieder nur durch dasselbe Zaubermittel: durch kapitalistische Produktion, d.h. durch Aneignung unbezahlter Lohnarbeit im Prozeß der <17> Warenherstellung und durch Realisierung der so hergestellten Waren, erreicht werden. Produktion immer von neuem, Reproduktion als regelmäßige Erscheinung erhält damit in der kapitalistischen Gesellschaft ein ganz neues Motiv, das unter jeder anderen Produktionsform unbekannt ist. Unter jeder historisch bekannten Wirtschaftsweise sonst sind das bestimmende Moment der Reproduktion - die unaufhörlichen Konsumtionsbedürfnisse der Gesellschaft, mögen dies demokratisch bestimmte Konsumtionsbedürfnisse der Gesamtheit der Arbeitenden in einer agrarkommunistischen Markgenossenschaft sein oder despotisch bestimmte Bedürfnisse einer antagonistischen Klassengesellschaft, einer Sklavenwirtschaft, eines Fronhofs u.dgl. Bei der kapitalistischen Produktionsweise existiert für den einzelnen Privatproduzenten - und nur solche kommen hier in Betracht - die Rücksicht auf Konsumtionsbedürfnisse der Gesellschaft als Motiv zur Produktion gar nicht. Für ihn existiert nur die zahlungsfähige Nachfrage, und diese auch nur als ein unumgängliches Mittel zur Realisierung des Mehrwerts. Die Herstellung von Produkten für den Konsum, die das zahlungsfähige Bedürfnis der Gesellschaft befriedigen, ist deshalb zwar ein Gebot der Notwendigkeit für den Einzelkapitalisten, aber ebensosehr ein Umweg vom Standpunkte des eigentlichen Beweggrunds: der Aneignung des Mehrwerts. Und dieses Motiv ist es auch, das dazu treibt, immer wieder die Reproduktion aufzunehmen. Die Mehrwertproduktion ist es, die in der kapitalistischen Gesellschaft die Reproduktion der Lebensbedürfnisse im ganzen zum Perpetuum mobile macht. Die Reproduktion ihrerseits, deren Ausgangspunkt kapitalistisch immer wieder das Kapital, und zwar in seiner reinen Wertform, in Geldform, bildet, kann offenbar nur dann in Angriff genommen werden, wenn die Produkte der vorhergegangenen Periode, die Waren, in ihre Geldform verwandelt, realisiert worden sind. Als erste Bedingung der Reproduktion erscheint also für den kapitalistischen Produzenten die gelungene Realisierung der in der vorhergegangenen Produktionsperiode hergestellten Waren.
Jetzt gelangen wir zu einem zweiten wichtigen Umstand. Die Bestimmung des Umfangs der Reproduktion liegt - bei der privaten Wirtschaftsweise - im Belieben und Gutdünken des Einzelkapitalisten. Sein treibendes Motiv ist aber Mehrwertaneignung, und zwar möglichst rasch progressierende Mehrwertaneignung. Eine Beschleunigung in der Mehrwertaneignung ist jedoch nur möglich durch Erweiterung der kapitalistischen Produktion, die den Mehrwert schafft. Der Großbetrieb hat bei der Mehrwerterzeugung in jeder Hinsicht Vorteile gegenüber dem Kleinbetrieb. Die kapitalistische Produktionsweise erzeugt also nicht bloß ein ständiges <18> Motiv zur Reproduktion überhaupt, sondern auch ein Motiv zur ständigen Erweiterung der Reproduktion, zur Wiederaufnahme der Produktion in größerem Umfang als bisher.
Nicht genug. Die kapitalistische Produktionsweise schafft nicht bloß im Mehrwerthunger des Kapitalisten die treibende Kraft zur rastlosen Erweiterung der Reproduktion, sondern sie verwandelt diese Erweiterung geradezu in ein Zwangsgesetz, in eine wirtschaftliche Existenzbedingung für den Einzelkapitalisten. Unter der Herrschaft der Konkurrenz besteht die wichtigste Waffe des Einzelkapitalisten im Kampf um den Platz auf dem Absatzmarkt in der Billigkeit der Waren. Alle dauernden Methoden zur Herabsetzung der Herstellungskosten der Waren - die nicht durch Herabdrückung der Löhne oder Verlängerung der Arbeitszeit eine Extrasteigerung des Mehrwerts erzielen und selbst auf mancherlei Hindernisse stoßen können - laufen aber auf eine Erweiterung der Produktion hinaus. Ob es sich um Ersparnisse an Baulichkeiten und Werkzeugen handelt oder um Anwendung leistungsfähigerer Produktionsmittel oder um weitgehende Ersetzung der Handarbeit durch Maschinen oder um rapide Ausnutzung einer günstigen Marktkonjunktur zur Anschaffung billiger Rohstoffe - in allen Fällen hat der Großbetrieb Vorteile vor dem Klein- und Mittelbetrieb.
Diese Vorteile wachsen in sehr weiten Grenzen zusammen mit der Ausdehnung des Betriebes. Die Konkurrenz selbst zwingt deshalb jede Vergrößerung eines Teils der kapitalistischen Betriebe den anderen als Existenzbedingung auf. So ergibt sich eine unaufhörliche Tendenz zur Ausdehnung der Reproduktion, die sich unaufhörlich mechanisch, wellenartig über die ganze Oberfläche der Privatproduktion verbreitet.
Für den Einzelkapitalisten äußert sich die Erweiterung der Reproduktion darin, daß er einen Teil des angeeigneten Mehrwerts zum Kapital schlägt, akkumuliert. Akkumulation, Verwandlung des Mehrwerts in tätiges Kapital, ist der kapitalistische Ausdruck der erweiterten Reproduktion.
Die erweiterte Reproduktion ist keine Erfindung des Kapitals. Sie bildet vielmehr seit jeher die Regel in jeder historischen Gesellschaftsform, die wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt aufweist. Die einfache Reproduktion - die bloße ständige Wiederholung des Produktionsprozesses im früheren Umfang - ist zwar möglich und kann auf langen Zeitstrecken der gesellschaftlichen Entwicklung beobachtet werden. So z.B. in den uraltertümlichen agrarkommunistischen Dorfgemeinden, in denen der Zuwachs der Bevölkerung nicht durch eine allmähliche Erweiterung der Produktion, sondern durch periodische Ausscheidung des Nachwuchses und <19> Gründung von ebenso winzigen, sich selbst genügenden Filialgemeinden berücksichtigt wird. Ebenso bieten die alten kleinen Handwerksbetriebe in Indien oder China das Beispiel einer von Generation auf Generation vererbten traditionellen Wiederholung der Produktion in denselben Formen und demselben Umfang. Doch ist in allen solchen Fällen die einfache Reproduktion Grundlage und sicheres Zeichen des allgemeinen wirtschaftlichen und kulturellen Stillstands. Alle entscheidenden Produktionsfortschritte und Kulturdenkmäler, wie die großen Wasserwerke des Orients, die ägyptischen Pyramiden, die römischen Heerstraßen, die griechischen Künste und Wissenschaften, die Entwicklung des Handwerks und der Städte im Mittelalter, wären unmöglich ohne erweiterte Reproduktion, denn nur eine stufenweise Ausdehnung der Produktion über die unmittelbaren Bedürfnisse hinaus und das ständige Wachstum der Bevölkerung wie ihrer Bedürfnisse bilden zugleich die wirtschaftliche Grundlage und den sozialen Antrieb zu entscheidenden Kulturfortschritten. Namentlich der Austausch und mit ihm die Entstehung der Klassengesellschaft und ihre historischen Fortschritte bis zur kapitalistischen Wirtschaftsform wären undenkbar ohne erweiterte Reproduktion. In der kapitalistischen Gesellschaft jedoch kommen der erweiterten Reproduktion einige neue Charaktere zu. Zunächst wird sie hier, wie bereits angeführt, zum Zwangsgesetz für den Einzelkapitalisten. Einfache Reproduktion, selbst Rückgang in der Reproduktion sind zwar auch bei der kapitalistischen Produktionsweise nicht ausgeschlossen, sie bilden vielmehr periodische Erscheinungen der Krisen nach der ebenso periodischen Überspannung der erweiterten Reproduktion in der Hochkonjunktur. Doch geht die allgemeine Bewegung der Reproduktion - über die periodischen Schwankungen des zyklischen Konjunkturwechsels hinweg - in der Richtung einer unaufhörlichen Erweiterung. Für den Einzelkapitalisten bedeutet die Unmöglichkeit, mit dieser allgemeinen Bewegung Schritt zu halten, das Ausscheiden aus dem Konkurrenzkampf, den wirtschaftlichen Tod.
Ferner kommt noch anderes hinzu. Bei jeder rein oder vorwiegend naturalwirtschaftlichen Produktionsweise - in einer agrarkommunistischen Dorfgemeinde Indiens oder in einer römischen Villa mit Sklavenarbeit oder im feudalen Fronhof des Mittelalters - bezieht sich Begriff und Zweck der erweiterten Reproduktion nur auf die Produktenmenge, auf die Masse der hergestellten Konsumgegenstände. Die Konsumtion als Zweck beherrscht den Umfang und Charakter sowohl des Arbeitsprozesses im einzelnen wie der Reproduktion im allgemeinen. Anders unter der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Die kapitalistische Produktion ist nicht <20> eine solche zu Konsumtionszwecken, sondern eine Wertproduktion. Die Wertverhältnisse beherrschen den gesamten Produktions- wie Reproduktionsprozeß. Kapitalistische Produktion ist nicht Produktion von Konsumgegenständen, auch nicht von Waren schlechthin, sondern von Mehrwert. Erweiterte Reproduktion bedeutet also kapitalistisch: Ausdehnung der Mehrwertproduktion. Die Mehrwertproduktion geht zwar in der Form der Warenproduktion, in letzter Linie also Produktion von Konsumgegenständen, vor sich. Allein in der Reproduktion werden diese zwei Gesichtspunkte durch Verschiebungen in der Produktivität der Arbeit immer wieder getrennt. Dieselbe Kapitalgröße und Mehrwertgröße wird sich durch Steigerung der Produktivität fortschreitend in einer größeren Menge Konsumgegenstände darstellen. Die Produktionserweiterung im Sinne der Herstellung einer größeren Masse von Gebrauchswerten braucht also an sich noch nicht erweiterte Reproduktion im kapitalistischen Sinne zu sein. Umgekehrt kann das Kapital ohne Änderung in der Produktivität der Arbeit in gewissen Schranken durch Steigerung der Ausbeutungsstufe - zum Beispiel durch Herabdrückung der Löhne - einen größeren Mehrwert herausschlagen. ohne eine größere Produktenmenge herzustellen. Aber in diesem wie in jenem Fall werden gleichermaßen die Elemente der erweiterten Reproduktion im kapitalistischen Sinne hergestellt. Denn diese Elemente sind: Mehrwert sowohl als Wertgröße wie als Summe von sachlichen Produktionsmitteln. Die Erweiterung der Mehrwertproduktion wird, als Regel betrachtet, durch Vergrößerung des Kapitals bewirkt, diese aber durch Hinzuschlagen eines Teils des angeeigneten Mehrwerts zum Kapital. Dabei ist es gleichgültig, ob der kapitalistische Mehrwert zur Erweiterung der alten Unternehmung oder als selbständiger Ableger zu Neugründungen verwendet wird. Die erweiterte Reproduktion im kapitalistischen Sinne bekommt also den spezifischen Ausdruck des Kapitalwachstums durch progressive Kapitalisierung des Mehrwerts oder, wie Marx dies rennt, Kapitalakkumulation. Die allgemeine Formel der erweiterten Reproduktion unter der Herrschaft des Kapitals stellt sich also folgendermaßen dar:
(c + v) + m/x + m'
wobei m/x den kapitalisierten Teil des in der früheren Produktionsperiode angeeigneten Mehrwerts darstellt, m' den neuen, aus dem gewachsenen Kapital erzeugten Mehrwert. Dieser neue Mehrwert wird zu einem Teil wieder kapitalisiert. Der ständige Fluß dieser abwechselnden Mehrwertaneignung und Mehrwertkapitalisierung, die sich wechselseitig bedingen, bildet den Prozeß der erweiterten Reproduktion im kapitalistischen Sinne.
<21> Allein hier sind wir erst bei der allgemeinen, abstrakten Formel der Reproduktion. Betrachten wir näher die konkreten Bedingungen, die zur Verwirklichung dieser Formel erforderlich sind.
Der angeeignete Mehrwert stellt sich, nachdem er auf dem Markt glücklich die Warenform abgestreift hat, als eine bestimmte Geldsumme dar. In dieser Form hat er die absolute Wertgestalt, in der er seine Laufbahn als Kapital beginnen kann. Aber in dieser Gestalt steht er zugleich erst an der Schwelle seiner Laufbahn. Mit Geld kann man keinen Mehrwert schaffen
Damit der zur Akkumulation bestimmte Teil des Mehrwerts auch wirklich kapitalisiert wird, muß er die konkrete Gestalt annehmen, die ihn erst befähigt, als produktives, d.h. neuen Mehrwert heckendes Kapital zu wirken. Dazu ist es notwendig, daß er, genau wie das Originalkapital, in zwei Teile zerfällt, in einen konstanten, in toten Produktionsmitteln und einen variablen, in Arbeitslöhnen dargestellten Teil. Erst dann wird er, nach dem Vorbild des alten Kapitals, in die Formel c + v + m gebracht werden können.
Dazu genügt aber nicht der gute Wille des Kapitalisten zu akkumulieren, auch nicht seine "Sparsamkeit" und "Enthaltsamkeit", womit er den größeren Teil seines Mehrwerts zur Produktion verwendet, statt ihn in persönlichem Luxus ganz zu verjubeln. Dazu ist vielmehr erforderlich, daß er auf dem Warenmarkt die konkreten Gestalten vorfindet, die er seinem neuen Kapitalzuwachs zu geben gedenkt, also erstens gerade die sachlichen Produktionsmittel - Rohstoffe, Maschinen usw. -, deren er zu der von ihm geplanten und gewählten Produktionsart bedarf, um dem konstanten Kapitalteil die produktive Form zu geben. Zweitens aber muß auch die als variabler Teil bestimmte Kapitalportion die Verwandlung vornehmen können, und hierfür ist zweierlei notwendig: vor allem, daß sich auf dem Arbeitsmarkt die zuschüssigen Arbeitskräfte in genügender Anzahl vorfinden. deren es gerade bedarf, um den neuen Kapitalzuwachs in Bewegung zu setzen, und ferner, daß - da die Arbeiter nicht von Geld leben können - auf dem Warenmarkt auch die zuschüssigen Lebensmittel sich vorfinden, gegen die die neu zu beschäftigenden Arbeiter den vom Kapitalisten erhaltenen variablen Kapitalteil auszutauschen in der Lage sind.
Sind alle diese Vorbedingungen vorhanden, dann kann der Kapitalist seinen kapitalisierten Mehrwert in Bewegung setzen, ihn als prozessierendes Kapital neuen Mehrwert erzeugen lassen. Damit ist die Aufgabe noch nicht endgültig gelöst. Das neue Kapital mitsamt dem erzeugten Mehrwert <22> steckt vorerst noch in Gestalt einer neuen zuschüssigen Warenmasse irgendeiner Gattung. In dieser Gestalt ist das neue Kapital nur noch erst vorgeschossen und der von ihm erzeugte Mehrwert erst in seiner für den Kapitalisten unbrauchbaren Form. Damit das neue Kapital seinen Lebenszweck erfüllt, muß es seine Warengestalt abstreifen und mitsamt dem von ihm erzeugten Mehrwert in reiner Wertform, als Geld, in die Hand des Kapitalisten zurückkehren. Gelingt das nicht, dann sind neues Kapital und Mehrwert ganz oder teilweise verloren, die Kapitalisierung des Mehrwerts ist fehlgeschlagen, die Akkumulation hat nicht stattgefunden. Damit die Akkumulation tatsächlich vollzogen wird, ist also unbedingt erforderlich, daß die von dem neuen Kapital erzeugte zuschüssige Warenmenge auf dem Markt einen Platz für sich erobert, um realisiert werden zu können.
So sehen wir, daß die erweiterte Reproduktion unter kapitalistischen Bedingungen, d.h. als Kapitalakkumulation, an eine ganze Reihe eigentümlicher Bedingungen geknüpft ist. Fassen wir sie genau ins Auge. Erste Bedingung: Die Produktion muß Mehrwert erzeugen, denn der Mehrwert ist die elementare Form, unter der der Produktionszuwachs kapitalistisch allein möglich ist. Diese Bedingung muß im Produktionsprozeß selbst, im Verhältnis zwischen Kapitalist und Arbeiter, in der Warenproduktion eingehalten werden. Zweite Bedingung: Damit der Mehrwert, der zur Erweiterung der Reproduktion bestimmt ist, angeeignet wird, muß er, nachdem die erste Bedingung eingehalten, erst realisiert, in Geldform gebracht werden. Diese Bedingung führt uns auf den Warenmarkt, wo die Chancen des Austausches über die weiteren Schicksale des Mehrwerts, also auch der künftigen Reproduktion, entscheiden. Dritte Bedingung: Vorausgesetzt, daß die Realisierung des Mehrwerts gelungen und ein Teil des realisierten Mehrwerts zum Kapital zwecks Akkumulation geschlagen worden ist, muß das neue Kapital erst die produktive Gestalt, d.h. die Gestalt von toten Produktionsmitteln und Arbeitskräften annehmen, ferner muß der gegen Arbeitskräfte ausgetauschte Kapitalteil die Gestalt von Lebensmitteln für die Arbeiter annehmen. Diese Bedingung führt uns wieder auf den Warenmarkt und auf den Arbeitsmarkt. Ist hier das Nötige gefunden, hat erweiterte Reproduktion der Waren stattgefunden, dann tritt die vierte Bedingung hinzu: Die zuschüssige Warenmenge, die das neue Kapital samt neuem Mehrwert darstellt, muß realisiert, in Geld umgewandelt werden. Erst wenn dies gelungen, hat die erweiterte Reproduktion im kapitalistischen Sinne stattgefunden. Diese letzte Bedingung führt uns wieder auf den Warenmarkt.
<23> So spielt die kapitalistische Reproduktion wie die Produktion fortwährend zwischen der Produktionsstätte und dem Warenmarkt, zwischen dem Privatkontor und Fabrikraum, zu denen "Unbefugten der Zutritt streng verboten" und wo des Einzelkapitalisten souveräner Wille höchstes Gesetz ist, und dem Warenmarkt, dem niemand Gesetze vorschreibt und wo kein Wille und keine Vernunft sich geltend machen. Aber gerade in der Willkür und Anarchie, die auf dem Warenmarkt herrschen, macht sich dem Einzelkapitalisten seine Abhängigkeit von der Gesellschaft, von der Gesamtheit der produzierenden und konsumierenden Einzelglieder fühlbar. Zur Erweiterung seiner Reproduktion braucht er zuschüssige Produktionsmittel und Arbeitskräfte nebst Lebensmitteln für diese, aber das Vorhandensein solcher hängt von Momenten, Umständen, Vorgängen ab, die hinter seinem Rücken, ganz unabhängig von ihm sich vollziehen. Um seine vergrößerte Produktenmasse realisieren zu können, braucht er einen erweiterten Absatzmarkt, aber die tatsächliche Erweiterung der Nachfrage im allgemeinen wie insbesondere nach seiner Warengattung ist eine Sache, der gegenüber er völlig machtlos ist.
Die aufgezählten Bedingungen, die alle den immanenten Widerspruch zwischen privater Produktion und Konsumtion und gesellschaftlichem Zusammenhang beider zum Ausdruck bringen, sind keine neuen Momente, die erst bei der Reproduktion auftreten. Es sind die allgemeinen Widersprüche der kapitalistischen Produktion. Sie bieten sich jedoch als besondere Schwierigkeiten des Reproduktionsprozesses dar, und zwar aus folgenden Gründen: Unter dem Gesichtswinkel der Reproduktion, namentlich der erweiterten Reproduktion, erscheint die kapitalistische Produktionsweise nicht bloß in ihren allgemeinen Grundcharakteren, sondern auch in einem bestimmten Bewegungsrhythmus als ein Prozeß in seinem Fortgang, wobei das spezifische Ineinandergreifen der einzelnen Zahnräder seiner Produktionsperioden zum Vorschein kommt. Unter diesem Gesichtswinkel lautet also die Frage nicht in ihrer Allgemeinheit: Wie vermag jeder Einzelkapitalist die Produktionsmittel und Arbeitskräfte vorzufinden, die er braucht, und die Waren auf dem Markt abzusetzen, die er hat produzieren lassen, obwohl es gar keine gesellschaftliche Kontrolle und Planmäßigkeit gibt, die Produktion und Nachfrage miteinander in Einklang bringen würde. Die Antwort auf diese Frage lautet: Einerseits sorgen der Drang der Einzelkapitale nach Mehrwert und die Konkurrenz unter ihnen wie auch die automatischen Wirkungen der kapitalistischen Ausbeutung und der kapitalistischen Konkurrenz dafür, daß sowohl jegliche Waren, also auch Produktionsmittel hergestellt werden <24> wie daß eine wachsende Klasse proletarisierter Arbeiter im allgemeinen zur Verfügung des Kapitals stehen. Andererseits äußert sich die Planlosigkeit dieser Zusammenhänge darin, daß das Klappen von Nachfrage und Angebot auf allen Gebieten nur durch ständige Abweichungen von ihrer Übereinstimmung, durch Preisschwankungen stündlich und durch Konjunkturschwankungen und Krisen periodisch, durchgesetzt wird.
Unter dem Gesichtswinkel der Reproduktion lautet die Frage anders: Wie ist es möglich, daß die planlos vor sich gehende Versorgung des Marktes mit Produktionsmitteln und Arbeitskräften wie die planlos und unberechenbar sich verändernden Absatzbedingungen dem Einzelkapitalisten die jeweilig seinen Akkumulationsbedürfnissen entsprechenden, also in einem bestimmten Quantitätsverhältnis wachsenden Mengen und Gattungen Produktionsmittel, Arbeitskräfte und Absatzmöglichkeiten sichern? Fassen wir die Sache präziser. Der Kapitalist produziere nach der uns bekannten Formel in folgendem Verhältnis: 40 c + 10 v + 10 m, wobei das konstante Kapital viermal so groß wie das variable, die Ausbeutungsrate 100 Prozent sei. Die Warenmasse wird alsdann einen Wert von 60 darstellen. Nehmen wir an, der Kapitalist sei in der Lage, die Hälfte seines Mehrwertes zu kapitalisieren, und schlage sie zum alten Kapital nach derselben Zusammensetzung des Kapitals. Die nächste Produktionsperiode würde dann in der Formel zum Ausdruck kommen 44 c + 11 v + 11 m = 66. Nehmen wir an, daß der Kapitalist auch weiter in der Lage ist, die Hälfte seines Mehrwertes zu kapitalisieren und so jedes Jahr. Damit er dies bewerkstelligen kann, ist erforderlich, daß er nicht bloß überhaupt, sondern in der bestimmten Progression Produktionsmittel, Arbeitskräfte und Absatzgebiet vorfindet, die seinem Akkumulationsfortschritt entsprechen.
Fußnoten von Rosa Luxemburg
(1) K. Marx. Das Kapital. Bd. I, 4. Auf., 1890, S. 529. [Karl Marx: Das Kapital, Erster Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 591. <=
(2) In dieser Darstellung nehmen wir Mehrwert als identisch mit Profit an, was ja für die Gesamtproduktion, auf die es weiter allein ankommt, zutrifft. Auch sehen wir von der Spaltung des Mehrwerts in seine Einzelteile: Unternehmensgewinn, Kapitalzins, Rente, ab, da sie für das Problem der Reproduktion zunächst belanglos ist. <=
Zweites Kapitel
Die Analyse des Reproduktionsprozesses bei Quesnay und bei Adam Smith
<24> Bis jetzt haben wir die Reproduktion vom Standpunkt des Einzelkapitalisten betrachtet, der typischer Vertreter, Agent der Reproduktion ist, die ja durch lauter einzelne privatkapitalistische Unternehmungen ins Werk gesetzt wird. Diese Betrachtung hat uns schon genug Schwierigkeiten des Problems gezeigt. Die Schwierigkeiten wachsen aber und verwickeln sich außerordentlich, sobald wir uns von der Betrachtung des Einzelkapitalisten zur Gesamtheit der Kapitalisten wenden.
<25> Schon ein oberflächlicher Blick zeigt, daß die kapitalistische Reproduktion als gesellschaftliches Ganzes nicht einfach als die mechanische Summe der einzelnen privatkapitalistischen Reproduktionen aufgefaßt werden darf. Wir haben z.B. gesehen, daß eine der Grundvoraussetzungen für die erweiterte Reproduktion des Einzelkapitalisten eine entsprechende Erweiterung seiner Absatzmöglichkeit auf dem Warenmarkt ist. Nun mag diese Erweiterung dem einzelnen Kapitalisten nicht durch absolute Ausdehnung der Absatzschranken im ganzen, sondern durch Konkurrenzkampf auf Kosten anderer Einzelkapitalisten gelingen, so daß dem einen zugute kommt, was ein anderer oder mehrere andere vom Markt verdrängte Kapitalisten als Verlust buchen. Dieser Vorgang wird dem einen Kapitalisten an erweiterter Reproduktion einbringen, was er anderen als Defizit in der Reproduktion aufzwingt. Der eine Kapitalist wird erweiterte Reproduktion, andere werden nicht einmal die einfache bewerkstelligen können, und die kapitalistische Gesellschaft im ganzen wird nur eine lokale Verschiebung. nicht aber eine quantitative Veränderung in der Reproduktion verzeichnen. Ebenso kann die erweiterte Reproduktion des einen Kapitalisten mit Produktionsmitteln und Arbeitskräften ins Werk gesetzt werden, die durch den Bankrott, also gänzliches oder teilweises Aufgeben der Reproduktion bei anderen Kapitalisten, freigesetzt worden sind.
Diese alltäglichen Vorgänge beweisen, daß die Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals etwas anderes ist als die ins unermeßliche gesteigerte Reproduktion des Einzelkapitalisten, daß sich die Reproduktionsvorgänge der einzelnen Kapitale vielmehr unaufhörlich kreuzen und in ihrer Wirkung jeden Moment gegenseitig in größerem oder geringerem Grade aufheben können. Bevor wir also den Mechanismus und die Gesetze der kapitalistischen Gesamtreproduktion untersuchen, ist es notwendig, die Frage zu stellen, was wir uns denn unter der Reproduktion des Gesamtkapitals vorstellen sollen und ob es überhaupt möglich ist, aus dem Wust der zahllosen Bewegungen der Einzelkapitale, die sich alle Augenblicke nach unkontrollierbaren und unberechenbaren Regeln verändern und teils parallel nebeneinander verlaufen, sich teils kreuzen und aufheben, so etwas wie eine Gesamtreproduktion zu konstruieren. Gibt es denn überhaupt ein Gesamtkapital der Gesellschaft, und was stellt dieser Begriff allenfalls in der realen Wirklichkeit dar? Das ist die erste Frage, die sich die wissenschaftliche Erforschung der Reproduktionsgesetze stellen muß. Der Vater der Physiokratenschule, Quesnay, der mit der klassischen Unerschrockenheit und Einfachheit in der ersten Morgenröte der <26> Nationalökonomie wie der bürgerlichen Wirtschaftsordnung an das Problem herantrat, nahm die Existenz des Gesamtkapitals als einer realen agierenden Größe ohne weiteres als selbstverständlich an. Sein berühmtes und von niemand bis Marx enträtseltes "Tableau économique" stellt in wenigen Zahlen die Reproduktionsbewegung des Gesamtkapitals dar, bei der Quesnay zugleich berücksichtigt, daß sie unter der Form des Warenaustausches, d.h. zugleich als Zirkulationsprozeß aufgefaßt werden muß. "Quesnays Tableau économique zeigt in wenigen großen Zügen, wie ein dem Werte nach bestimmtes Jahresergebnis der nationalen Produktion sich so durch die Zirkulation verteilt, daß ... dessen einfache Reproduktion vorgehn kann ... Die zahllosen individuellen Zirkulationsakte sind sofort zusammengefaßt in ihrer charakteristisch-gesellschaftlichen Massenbewegung - der Zirkulation zwischen großen, funktionell bestimmten ökonomischen Gesellschaftsklassen."(1)
Bei Quesnay besteht die Gesellschaft aus drei Klassen: der produktiven, d.h. aus Landwirten; der sterilen, die alle außerhalb der Landwirtschaft Tätigen umfaßt: Industrie, Handel, liberale Berufe; und der Klasse der Grundbesitzer einschließlich des Souveräns und der Einnehmer des Zehnten. Das nationale Gesamtprodukt kommt in der Hand der Produktiven als eine Menge von Nahrungsmitteln und Rohstoffen im Werte von fünf Milliarden Livres zum Vorschein. Davon stellen zwei Milliarden das jährliche Betriebskapital der Landwirtschaft dar, eine Milliarde den jährlichen Verschleiß des fixen Kapitals, zwei Milliarden sind das Reineinkommen, das an die Grundeigentümer geht. Außer diesem Gesamtprodukt haben die Landwirte - die hier rein kapitalistisch als Pächter gedacht sind - zwei Milliarden Livres an Geld in der Hand. Die Zirkulation geht nun in der Weise vonstatten daß die Pächterklasse den Grundbesitzern zwei Milliarden in Geld (das Resultat der vorherigen Zirkulationsperiode) als Pachtzins zahlt. Damit kauft die Grundbesitzerklasse für eine Milliarde von den Pächtern Lebensmittel und für die andere Milliarde von den Sterilen Industrieprodukte. Die Pächter ihrerseits kaufen für die zu ihnen zurückgekehrte Milliarde Industrieprodukte, worauf die sterile Klasse für die in ihren Händen befindlichen zwei Milliarden landwirtschaftliche Produkte: für eine Milliarde Rohstoffe usw. als Ersatz für das jährliche Betriebskapital und für eine Milliarde Lebensmittel, kauft. So ist zum Schluß das Geld zu seinem Ausgangspunkt, der Pächterklasse, zurückgekehrt, das Produkt ist unter alle Klassen verteilt, so daß die Kon- <27> sumtion aller gesichert [ist] und zugleich sowohl die produktive wie die sterile Klasse ihre Produktionsmittel erneuert wie die Klasse der Grundbesitzer ihre Revenue erhalten hat. Die Voraussetzungen der Reproduktion sind alle vorhanden, die Bedingungen der Zirkulation alle eingehalten worden, und die Reproduktion kann ihren regelmäßigen Lauf beginnen. (2)
Wie mangelhaft und primitiv diese Darstellung bei aller Genialität des Gedankens ist, werden wir im weiteren Verlaufe der Untersuchung sehen. Hier ist jedenfalls hervorzuheben, daß Quesnay an der Schwelle der wissenschaftlichen Nationalökonomie nicht den geringsten Zweifel an der Möglichkeit der Darstellung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals und seiner Reproduktion hegte. Allein schon bei Adam Smith beginnt zugleich mit der tieferen Analyse der Kapitalverhältnisse auch die Verwirrung in den klaren und großen Zügen der physiokratischen Vorstellung. Smith warf die ganze Grundlage der wissenschaftlichen Darstellung des kapitalistischen Gesamtprozesses um, indem er jene falsche Preisanalyse aufgestellt hat, die seit ihm die bürgerliche Ökonomie lange Zeit beherrschte, nämlich die Theorie, wonach der Wert der Waren zwar die Menge der auf sie verausgabten Arbeit darstelle, zugleich aber der Preis sich nur aus den drei Komponenten Arbeitslohn, Kapitalprofit und Grundrente zusammensetze. Da dies offenbar sich auch auf die Gesamtheit der Waren, auf das nationale Produkt beziehen muß, so bekommen wir die verblüffende Entdeckung, daß der Wert der kapitalistisch hergestellten Waren in seiner Gesamtheit zwar alle bezahlten Löhne und Kapitalprofite nebst Rente, d.h. den gesamten Mehrwert repräsentiert, also auch ersetzen kann, daß aber dabei dem auf die Herstellung dieser Waren verwendeten konstanten Kapital gar kein Wertteil der Warenmasse entspricht. v + m, das ist nach Smith die Wertformel des kapitalistischen Gesamtprodukts. "Diese drei Teile", sagt Smith, seine Ansicht an dem Beispiel des Korns erläuternd (Arbeitslohn, Profit und Grundrente), "scheinen entweder unmittelbar oder in letzter Linie den ganzen Getreidepreis auszumachen. Man könnte vielleicht noch einen vierten Teil für notwendig halten, um die Abnutzung des Arbeitsviehs und der Wirtschaftsutensilien auszuglei- <28> chen. Aber es muß beachtet werden, daß der Preis aller Wirtschaftsutensilien sich wieder aus denselben drei Teilen zusammensetzt; so wird der Preis eines Arbeitspferdes z.B. gebildet durch: 1 die Rente des Bodens, welcher es ernährt hat, 2. die auf seine Zucht verwendete Arbeit und 3. den Kapitalgewinn des Pächters, welcher sowohl die Bodenrente als die Arbeitslöhne vorgestreckt hat. Wenn also auch der Getreidepreis den Wert des Pferdes sowohl als dessen Ernährung enthält, so löst er sich doch mittelbar oder unmittelbar in die genannten drei Bestandteile: Bodenrente, Arbeit und Kapitalgewinn, auf." (3) Indem uns Smith, wie Marx sagt, auf diese Weise von Pontius zu Pilatus herumschickt, löst er das konstante Kapital immer wieder in v + m auf. Freilich hatte Smith gelegentliche Zweifel und Rückfälle in die entgegengesetzte Meinung. Im zweiten Buch sagt er: "Es ist im ersten Buche dargelegt worden, daß der Preis der meisten Waren in drei Teile zerfällt, von denen einer den Arbeitslohn, ein anderer den Kapitalgewinn und ein dritter die Bodenrente bezahlt, welche auf die Erzeugung der Ware und ihr Zumarktebringen verwendet wurden ... Da dies bei jeder einzelnen Ware besonders genommen der Fall ist, so muß dasselbe, wie ebenfalls bereits bemerkt, für sämtliche den ganzen Jahresertrag von Boden und Arbeit eines jeden Landes darstellende Waren im ganzen genommen ebenfalls gelten. Der gesamte Preis oder Tauschwert dieses Jahresertrages muß sich in dieselben drei Teile auflösen und unter die verschiedenen Einwohner des Landes entweder als Lohn ihrer Arbeit oder als Gewinn ihres Kapitals oder als Rente ihres Bodens verteilen." Hier stutzt nun Smith und erklärt unmittelbar weiter:
"Obgleich aber der Gesamtwert des genannten Jahresertrages derart unter die verschiedenen Landesbewohner sich verteilt und ein Einkommen für sie darstellt, müssen wir doch bei letzterem ebenso wie bei der Rente eines Privatgutes zwischen Brutto- und Nettorente unterscheiden."
"Die Bruttorente eines Privatgutes besteht aus dem, was der Pächter bezahlt, und die Nettorente aus dem, was dem Grundbesitzer nach Abzug der Verwaltungs-, Reparatur- und anderer Kosten übrigbleibt, oder aus dem, was er ohne Schädigung seines Gutes seinem für unmittelbaren Verbrauch vorbehaltenen Vermögen zuwenden, für Tafel, Haushalt, Zieraten an Wohnung und Hausgerät, Privatgenüsse und Zerstreuungen ausgeben kann. Sein wirklicher Reichtum steht im Verhältnis nicht zu seiner Brutto-, sondern zu seiner Nettorente."
"Das Bruttoeinkommen aller Bewohner eines großen Landes umfaßt <29> den gesamten Jahresertrag ihres Bodens und ihrer Arbeit und ihr Nettoeinkommen das, was hiervon nach Abzug der Unterhaltungskosten zuerst ihres festliegenden und dann ihres umlaufenden Kapitals übrigbleibt, oder das, was sie ohne Beeinträchtigung ihres Kapitals ihrem für unmittelbaren Verbrauch vorbehaltenen Vermögen zuwenden, auf ihren Unterhalt, ihre Annehmlichkeiten und Genüsse ausgeben können. Ihr wirklicher Reichtum steht ebenfalls nicht im Verhältnis zu ihrem Brutto-, sondern zu ihrem Nettoeinkommen."(4)
Aber Smith führt hier einen dem konstanten Kapital entsprechenden Wertteil des Gesamtprodukts nur ein, um ihn im nächsten Augenblick wieder durch Auflösung in Löhne, Profite und Renten hinauszuführen. Und schließlich bleibt es bei seiner Erklärung:
" ... Ebenso wie Maschinen, Gewerbsgeräte usw., die das festliegende Kapital des einzelnen oder der Gemeinschaft ausmachen, weder einen Teil des Brutto- noch des Nettoeinkommens darstellen, ebenso bildet Geld, vermittels dessen das gesamte Gesellschaftseinkommen regelmäßig unter alle Gesellschaftsmitglieder verteilt wird, an sich keinen Bestandteil dieses Einkommens."(5)
Das konstante Kapital (das Smith fixes - in der schwerfälligen Loewenthalschen Übersetzung: festliegendes - nennt) wird also mit dem Geld auf eine Stufe gestellt und geht überhaupt in das Gesamtprodukt der Gesellschaft (ihr "Bruttoeinkommen") nicht ein, es existiert nicht als Wertteil des Gesamtprodukts!
Da selbst der König sein Recht verliert, wo nichts da ist, so kann offenbar aus der Zirkulation, aus dem gegenseitigen Austausch des so zusammengesetzten Gesamtprodukts auch nur die Realisierung der Löhne (v) und des Mehrwerts (m) erreicht, keineswegs aber das konstante Kapital ersetzt werden, und der Fortgang der Reproduktion erweist sich als unmöglich. Zwar wußte Smith ganz genau, und es fiel ihm nicht ein zu leugnen daß jeder einzelne Kapitalist außer einem Lohnfonds, d.h. variablem Kapital. zum Betrieb auch noch konstanten Kapitals bedarf. Allein für die Gesamtheit der kapitalistischen Produktion verschwand bei der obigen Preisanalyse der Waren das konstante Kapital auf rätselhafte Weise spurlos, und damit war das Problem der Reproduktion des Gesamtkapitals von Grund aus verfahren. Es ist klar, daß, wenn die elementarste Voraussetzung des Problems: die Darstellung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Schiffbruch gelitten hatte, daran auch die ganze Analyse scheitern <30> mußte. Die irrtümliche Theorie von Ad. Smith übernahmen Ricardo, Say, Sismondi und andere, und sie stolperten alle bei der Betrachtung des Reproduktionsproblems über diese elementare Schwierigkeit: die Darstellung des Gesamtkapitals.
Eine andere Schwierigkeit vermengte sich mit der obigen gleich zu Beginn der wissenschaftlichen Analyse. Was ist Gesamtkapital der Gesellschaft? Bei dem einzelnen ist die Sache klar, seine Betriebsauslagen sind sein Kapital. Der Wert seines Produkts bringt ihm - vorausgesetzt die kapitalistische Produktionsweise, also Lohnarbeit - außer seinen gesamten Auslagen noch einen Überschuß, den Mehrwert ein, der nicht sein Kapital ersetzt, sondern sein Reineinkommen ist, das er ganz verzehren kann, ohne sein Kapital zu beeinträchtigen, also seinen Konsumtionsfonds. Der Kapitalist kann freilich einen Teil dieses Reineinkommens "sparen", ihn nicht selbst verzehren, sondern zum Kapital schlagen. Aber das ist eine andere Sache, ein neuer Vorgang, Bildung eines neuen Kapitals, das auch wieder nebst Überschuß aus der folgenden Reproduktion ersetzt wird. Jedenfalls und stets ist aber das Kapital des einzelnen das, was er zur Produktion als Betriebsvorschuß brauchte, Einkommen das, was er für sich als Konsumtionsfonds verzehrt oder verzehren kann. Nehmen wir nun einen Kapitalisten und fragen, was sind die Löhne, die er seinen Arbeitern zahlt, so wird die Antwort lauten, sie sind offenbar ein Teil seines Betriebskapitals. Fragen wir aber, was sind diese Löhne für die Arbeiter, die sie empfangen. so kann die Antwort unmöglich lauten, sie sind Kapital; für die Arbeiter sind die empfangenen Löhne nicht Kapital, sondern Einkommen, Konsumtionsfonds. Nehmen wir ein anderes Beispiel. Ein Maschinenfabrikant läßt in seiner Fabrik Maschinen herstellen; sein Produkt ist jährlich eine gewisse Anzahl Maschinen. In diesem jährlichen Produkt, in seinem Wert steckt aber sowohl das vom Fabrikanten vorgestreckte Kapital als auch das erzielte Reineinkommen. Ein Teil der bei ihm hergestellten Maschinen repräsentiert somit sein Einkommen und ist bestimmt, im Zirkulationsprozeß, im Austausch dieses Einkommen zu bilden. Wer aber von unserem Fabrikanten seine Maschinen kauft, kauft sie offenbar nicht als Einkommen, nicht, um sie zu konsumieren, sondern um sie als Produktionsmittel zu verwenden; für ihn sind diese Maschinen Kapital.
Wir gelangen durch diese Beispiele zu dem Resultat: Was für den einen Kapital, ist für den anderen Einkommen und umgekehrt. Wie kann unter diesen Umständen so etwas wie Gesamtkapital der Gesellschaft konstruiert werden? In der Tat folgerte fast die gesamte wissenschaftliche <31> Ökonomie bis Marx, daß es kein gesellschaftliches Kapital gäbe.(6) Bei Smith sehen wir noch Schwankungen und Widersprüche in dieser Frage, ebenso bei Ricardo. Ein Say erklärt schon kategorisch:
"Auf diese Weise verteilt sich der gesamte Wert der Produkte in der Gesellschaft. Ich sage der gesamte Wert; denn wenn mein Profit nur einen Teil des Wertes des Produktes darstellt, an dessen Herstellung ich mitgewirkt habe, so bildet der übrige Teil den Profit meiner Mitproduzenten. Ein Tuchfabrikant kauft einem Pächter Wolle ab; er entlohnt verschiedene Arten Arbeiter und verkauft das Tuch, das so entstanden ist, zu einem Preis, der ihm seine Auslagen zurückerstattet und ihm einen Profit läßt. Er betrachtet als Profit, als Fonds für sein Einkommen in seiner Industrie nur das, was ihm als Reineinkommen bleibt nach Abzug seiner Kosten. Aber diese Kosten waren nichts anderes als Vorschüsse, die er an andere Produzenten der verschiedenen Teile des Einkommens macht und für die er sich aus dem Bruttowert des Tuchs schadlos hält. Das, was er dem Pächter für Wolle bezahlt hat, war Einkommen des Landwirts, seiner Hirten, des Gutsbesitzers, des Pachthofs. Der Pächter betrachtet als sein Nettoprodukt nur das, was ihm verbleibt nach der Abfindung seiner Arbeiter und seines Grundherrn; aber das, was er ihnen bezahlt hat, bildete einen Teil der Einkommen dieser letzteren, es war der Lohn für die Arbeiter, es war der Pachtzins für den Grundherrn, also für den einen das Einkommen aus der Arbeit, für den anderen das Einkommen aus seinem Boden. Und es ist der Wert des Tuches, der das alles ersetzt hat. Man kann sich keinen Teil des Wertes dieses Tuches vorstellen, der nicht dazu gedient hörte, ein Einkommen zu zahlen. Sein ganzer Wert ist so draufgegangen."
"Mann ersieht daraus, daß der Ausdruck Reinprodukt nur auf einzelne Unternehmer Anwendung finden kann, daß aber die Einkommen aller einzelnen zusammengenommen oder der Gesellschaft dem nationalen Rohprodukt der Erde, der Kapitale und der Industrie (Say nennt so die Arbeit) gleich ist. Das vernichtet (ruine) das System der Ökonomen des achtzehnten Jahrhunderts (Physiokraten), die als Einkommen der Gesellschaft nur das Reinprodukt des Bodens betrachteten und folgerten, daß die Gesellschaft nur einen diesem Reinprodukt entsprechenden Wert konsumieren könne, als ob die Gesellschaft nicht den ganzen Wert, den sie geschaffen, konsumieren könnte!"(7)
<32> Say belegt diese Theorie in einer ihm eigenen Weise. Während Ad. Smith den Beweis dadurch zu erbringen suchte, daß er jedes private Kapital auf seine Produktionsstätte verwies, um es in bloßes Arbeitsprodukt aufzulösen, jedes Arbeitsprodukt aber, streng kapitalistisch, als eine Summe bezahlter und unbezahlter Arbeit, als v + m auffaßte, und so dazu kam, schließlich das Gesamtprodukt der Gesellschaft in v + m aufzulösen, beeilt sich Say natürlich, mit sicherer Hand diese klassischen Irrtümer in ordinäre Vulgarismen zu verballhornen. Says Beweisführung beruht darauf, daß der Unternehmer in jedem Stadium der Produktion die Produktionsmittel (die für ihn Kapital bilden) anderen Leuten, den Vertretern früherer Produktionsstadien, bezahlt und daß jene Leute diese Bezahlung ihrerseits teils als eigenes Einkommen in die Tasche stecken, teils als Zurückerstattung der Auslagen gebrauchen, die sie selbst vorgestreckt hatten, um noch anderen Leuten ihr Einkommen zu bezahlen. Die Smithsche endlose Kette von Arbeitsprozessen verwandelt sich bei Say in eine endlose Kette von gegenseitigen Vorschüssen auf Einkommen und Zurückerstattungen aus dem Verkauf; auch der Arbeiter erscheint hier als ganz gleichgestellt dem Unternehmer: Er bekommt im Lohn sein Einkommen "vorgestreckt" und bezahlt es seinerseits mit geleisteter Arbeit. So stellt sich der schließliche Wert des gesellschaftlichen Gesamtprodukts als Summe von lauter "vorgeschossenen" Einkommen dar und geht im Austauschprozeß drauf, sämtliche Vorschüsse zu ersetzen. Bezeichnend für die Flachheit Says ist, daß er die gesellschaftlichen Zusammenhänge der kapitalistischen Reproduktion an dem Beispiel der Uhrenproduktion demonstriert - einem damals (und zum Teil heute noch) rein manufakturmäßigen Zweig, in dem die "Arbeiter" auch als kleine Unternehmer figurieren und der Produktionsprozeß des Mehrwerts durch lauter sukzessive Austauschakte der einfachen Warenproduktion maskiert ist.
Auf diese Weise bringt Say die von Smith angerichtete Verwirrung zum gröbsten Ausdruck: Die ganze von der Gesellschaft jährlich hergestellte Produktenmasse geht in ihrem Wert in lauter Einkommen auf; sie wird also jährlich auch ganz konsumiert. Der Wiederbeginn der Produktion ohne Kapital, ohne Produktionsmittel erscheint als ein Rätsel, die kapitalistische Reproduktion als ein unlösbares Problem.
Vergleicht man die Verschiebung, die das Problem der Reproduktion seit den Physiokraten bis Ad. Smith erfahren hat, so ist sowohl ein teilweiser Fortschritt wie ein teilweiser Rückschritt nicht zu verkennen. Das Charakteristische an dem ökonomischen System der Physiokraten war ihre Annahme, daß die Landwirtschaft allein Überschuß, d.h. Mehrwert, <33> schaffe, die agrikole Arbeit somit die einzige produktive - im kapitalistischen Sinne - sei. Dementsprechend sehen wir im "Tableau éonomique", daß die "sterile" Klasse der Manufakturarbeiter nur für dieselben zwei Milliarden Wert schafft, die sie an Rohstoffen und Lebensmitteln verzehrt. Dementsprechend gehen auch im Austausch die gesamten Manufakturwaren je zur Hälfte an die Klasse der Pächter und der Grundbesitzer, während die Manufakturklasse selbst ihre eigenen Produkte gar nicht konsumiert. So reproduziert die Manufakturklasse in ihrem Warenwert eigentlich nur das verbrauchte zirkulierende Kapital, ein Einkommen der Unternehmerklasse wird hier gar nicht geschaffen. Das einzige Einkommen der Gesellschaft über alle Kapitalauslagen hinaus, das in Zirkulation kommt, wird in der Landwirtschaft geschaffen und von der Grundbesitzerklasse in Gestalt der Grundrente verzehrt, während die Pächterklasse auch nur ihr Kapital wieder ersetzt: eine Milliarde Zinsen vom fixen Kapital und zwei Milliarden zirkulierendes Betriebskapital, was zusammen sachlich zu zwei Dritteln in Rohstoffen und Lebensmitteln, zu einem Drittel in Manufakturprodukten besteht. Ferner fällt auf, daß Quesnay die Existenz des fixen Kapitals, das er "avances primitives" im Unterschied von "avances annuelles" nennt, überhaupt nur bei der Landwirtschaft annimmt. Die Manufaktur arbeitet bei ihm anscheinend ohne jedes fixe Kapital, nur mit dem jährlich umlaufenden Betriebskapital, schafft dementsprechend in ihrer jährlichen Warenmasse auch keinen Wertteil zum Ersatz des Verschleißes an fixem Kapital (wie Baulichkeiten, Werkzeuge usw.).(8)
Diesen augenscheinlichen Mängeln gegenüber bringt die englische klassische Schule vor allem den entscheidenden Fortschritt, daß sie jede Art Arbeit als produktiv erklärt, d.h. die Schaffung des Mehrwerts sowohl in der Manufaktur wie in der Landwirtschaft aufdeckt. Wir sagen: die englische klassische Schule, weil Ad. Smith auch in dieser Hinsicht neben klaren und entschiedenen Äußerungen im angegebenen Sinne gelegentlich ruhig selbst in die physiokratische Anschauung zurückfällt; erst bei Ricardo bekommt die Arbeitswerttheorie die höchste und konsequenteste Ausbildung, die sie in den Schranken der bürgerlichen Auffassung erreichen konnte. Daraus ergab sich, daß wir in der Manufakturabteilung der <34> gesellschaftlichen Gesamtproduktion ebenso die jährliche Hervorbringung eines Überschusses über sämtliche Kapitalanlagen, eines Reineinkommens, d.h. Mehrwerts, annehmen müssen wie in der Landwirtschaft.(9) Auf der anderen Seite ist Smith durch die Entdeckung der produktiven mehrwertschaffenden Eigenschaft jeder Art Arbeit, ganz gleich, ob in der Manufaktur oder in der Landwirtschaft, darauf geführt worden, daß auch die landwirtschaftliche Arbeit außer der Grundrente für die Grundbesitzerklasse noch Überschuß für die Pächterklasse über ihre sämtlichen Kapitalausgaben hervorbringen muß. So entstand auch neben Kapitalersatz jährliches Einkommen der Pächterklasse.(10) Endlich hat Smith durch systematische Ausarbeitung der von Quesnay aufgebrachten Begriffe der "avances primitives" und "avances annuelles" unter der Rubrik von fixem und zirkulierendem Kapital u.a. klargemacht, daß die Manufakturabteilung der gesellschaftlichen Produktion genauso eines fixen Kapitals außer dem zirkulierenden bedarf wie die Landwirtschaft, folglich auch eines entsprechenden Wertteils zum Ersatz des Verschleißes jenes Kapitals. So war Smith auf dem besten Wege, in die Begriffe vorn Kapital und Einkommen der Gesellschaft Ordnung zu bringen und sie exakt darzustellen. Den Höhepunkt der Klarheit, zu der er sich in dieser Beziehung durchgerungen hat, drückt die folgende Formulierung aus:
"Obgleich der gesamte Jahresertrag von Boden und Arbeit eines jeden Landes in letzter Linie zweifellos für den Verbrauch seiner Bewohner und dafür bestimmt ist, denselben ein Einkommen zu verschaffen, so teilt er sich doch bei seinem ersten Hervortreten aus dem Boden oder den Händen der produktiven Arbeiter naturgemäß in zwei Teile. Der eine der- <35> selben, und oft der größte, ist vor allem zur Wiedererstattung eines Kapitals oder zur Erneuerung der einem Kapital entzogenen Nahrungsmittel, Rohstoffe und angefertigter Waren bestimmt und der andere zur Herstellung eines Einkommens entweder für den Eigner dieses Kapitals als dessen Gewinn oder für irgendeinen anderen als dessen Bodenrente."(11)
"Das Bruttoeinkommen aller Bewohner eines großen Landes umfaßt den gesamten Jahresertrag ihres Bodens und ihrer Arbeit und ihr Nettoeinkommen das, was hiervon nach Abzug der Unterhaltungskosten zuerst ihres festliegenden (fixen) und dann ihres umlaufenden Kapitals übrigbleibt, oder das, was sie ohne Beeinträchtigung ihres Kapitals ihrem für unmittelbaren Verbrauch vorbehaltenen Vermögen zuwenden, auf ihren Unterhalt, ihre Annehmlichkeiten und Genüsse ausgeben können. Ihr wirklicher Reichtum steht ebenfalls nicht im Verhältnis zu ihrem Brutto-, sondern zu ihrem Nettoeinkommen."(12)
Hier erscheinen die Begriffe des Gesamtkapitals und Einkommens in einer allgemeinen und strengeren Fassung als im "Tableau économique": das gesellschaftliche Einkommen losgelöst von der einseitigen Verknüpfung mit der Landwirtschaft, das Kapital in seinen beiden Formen, des fixen und zirkulierenden, verbreitert zur Grundlage der gesamten gesellschaftlichen Produktion. Statt der irreführenden Unterscheidung der beiden Produktionsabteilungen der Landwirtschaft und der Manufaktur, sind hier in den Vordergrund geschoben andere Kategorien von funktioneller Bedeutung: die Unterscheidung von Kapital und Einkommen, ferner die Unterscheidung von fixem und zirkulierendem Kapital. Von hier aus schreitet Smith fort zur Analyse des gegenseitigen Verhältnisses und der Verwandlungen dieser Kategorien in ihrer gesellschaftlichen Bewegung: in der Produktion und Zirkulation, d.h. im Reproduktionsprozeß der Gesellschaft. Er hebt hier einen radikalen Unterschied zwischen dem fixen und dem zirkulierenden Kapital vom gesellschaftlichen Standpunkt hervor: "Die ganzen Unterhaltungskosten des festliegenden (soll heißen: fixen) Kapitals müssen augenscheinlich von dem Nettoeinkommen der Gesellschaft ausgeschieden werden. Weder die zur Erhaltung ihrer nutzbringenden Maschinen, Gewerbegeräte, Gebäude usw. notwendigen Roh- <36> stoffe noch das Produkt der auf deren Formung verwendeten Arbeit kann jemals einen Teil desselben ausmachen. Der Preis dieser Arbeit wird allerdings einen Teil des gesamten Nettoeinkommens bilden, da die dabei beschäftigten Arbeiter ihre Löhne ihrem für unmittelbaren Verbrauch vorbehaltenen Vermögen zuwenden können; aber bei anderen Arten von Arbeit fällt sowohl deren Preis als deren Produkt diesem Vermögensteile zu: ihr Preis dem der Arbeiter und ihr Produkt dem anderer Leute, deren Subsistenzmittel, Annehmlichkeiten und Zerstreuungen durch die Arbeit jener Werkleute vermehrt werden."(13)
Hier stößt Smith auf die wichtige Unterscheidung zwischen Arbeitern, die Produktionsmittel, und solchen, die Konsumtionsmittel herstellen. Bei den ersteren bemerkt er, daß der Wertbestandteil, den sie zum Ersatz ihrer Löhne schaffen, in Gestalt von Produktionsmitteln (wie Rohstoffe, Maschinen usw.) zur Welt kommt, d.h., daß hier der zum Einkommen der Arbeiter bestimmte Teil des Produkts in einer Naturalform existiert, die unmöglich zur Konsumtion dienen kann. Was die letztere Kategorie der Arbeitet betrifft, so bemerkt Smith, daß hier umgekehrt das gesamte Produkt, also sowohl der in ihm enthaltene Wertteil, der die Löhne (das Einkommen) der Arbeiter ersetzt, als auch der übrige Teil (Smith spricht es nicht aus, aber dem Sinne nach müßte seine Folgerung lauten: so auch der Teil, der das verbrauchte fixe Kapital darstellt) in Gestalt von Konsumartikeln erscheinen. Wir werden weiter sehen, wie nahe hier Smith an den Angelpunkt der Analyse gelangt ist, von dem aus Marx das Problem in Angriff genommen hat. Der allgemeine Schluß jedoch, bei dem Smith selbst bleibt, ohne die Grundfrage weiter zu verfolgen, ist der: Jedenfalls kann alles, was zur Erhaltung und Erneuerung des fixen Kapitals der Gesellschaft bestimmt ist, nicht zum Reineinkommen der Gesellschaft gerechnet werden.
Anders das zirkulierende Kapital.
"Scheiden auch die sämtlichen Unterhaltungskosten des festliegenden (fixen) Kapitals derart notwendig aus dem Nettoeinkommen der Gesellschaft aus, so ist dies doch nicht bei denen des Umlaufskapitals der Fall. Von den vier Bestandteilen des letzteren - Geld, Nahrungsmittel, Rohstoffe und angefertigte Waren - werden die drei letzten, wie bereits dargelegt, ihm regelmäßig entzogen und entweder dem festliegenden (fixen) Kapital oder dem für unmittelbaren Verbrauch vorbehaltenen Vermögen der Gesellschaft zugewendet. Jeder Teil dieser Verbrauchswaren, der nicht zum Unterhalt des festliegenden (fixen) Kapitals verwendet wird, fließt <37> dem zum Verbrauch vorbehaltenen Vermögen zu und bildet einen Teil des Nettoeinkommens der Gesellschaft. Der Unterhalt dieser drei Bestandteile des Umlaufskapitals entzieht somit dem Nettoeinkommen der Gesellschaft nur so viel von dem jährlichen Ertrage als zur Erhaltung des festliegenden Kapitals notwendig ist."(14)
Man sieht, daß Smith hier in die Kategorie des zirkulierenden Kapitals einfach alles außer dem bereits angewandten fixen Kapital, also sowohl Lebensmittel wie Rohstoffe wie auch das gesamte noch nicht realisierte Warenkapital (also zum Teil noch einmal dieselben Lebensmittel und Rohstoffe, zum Teil Waren, die ihrer Naturalgestalt gemäß zum Ersatz des fixen Kapitals gehören), zusammengeworfen, den Begriff des zirkulierenden Kapitals zweideutig und schillernd gemacht hat. Aber neben und mitten durch diese Verwirrung gibt er dabei eine weitere wichtige Unterscheidung:
"In dieser Hinsicht verhält sich das Umlaufskapital der Gesellschaft anders als das eines Privaten. Das letztere bildet durchaus keinen Teil seines Nettoeinkommens, welches einzig und allein aus Gewinn hervorgehen muß. Obgleich aber das Umlaufskapital eines jeden einzelnen einen Teil desjenigen seiner Gemeinschaft ausmacht, ist es deshalb von dem Nettoeinkommen dieser Gemeinschaft nicht ebenso vollkommen ausgeschlossen."
Smith erläutert das Gesagte durch das folgende Beispiel:
"Obgleich die sämtlichen Waren, die ein Kaufmann in seinem Laden hat, gewiß nicht zu seinem für unmittelbaren Verbrauch vorbehaltenen Vermögen gerechnet werden dürfen, können sie doch als ein Teil dieses Vermögens anderer Leute betrachtet werden, welche mit Hilfe eines anderweitigen Einkommens und ohne sein oder ihr Kapital zu verringern dem Kaufmann den Wert seiner Waren samt Gewinn regelmäßig wiedererstatten können."(15)
Smith hat hier fundamentale Kategorien in bezug auf die Reproduktion und Bewegung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals herausgebracht. Fixes und zirkulierendes Kapital, Privatkapital und gesellschaftliches Kapital, Privateinkommen und gesellschaftliches Einkommen, Produktionsmittel und Konsummittel sind hier als große Kategorien herausgehoben und zum Teil in ihrer wirklichen, objektiven Durchkreuzung angedeutet, zum Teil ertränkt in den subjektiven theoretischen Widersprüchen der Smithschen Analyse. Das knappe, strenge und klassisch durchsichtige <38> Schema des Physiokratismus ist hier aufgelöst in einen Wust von Begriffen und Beziehungen, die auf den ersten Blick ein Chaos darstellen. Aus diesem Chaos treten aber bereits halb und halb neue, tiefer, moderner und lebendiger als bei Quesnay gepackte Zusammenhänge des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses hervor, die in dem Chaos unfertig steckenbleiben, wie Michelangelos Sklave in seinem Marmorblock.
Das ist das eine Bild, das Smith zum Problem liefert. Gleichzeitig aber faßt er es von einer ganz anderen Seite - von der Wertanalyse an. Gerade dieselbe über die Physiokraten hinausführende Theorie von der wertschaffenden Eigenschaft jeder Arbeit sowohl wie die streng kapitalistische Unterscheidung jeder Arbeit in bezahlte (den Lohn ersetzende) sowie unbezahlte (Mehrwert schaffende) Arbeit wie endlich die strenge Spaltung des Mehrwerts in seine zwei Hauptkategorien Profit und Grundrente - lauter Fortschritte über die physiokratische Analyse hinaus -, verleiteten Smith zu jener merkwürdigen Behauptung, der Preis jeder Ware bestehe aus Lohn + Profit + Grundrente oder kürzer, im Marxschen Ausdruck, aus v + m. Daraus folgte, daß auch die Gesamtheit der von der Gesellschaft jährlich hergestellten Waren in ihrem totalen Wert in diese zwei Teile: Löhne und Mehrwert, restlos zerfalle. Hier verschwand plötzlich die Kategorie des Kapitals gänzlich, die Gesellschaft produziert nichts als Einkommen, nichts als Konsumartikel, die auch von der Gesellschaft ganz verzehrt werden. Die Reproduktion ohne Kapital wird zum Rätsel, und die Analyse des Problems im ganzen macht einen gewaltigen Schritt hinter die Physiokraten zurück.
Die Nachfolger Smith' fassen seine Doppeltheorie just von der falschen Seite an. Während die wichtigen Ansätze zu einer exakten Darstellung des Problems, die er im zweiten Buch gibt, bis auf Marx unberührt blieben, wurde die im ersten Buch gegebene grundfalsche Preisanalyse von den meisten seiner Nachfolger als teure Erbschaft gehoben und entweder unbekümmert akzeptiert, wie bei Ricardo, oder zum flachen Dogma fixiert, wie bei Say. Wo bei Smith fruchtbare Zweifel und anregende Widersprüche waren, tritt bei Say die anmaßende Unerschütterlichkeit des Vulgrarus. Für Say wird die Smithsche Beobachtung, daß, was für den einen Kapital, für den anderen Einkommen sein könne, zum Grund, jede Unterscheidung zwischen Kapital und Einkommen auf gesellschaftlichem Maßstab überhaupt für absurd zu erklären. Die Absurdität hingegen, daß der Gesamtwert der jährlichen Produktion in lauter Einkommen eingehe und konsumiert werde, wird von Say zum Dogma von absoluter Gültigkeit erhoben. Da die Gesellschaft somit jedes Jahr ihr Gesamtprodukt restlos <39> verkonsumiert, so verwandelt sich die gesellschaftliche Reproduktion, die ja ohne Produktionsmittel ins Werk tritt, in eine ähnliche Wiederholung des biblischen Wunders einer Weltschöpfung aus nichts.
In diesem Zustand blieb das Reproduktionsproblem bis auf Marx.
Fußnoten von Rosa Luxemburg
(1) Das Kapital. Bd. II. 2 Aufl., 1893. S. 332. [Karl Marx. Das Kapital. Zweiter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 359.] <=
(2) Siehe Analyse du Tableau économique. In Journal de l'Agriculture, du Commerce et des Finances, hrsg. von Du Pont 1766; S. 305 ff der Onckenschen Ausgabe der "Œvres de Quesnay". Quesnay bemerkt ausdrücklich, daß die von ihm geschilderte Zirkulation zwei Bedingungen zur Voraussetzung hat: einen ungehinderten Handelsverkehr und ein System von Steuern, die nur auf die Rente gelegt sind: "Mais ces données ont des conditions sine quabus non, elles supposent que la liberté du commerce soutient le débit de productions à un bon prix ... elles supposent d'ailleurs que le cultivateur n'ait à payer directement ou indirectement d'autre charges que le revenu, dont une partie, par exemple les deux septièmes, doit former le revenu du souverain." (l.c. S. 311.) <=
(3) Adam Smith: Natur und Ursache des Volkswohlstandes. Übersetzung von Loewenthal. Band I, 2. Aufl. S. 53. <=
(4) l.c., S. 291/292. <=
(5) l.c., S. 95 <=
(6) Über Rodbertus mit seinem spezifischen Begriff des "Nationalkapitals" weiter unten im zweiten Abschnitt. <=
(7) J. B. Say: Traité d'économie politique. 8. Aufl. 2 Buch, Kapitel V, Paris 1876, S. 376. <=
(8) Es ist übrigens zu bemerken, daß Mirabeau in seinen "Explicacions" zum "Tableau" an einer Stelle ausdrücklich das fixe Kapital der sterilen Klasse erwähnt: "Les avances primitives de cette classe pour établissement de manufactures, pour instruments, machines, moulins, forges et autres usines ... 2.000.000 l." Tableau économique avec ses Explications, 1760, S. 82.) In seinem sinnverwirrenden Entwurf des Tableau selbst zieht freilich auch Mirabeau dieses fixe Kapital der sterilen Klasse nicht in Anrechnung. <=
(9) Smith formuliert denn auch ganz allgemein : "Der Wert (nicht der "Mehrwert", wie Herr Loewenthal willkürlich übersetzt - R. L.), welchen die Arbeiter den Arbeitsstoffen hinzufügen, zerfällt somit hierbei in zwei Teile, in einen, der ihre Arbeitslöhne bestreitet und in einen andern, welcher den Gewinn ihres Arbeitgebers auf das gesamte für Stoffe und Löhne vorgestreckte Kapital darstellt." (Adam Smith: l.c., Bd. I, S. 51) Im Original: "The value which the workmen add to the materials, therefore, resolves itself in the case into two parts, of which the one pays their wages, the other the profits of their employer upon the whole stock of materials and wages which he advanced." (Wealth of Nations, hrsg. von MacCulloch, 1828, Bd. I, S. 83.) Und im zweiten Buch, Kapitel III, speziell über die Industriearbeit: "Dir Arbeit eines Fabrikarbeiters (fügt) dem Werte der von ihm verarbeiteten Rohstoffe den seines eigenen Unterhalts und des Gewinns seines Brotherrn hinzu; die eines Dienstboten dagegen erhöht den Wert von nichts. Obgleich der Fabrikarbeiter den Arbeitslohn von seinem Brotherrn vorgestreckt erhält, verursacht er diesem in Wirklichkeit doch keine Kosten, da er sie ihm in der Regel zuzüglich eines Gewinnes durch den erhöhten Wert des bearbeiteten Gegenstandes wiedererstattet." (l.c., Bd. I., S. 541.) <=
(10) "Die zur landwirtschaftlichen Arbeit verwendeten Menschen ... reproduzieren mithin nicht nur, wie die Fabrikarbeiter, einem ihrem eigenen Verbrauche oder dem sie beschäftigenden Kapitale samt dem Gewinne des Kapitalisten gleichen Wert, sondern einen viel größeren. Außer dem Kapitale des Pächters samt seinem ganzen Gewinne reproduzieren sie auch regelmäßig die Rente für den Grundbesitzer." (l.c., Bd. I., S. 377) <=
(11) l.c. Bd. I., S. 342. Freilich verwandelt Smith schon in dem darauffolgenden Satz das Kapital ganz in Löhne, in variables Kapital: "That part of the annual produce of the land and labour of any country which replaces capital, never is immediately imployed so maintain any but productive hands. It pays the wages of productive labour only. That which is immediately destined for constituting a revenue, either as profit or as rent, may maintain indifferently either productive hands." (Ausgabe MacCulloch, Bd. II., S. 98) <=
(12) l.c., Bd. I., S. 292. <=
(13) l.c., Bd. I., S. 292. <=
(14) l.c., Bd. I., S. 294. <=
(15) l.c., Bd. I., S. 294. <=
Drittes Kapitel - Kritik des Smithschen Analyse
<39> Fassen wir die Ergebnisse zusammen, zu denen die Analyse bei Smith vorgedrungen war. Sie lassen sich in folgenden Punkten darstellen.
1. Es gibt ein fixes Kapital der Gesellschaft, das in keinem Teil in das Reineinkommen der Gesellschaft eingeht. Dieses fixe Kapital bilden "Rohstoffe, mit denen die nützlichen Maschinen und Industriewerkzeuge instand gehalten werden müssen", und "das Produkt der zur Umwandlung dieser Rohstoffe in die verlangte Gestalt erforderlichen Arbeit". Indem Smith die Produktion dieses fixen Kapitals noch ausdrücklich der Produktion direkter Lebensmittel als besondere Art entgegenstellt, verwandelt er tatsächlich fixes Kapital in das, was Marx konstantes genannt hat, d.h. den Kapitalanteil, der in allen sachlichen Produktionsmitteln, im Gegensatz zur Arbeitskraft, besteht.
2. Es gibt ein zirkulierendes Kapital der Gesellschaft. Davon bleibt aber nach Ausscheidung des "fixen" (will sagen: konstanten) Kapitalteils nur die Kategorie der Lebensmittel, die jedoch für die Gesellschaft kein Kapital, sondern Reineinkommen, Konsumtionsfonds bildet.
3. Kapital und Reineinkommen einzelner decken sich nicht mit Kapital und Reineinkommen der Gesellschaft. Was für die Gesellschaft nur fixes (will sagen: konstantes) Kapital ist, kann für einzelne nicht Kapital, sondern Einkommen, Konsumtionsfonds sein, nämlich in den Wertteilen des fixen Kapitals, die Löhne für die Arbeiter und Profite für die Kapitalisten darstellen. Umgekehrt kann zirkulierendes Kapital einzelner für die Gesellschaft kein Kapital, sondern Einkommen sein, namentlich insofern es Lebensmittel darstellt.
4. Das jährlich hergestellte gesellschaftliche Gesamtprodukt enthält in seinem Wert überhaupt kein Atom Kapital, sondern löst sich ganz auf in drei Einkommensarten: Arbeitslöhne, Kapitalprofite und Grundrenten.
Wer sich aus den hier angeführten Gedankenfragmenten das Bild der jährlichen Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals und ihres <40> Mechanismus zusammenstellen möchte, dürfte bald an der Aufgabe verzweifeln. Wie bei alledem schließlich das gesellschaftliche Kapital jährlich immer wieder erneuert, die Konsumtion aller durch das Einkommen gesichert wird und zugleich die einzelnen ihre Kapital- und Einkommensgesichtspunkte einhalten - dies erscheint noch unendlich entfernt von der Lösung. Es ist aber nötig, sich die ganze Ideenwirre und die Fülle der widersprechenden Gesichtspunkte zu vergegenwärtigen, um zu ermessen, wieviel Licht erst Marx in das Problem hineingetragen hat.
Fangen wir mit dem letzten Dogma Ad. Smith' an, das allein genügte, um das Reproduktionsproblem in der klassischen Nationalökonomie scheitern zu lassen. Die Wurzel der bizarren Vorstellung Smith', daß das Gesamtprodukt der Gesellschaft in seinem Werte in lauter Löhne, Profite und Grundrenten restlos aufgehen müßte, liegt gerade in seiner wissenschaftlichen Erfassung der Werttheorie. Arbeit ist die Quelle alles Wertes. Jede Ware ist, als Wert betrachtet, Produkt der Arbeit und nichts mehr. Jede geleistete Arbeit ist aber als Lohnarbeit - diese Identifizierung der menschlichen Arbeit mit kapitalistischer Lohnarbeit ist gerade das klassische bei Smith - zugleich Ersatz für die ausgelegten Arbeitslöhne wie Überschuß aus unbezahlter Arbeit als Profit für den Kapitalisten und Rente für den Grundeigentümer. Was für jede einzelne Ware stimmt, muß für die Gesamtheit der Waren stimmen. Der gesamte Warenhaufen, der jährlich von der Gesellschaft produziert wird, ist als Wertquantum nur Produkt der Arbeit, und zwar sowohl bezahlter wie unbezahlter Arbeit, zerfällt also gleichfalls in lauter Löhne und Profite nebst Renten. Freilich kommen bei jeder Arbeit noch Rohstoffe, Instrumente usw. in Betracht. Allein, was sind diese Rohstoffe und Instrumente anderes als gleichfalls Produkte der Arbeit, und zwar wiederum teils bezahlter, teils unbezahlter Arbeit. Wir können so weit zurückgehen, so viel drehen und wenden, wie wir wollen, wir werden im Wert resp. Preis sämtlicher Waren nichts finden, was nicht einfach menschliche Arbeit wäre. Jede Arbeit zerfällt aber in einen Teil, der Löhne ersetzt, und einen anderen, der an die Kapitalisten und Grundbesitzer geht. Es gibt nichts als Löhne und Profite - es gibt aber doch Kapital -, Kapital der einzelnen und Kapital der Gesellschaft. Wie also aus diesem krassen Widerspruch herauskommen? Daß hier in der Tat eine äußerst harte theoretische Nuß vorlag, beweist die Tatsache, wie lange Marx selbst sich in die Materie hineinbohrte, ohne zunächst vorwärtszukommen und einen Ausweg zu finden, wie man dies in seinen "Theorien über den Mehrwert", I, S.179-252 [Karl Marx: Theorien über den Mehrwert, Erster Teil. In: Karl Marx/Friedrich Engels: <41> Werke, Bd. 26.1, S. 78-121, 158-168, 190/191 u. 202-222.], verfolgen kann. Die Lösung gelang ihm aber doch glänzend, und zwar auf Grund seiner Werttheorie. Smith hatte vollkommen recht: Der Wert jeder Ware im einzelnen und aller insgesamt stellt nichts als Arbeit dar. Er hatte ferner recht, wenn er sagte: Jede Arbeit (kapitalistisch betrachtet) zerfällt in bezahlte (die Löhne ersetzt) und unbezahlte (die als Mehrwert an die verschiedenen Besitzerklassen der Produktionsmittel wandert). Er vergaß aber oder übersah vielmehr, daß die Arbeit neben der Eigenschaft, neuen Wert zu schaffen, auch noch die Eigenschaft hat, den alten Wert, der in den Produktionsmitteln steckt, auf die neue, mit diesen Produktionsmitteln hergestellte Ware zu übertragen. Ein Arbeitstag des Bäckers von 10 Stunden kann nicht mehr Wert schaffen als den von 10 Stunden, und diese 10 Stunden zerfallen kapitalistisch in bezahlte und unbezahlte, in v + m. Aber die in diesen 10 Stunden hergestellte Ware wird mehr Wert darstellen als den der 10stündigen Arbeit. Sie wird nämlich auch noch den Wert des Mehls, des vernutzten Backofens, der Arbeitsgebäude, des Feuerungsmaterials usw., kurz aller zum Backen nötigen Produktionsmittel enthalten. Der Wert der Ware könnte sich nur unter einer Bedingung glatt in v + m auflösen: wenn der Mensch in der Luft arbeiten würde, ohne Rohstoff, ohne Arbeitsinstrument, ohne Werkstätte. Da aber jede materielle Arbeit irgendwelche Produktionsmittel voraussetzt, die selbst Produkte vergangener Arbeit sind, so muß sie diese vergangene Arbeit, d.h. den von ihr geschaffenen Wert, auch auf das neue Produkt übertragen.
Hier handelt es sich nicht um einen Vorgang, der etwa nur in der kapitalistischen Produktion stattfindet. sondern um allgemeine von der historischen Form der Gesellschaft unabhängige Grundlagen der menschlichen Arbeit. Das Operieren mit selbstgefertigten Arbeitsinstrumenten ist das fundamentale kulturhistorische Kennzeichen der menschlichen Gesellschaft. Der Begriff der vergangenen Arbeit, die jeder neuen vorausgeht und ihr die Operationsbasis bereitet, drückt die kulturhistorische Verknüpfung zwischen Mensch und Natur aus, die dauernde Kette der ineinander verschlungenen Arbeitsanstrengungen der menschlichen Gesellschaft, deren Anfang sich in der grauen Dämmerung der gesellschaftlichen Menschwerdung verliert, deren Ende nur mit dem Untergang der gesamten Kulturmenschheit erreicht werden kann. Jede menschliche Arbeit haben wir uns also zu denken als vorgehend an der Hand von Arbeitsmitteln, die selbst schon Produkt früherer Arbeit sind. In jedem neuen Produkt steckt also nicht bloß die neue Arbeit, die ihm die letzte Gestalt verliehen, <42> sondern auch die vergangene, die zu ihm den Stoff, das Arbeitsinstrument usw. geliefert hatte. In der Wertproduktion, d.h. in der Warenproduktion, wozu auch die kapitalistische gehört, wird diese Erscheinung nicht aufgehoben, sie bekommt nur einen spezifischen Ausdruck. Sie drückt sich in dem Doppelcharakter der warenproduzierenden Arbeit aus, die einerseits als nützliche konkrete Arbeit irgendeiner Art den nützlichen Gegenstand, den Gebrauchswert schafft, andererseits als abstrakte, allgemeine gesellschaftlich notwendige Arbeit Wert schafft. In ihrer ersten Eigenschaft tut sie, was die menschliche Arbeit stets getan: die vergangene Arbeit, die in den benutzten Produktionsmitteln steckt, auf das neue Produkt mitzuübertragen, nur daß auch diese vergangene Arbeit jetzt als Wert, als alter Wert erscheint. In ihrer zweiten Eigenschaft schafft sie Neuwert, der kapitalistisch in bezahlte und unbezahlte Arbeit: v + m zerfällt. Der Wert jeder Ware muß also sowohl alten Wert enthalten, den die Arbeit in ihrer Eigenschaft als nützliche konkrete Arbeit von den Produktionsmitteln auf die Ware überträgt, wie Neuwert, den dieselbe Arbeit in ihrer Eigenschaft als gesellschaftlich notwendige durch ihre bloße Verausgabung, durch ihre Dauer schafft.
Diese Unterscheidung konnte Smith nicht machen, da er den Doppelcharakter der wertschaffenden Arbeit nicht auseinanderhielt, und Marx glaubt an einer Stelle, in diesem fundamentalen Irrtum der Smithschen Werttheorie sogar die eigentliche tiefste Quelle seines seltsamen Dogmas von der restlosen Auflösung aller hergestellten Wertmasse in v + m erblicken zu müssen.(1) Die Nichtunterscheidung der beiden Seiten der warenproduzierenden Arbeit: der konkreten nützlichen und der abstrakten gesellschaftlich notwendigen, bildet in der Tat eines der hervorragendsten Merkmale nicht bloß der Smithschen, sondern der Werttheorie der ganzen klassischen Schule.
Unbekümmert um alle sozialen Konsequenzen hat die klassische Ökonomie die menschliche Arbeit als den allein wertschaffenden Faktor erkannt und diese Theorie bis zu jener Klarheit ausgearbeitet, die uns in der Ricardoschen Fassung vorliegt. Worin aber der fundamentale Unterschied zwischen der Ricardoschen und der Marxschen Arbeitswerttheorie liegt - ein Unterschied, der nicht nur von bürgerlichen Ökonomen verkannt, sondern auch in den Popularisationen der Marxschen Lehre meist unberücksichtigt bleibt -, ist, daß Ricardo, entsprechend seiner allgemeinen naturrechtlichen Auffassung von der bürgerlichen Wirtschaft, auch das <43> Wertschaffen für eine natürliche Eigenschaft der menschlichen Arbeit, der individuellen konkreten Arbeit des Einzelmenschen hielt.
Diese Auffassung tritt noch krasser bei Ad. Smith zutage, der ja z.B. den "Hang zum Tausche" direkt für eine Besonderheit der menschlichen Natur erklärt, nachdem er ihn vorher umsonst bei Tieren, wie bei Hunden usw., gesucht.
Übrigens erkennt Smith, wenn er auch den "Hang zum Tausche" bei Tieren bezweifelt, der tierischen Arbeit gleich der menschlichen wertschaffende Eigenschaft zu, namentlich dort, wo er gelegentlich Rückfälle in die physiokratische Auffassung aufweist.
"Kein anderes gleich großes Kapital setzt eine größere Menge von produktiver Arbeit in Bewegung als das des Landmannes. Nicht nur seine Arbeitsleute, sondern auch sein Arbeitsvieh sind produktive Arbeiter ... Die zur landwirtschaftlichen Arbeit verwendeten Menschen und Tiere reproduzieren mithin nicht nur, wie die Fabrikarbeiter, einen ihrem eigenen Verbrauche oder dem sie beschäftigenden Kapitale samt dem Gewinn des Kapitalisten gleichen Wert, sondern einen viel größeren. Außer dem Kapital des Pächters samt seinem ganzen Gewinn reproduzieren sie auch regelmäßig die Rente für den Grundbesitz."(2)
Hier kommt am drastischsten zum Ausdruck, daß Smith das Wertschaffen direkt für eine physiologische Eigenschaft der Arbeit als einer Äußerung des tierischen Organismus des Menschen hielt. So wie die Spinne aus ihrem Körper das Gespinst produziert, so schafft der arbeitende Mensch Wert - der arbeitende Mensch schlechthin, jeder Mensch, der nützliche Gegenstände schafft, denn der arbeitende Mensch ist von Hause aus Warenproduzent, wie die menschliche Gesellschaft von Natur aus eine auf Austausch beruhende, die Warenwirtschaft die normal-menschliche Wirtschaftsform ist.
Erst Marx erkannte im Werte ein besonderes, unter bestimmten geschichtlichen Bedingungen entstehendes gesellschaftliches Verhältnis, kam dadurch zur Unterscheidung der beiden Seiten der warenproduzierenden Arbeit: der konkreten individuellen und der unterschiedslosen gesellschaftlichen Arbeit, durch welche Unterscheidung erst die Lösung des Geldrätsels wie im Scheine einer Blendlaterne hell in die Augen springt.
Um auf diese Weise im Schoße der bürgerlichen Wirtschaft, statisch, den zwieschlächtigen Charakter der Arbeit, den arbeitenden Menschen und den wertschaffenden Warenproduzenten auseinanderzuhalten, mußte Marx vorher dynamisch, in der geschichtlichen Zeitfolge, den Warenproduzenten <44> vom Arbeitsmenschen schlechthin unterscheiden, das heißt die Warenproduktion bloß als eine bestimmte historische Form der gesellschaftlichen Produktion erkennen. Marx mußte, mit einem Worte, um die Hieroglyphe der kapitalistischen Wirtschaft zu enträtseln, mit einer entgegengesetzten Deduktion wie die Klassiker, statt mit dem Glauben an das Menschlich-Normale der bürgerlichen Produktionsweise mit der Einsicht in ihre historische Vergänglichkeit, an die Forschung herantreten, er mußte die metaphysische Deduktion der Klassiker in ihr Gegenteil, in die dialektische umkehren.(3)
Damit ist gegeben, daß für Smith die klare Unterscheidung der beiden Seiten der wertschaffenden Arbeit, insofern sie einerseits den alten Wert der Produktionsmittel auf das neue Produkt überträgt, andererseits zugleich Neuwert schafft, unmöglich war. Es scheint uns jedoch, daß sein Dogma von der Auflösung des Gesamtwerts in v + m noch aus einer anderen Quelle fließt. Es kann nicht angenommen werden, daß Smith die Tatsache selbst aus dem Auge läßt, daß jede hergestellte Ware nicht bloß den bei ihrer unmittelbaren Produktion geschaffenen Wert, sondern auch den Wert sämtlicher bei ihrer Herstellung verbrauchten Produktionsmittel enthält. Gerade dadurch, daß er uns für die restlose Auflösung des Gesamtwerts in v + m immer von einem Produktionsstadium in ein früheres, wie Marx sich ausdrückt, von Pontius zu Pilatus schickt, beweist er, daß er sich der Tatsache selbst wohl bewußt ist. Das Merkwürdige ist dabei nur, daß er auch den alten Wert der Produktionsmittel immer wieder in v + m auflöst und so schließlich den ganzen in der Ware enthaltenen Wert darin aufgehen läßt.
So in dem von uns bereits zitierten Passus über den Getreidepreis: "In dem Getreidepreis z.B. bezahlt ein Teil die Bodenrente für den Besitzer, ein anderer die Arbeitslöhne oder den Unterhalt der Arbeiter und des Arbeitsviehs und der dritte den Gewinn des Pächters. Diese drei Teile scheinen entweder unmittelbar oder in letzter Linie den ganzen Getreidepreis auszumachen. Man könnte vielleicht noch einen vierten Teil für notwendig halten, um die Abnutzung des Arbeitsviehs und der Wirtschaftsutensilien auszugleichen. Aber es muß beachtet werden, daß der Preis aller Wirtschaftsutensilien sich wieder aus denselben drei Teilen zusammensetzt: 1. die Rente des Bodens, welcher es ernährt hat; 2. die auf seine <45> Zucht verwendete Arbeit und 3. den Kapitalgewinn des Pächters, welcher sowohl die Bodenrente als die Arbeitslöhne vorgestreckt hat. Wenn also auch der Getreidepreis den Wert des Pferdes sowohl als dessen Ernährung enthält, so löst er sich doch mittelbar oder unmittelbar in die genannten drei Bestandteile: Bodenrente, Arbeit und Kapitalgewinn, auf."
Was Smith verwirrte, war, scheint es uns, folgendes:
1. Jede Arbeit geht vor sich mit irgendwelchen Produktionsmitteln. Aber das, was bei einer gegebenen Arbeit Produktionsmittel (Rohstoff, Instrument usw.), ist selbst Produkt einer früheren Arbeit. Für den Bäcker ist Mehl Produktionsmittel, dem er neue Arbeit zusetzt. Aber Mehl ist selbst aus der Arbeit des Müllers hervorgegangen, wo es nicht Produktionsmittel, sondern, genauso wie jetzt die Backware, Produkt war. Bei diesem Produkt war Korn als Produktionsmittel vorausgesetzt, aber wenn wir noch eine Stufe zurückgehen, so war Korn beim Landbauer nicht Produktionsmittel, sondern Produkt. Man kann kein wertenthaltendes Produktionsmittel finden, das nicht selbst Produkt einer früheren Arbeit wäre.
2. Kapitalistisch gesprochen, folgt daraus: Alles Kapital, das zur Herstellung irgendeiner Ware von Anfang bis zu Ende gebraucht wurde, läßt sich schließlich in ein gewisses Quantum geleisteter Arbeit auflösen.
3. Der Gesamtwert der Ware, alle Kapitalauslagen inbegriffen, löst sich also einfach in ein gewisses Arbeitsquantum auf. Und was auf jede Ware, muß sich auch auf die Gesamtheit der jährlich von der Gesellschaft hergestellten Warenmasse beziehen, auch ihr Gesamtwert löst sich in ein Quantum geleisteter Arbeit auf.
4. Jede kapitalistisch geleistete Arbeit zerfällt in zwei Teile: bezahlte, die die Löhne ersetzt, und unbezahlte, die Profite und Renten, d.h. Mehrwert schafft. Jede kapitalistisch geleistete Arbeit entspricht der Formel v + m.(4)
Alle bisherigen Thesen sind vollkommen richtig und unbestreitbar. Ihre Erfassung durch Smith beweist die Stärke und Unbeirrtheit seiner wissenschaftlichen Analyse und seinen Fortschritt in der Wert- und Mehrwertauffassung über die Physiokraten hinaus. Nur daß er bei These 3 gelegentlich in der Schlußfolgerung den groben Schnitzer machte: der Gesamtwert der jährlich hergestellten Warenmasse löse sich in das Quantum der in diesem Jahre geleisteten Arbeit auf, während er selbst an anderen Stellen zeigt, daß er sehr wohl weiß, der Wert der in einem Jahre von der Nation <46> hergestellten Waren schließe notwendig auch die Arbeit früherer Jahre - nämlich die in den übernommenen Produktionsmitteln eingeschlossene Arbeit - ein.
Und doch mußte die aus den obigen ganz richtigen vier Thesen gezogene Schlußfolgerung Smith': der Gesamtwert jeder Ware wie der jährlichen Warenmasse der Gesellschaft löse sich restlos in v + m auf, ganz falsch sein. Smith identifiziert die richtige These: aller Wert der Ware stellt nichts als gesellschaftliche Arbeit dar, mit der falschen: aller Wert stellt nichts als v + m dar. Die Formel v + m drückt die Funktion der lebendigen Arbeit unter kapitalistischen Wirtschaftsverhältnissen aus, nämlich die Doppelfunktion: 1. Ersatz des variablen Kapitals (der Löhne); 2. Schaffung des Mehrwerts für den Kapitalisten. Diese Funktion erfüllt die Lohnarbeit während ihrer Anwendung durch den Kapitalisten, und durch die Realisierung des Warenwerts in Geld zieht der Kapitalist sowohl das in Löhnen vorgeschossene variable Kapital zurück, wie er den Mehrwert in die Tasche steckt. v + m drückt also das Verhältnis zwischen Lohnarbeiter und Kapitalist aus, ein Verhältnis, das jedesmal mit der Herstellung der Ware zu Ende ist. Ist die Ware verkauft und das Verhältnis v + m in Geld für den Kapitalisten realisiert, dann ist das Verhältnis und seine Spur in der Ware also erloschen. Der Ware und ihrem Wert sieht man absolut nicht an, in welchem Verhältnis und ob überhaupt ihr Wert durch bezahlte und unbezahlte Arbeit hergestellt ist, das einzige, was zweifellose Tatsache, ist der Umstand, daß die Ware ein gewisses Quantum gesellschaftlich notwendiger Arbeit enthält, was in ihrem Austausch zum Ausdruck kommt. Für den Austausch selbst also wie für den Gebrauch der Ware ist es völlig gleichgültig, ob die Arbeit, die sie darstellt, in v + m zerfiel oder nicht. Nur ihr Quantum als Wert spielt eine Rolle im Austausch, und nur ihre konkrete Beschaffenheit, ihre Nützlichkeit spielt eine Rolle im Gebrauch. Die Formel v + m drückt also sozusagen nur das intime Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit, die soziale Funktion der Lohnarbeit aus, die im Produkt ganz erlischt. Anders mit dem ausgelegten Kapitalteil, der in Produktionsmitteln angelegt ist, dem konstanten Kapital. Der Kapitalist muß außer Lohnarbeit noch Produktionsmittel anschaffen, weil jede Arbeit gewisser Rohstoffe, Instrumente, Baulichkeiten zu ihrer Tätigkeit bedarf. Der kapitalistische Charakter auch dieser Bedingung der Produktion kommt darin zum Ausdruck, daß diese Produktionsmittel eben als c, als Kapital erscheinen, d.h. 1. als Eigentum einer anderen Person als die Arbeitenden, getrennt von der Arbeitskraft, als Eigentum der Nichtarbeitenden; 2. als bloßer Vorschuß, Auslage zum <47> Zwecke der Mehrwerterzeugung. Das konstante Kapital c erscheint hier nur als Grundlage für v + m. Aber das konstante Kapital drückt noch etwas mehr aus, nämlich die Funktion der Produktionsmittel im menschlichen Arbeitsprozeß unabhängig von jeder historisch-gesellschafthchen Form. Der Rohstoffe und Instrumente zur Arbeit bedarf in gleichem Maße der Feuerländer bei der Anfertigung seines Familienkanus, die kommunistische Bauerngemeinde in Indien bei der Bestellung der Gemeindeäcker, der ägyptische Fellache beim Anbau seiner Dorfländereien wie beim Bau der Pyramiden für den Pharao, der griechische Sklave in der kleinen athenischen Manufaktur, der feudale Fronbauer, der mittelalterliche Zunfthandwerker und der moderne Lohnarbeiter. Die aus menschlicher Arbeit bereits hervorgegangenen Produktionsmittel sind der Ausdruck des Kontakts der menschlichen Arbeit mit dem Naturstoff und dadurch ewige allgemeine Vorbedingung des menschlichen Produktionsprozesses. Die Figur c in der Formel c + v + m drückt also eine bestimmte Funktion der Produktionsmittel aus, die mit dem Aufhören der Arbeit nicht erlischt. Während es für den Austausch wie für den Gebrauch der Ware völlig gleichgültig ist, ob sie durch bezahlte oder unbezahlte Arbeit, durch Lohnarbeit, Sklavenarbeit, Fronarbeit oder irgendeine andere Arbeit zustande gekommen, ist es für den Gebrauch der Ware von entscheidender Wichtigkeit, ob sie selbst Produktionsmittel oder Lebensmittel ist. Die Tatsache, daß bei der Herstellung einer Maschine bezahlte und unbezahlte Arbeit verwendet worden, ist nur für den Fabrikanten der Maschine und seine Arbeiter von Bedeutung; für die Gesellschaft, die durch den Austausch die Maschine erwirbt, ist nur ihre Eigenschaft als Produktionsmittel, ihre Funktion im Produktionsprozeß von Bedeutung. Und genauso, wie jede produzierende Gesellschaft der wichtigen Funktion der Produktionsmittel seit jeher darin Rechnung tragen mußte, daß sie in jeder Produktionsperiode für die Herstellung erforderlicher Produktionsmittel der nächsten Periode Sorge trug, so kann auch die kapitalistische Gesellschaft jedes Jahr ihre Wertproduktion nach der Formel v + m, das heißt die Ausbeutung der Lohnarbeit nur dann in Angriff nehmen, wenn das erforderliche Quantum Produktionsmittel zur Bildung des konstanten Kapitals als Frucht der vorhergehenden Produktionsperiode vorhanden ist. Diese spezifische Verknüpfung jeder vergangenen Produktionsperiode mit der darauffolgenden, die die allgemeine ewige Grundlage des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses bildet und die darin besteht, daß ein Teil der Produkte jeder Periode bestimmt ist, Produktionsmittel für die folgende zu bilden, verschwand vor dem Blicke Smith'. An den Produktionsmitteln inter- <48> essierte ihn nicht ihre spezifische Funktion in dem Produktionsprozeß, wo sie angewendet, sondern nur die Tatsache, daß sie selbst ein Produkt der kapitalistisch angewendeten Lohnarbeit sind wie jede andere Ware. Die spezifisch kapitalistische Funktion der Lohnarbeit im Produktionsprozeß des Mehrwerts verdeckte ihm ganz die ewige allgemeine Funktion der Produktionsmittel im Arbeitsprozeß. Sein bürgerlich befangener Blick übersah völlig hinter dem besonderen sozialen Verhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital das allgemeine Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Hier scheint uns die eigentliche Quelle des wunderlichen Dogmas von Ad. Smith über die Auflösung des Gesamtwerts der gesellschaftlichen Jahresproduktion in v + m zu liegen. Smith übersah, daß das c als erstes Glied der Formel c + v + m der notwendige Ausdruck für die allgemeine gesellschaftliche Grundlage der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit ist.
Der Wert jeder Ware muß also in der Formel c + v + m ausgedrückt werden. Es fragt sich nun, inwiefern dies auf die Gesamtheit der Waren in einer Gesellschaft Anwendung findet. Wenden wir uns an die Zweifel Smith' darüber, nämlich an seine Aufstellung, fixes und zirkulierendes Kapital sowie Einkommen des einzelnen decken sich nicht mit denselben Kategorien vom gesellschaftlichen Standpunkt (S. 39, Punkt 3). Was für den einen zirkulierendes Kapital, sei für andere nicht Kapital, sondern Einkommen, z.B. die Kapitalvorschüsse für Löhne. Diese Behauptung beruht auf einem Irrtum. Wenn der Kapitalist den Arbeitern Löhne auszahlt, so gibt er nicht variables Kapital her, das in die Hände der Arbeiter wandert, um in ihr Einkommen verwandelt zu werden, sondern er gibt nur die Wertform seines variablen Kapitals für dessen Naturalform - die Arbeitskraft - hin. Das variable Kapital ist stets in der Hand des Kapitalisten erst in Geldform, dann in Gestalt der Arbeitskraft, die er gekauft, später in Form eines Wertteils der hergestellten Waren, um schließlich aus dem Erlös der Waren in Geldform - nebst Zuwachs - zu ihm zurückzukehren. Andererseits gelangt der Arbeiter nie in Besitz des variablen Kapitals. Für ihn ist die Arbeitskraft nie Kapital, sondern sein Vermögen (nämlich Vermögen zu arbeiten, das einzige, das er besitzt). Hat er sie veräußert und hat er Geld als Lohn eingenommen, so ist dieser Lohn für ihn gleichfalls kein Kapital, sondern der Preis seiner verkauften Ware. Endlich die Tatsache, daß der Arbeiter mit den erhaltenen Löhnen Lebensmittel kauft, hat mit der Funktion, die dieses Geld als variables Kapital in den Händen des Kapitalisten gespielt hat, so wenig zu tun wie der Privatgebrauch, den jeder Verkäufer einer Ware mit dem erhaltenen Geld macht. Nicht das variable Kapital des Kapitalisten wird also zum Ein- <49> kommen des Arbeiters, sondern der Preis der vom Arbeiter verkauften Ware Arbeitskraft, während das variable Kapital nach wie vor in der Hand des Kapitalisten bleibt und als solches fungiert.
Genauso falsch die Vorstellung, das Einkommen (Mehrwert) des Kapitalisten, das z.B. in noch nicht realisierten Maschinen steckt, was beim Maschinenfabrikanten der Fall, sei fixes Kapital für einen anderen, nämlich den Käufer der Maschinen. Was Einkommen des Maschinenfabrikanten ist, sind nicht Maschinen oder ein Teil der Maschine, sondern der in ihnen steckende Mehrwert, also unbezahlte Arbeit seiner Lohnarbeiter. Nach dem Verkauf der Maschine bleibt dieses Einkommen nach wie vor in der Hand des Maschinenfabrikanten, es hat nur seine Erscheinungsform gewechselt, ist aus Maschinenform in Geldform verwandelt. Umgekehrt ist der Käufer der Maschine nicht erst durch ihren Ankauf in Besitz seines fixen Kapitals gelangt, sondern er hatte dieses vorher schon als ein gewisses Geldkapital in der Hand gehabt. Durch den Ankauf der Maschine hat er nur seinem Kapital die entsprechende sachliche Gestalt gegeben, die er brauchte, um es produktiv fungieren zu lassen. Vor dem Verkauf der Maschine wie nach ihrem Verkauf bleibt das Einkommen (der Mehrwert) in der Hand des Maschinenfabrikanten, das fixe Kapital in der Hand des anderen - des kapitalistischen Käufers der Maschine. Genauso wie im ersten Beispiel das variable Kapital stets in der Hand des Kapitalisten, das Einkommen in der Hand des Arbeiters blieb,
Was die Verwirrung bei Smith und allen seinen Nachfolgern angestiftet hat, ist, daß sie bei dem kapitalistischen Warenaustausch die Gebrauchsform der Waren mit ihren Wertverhältnissen durcheinanderwarfen, und ferner, daß sie die einzelnen Kapitalzirkulationen und Warenzirkulationen nicht auseinanderhielten, die sich auf Schritt und Tritt ineinander verschlingen. Ein und derselbe Akt des Warenaustausches kann von einer Seite gesehen Kapitalzirkulation, von der anderen einfacher Warenaustausch zur Befriedigung der Konsumbedürfnisse sein. Der falsche Satz: Was für den einen Kapital, ist für den anderen Einkommen und umgekehrt, reduziert sich also auf den richtigen Satz: Was für den einen Kapitalzirkulation, ist für den anderen einfacher Warenaustausch und umgekehrt. Dadurch wird nur die Verwandlungsfähigkeit des Kapitals in seiner Laufbahn und die Verschlingung verschiedener Interessensphären in dem gesellschaftlichen Austauschprozeß zum Ausdruck gebracht, die scharf umrissene Existenz aber des Kapitals im Gegensatz zum Einkommen, und zwar in seinen beiden markanten Gestalten als konstantes und variables, wird damit nicht aufgehoben.
<50> Und doch kommt Smith in seinen Behauptungen, daß sich Kapital und Einkommen der einzelnen mit diesen Kategorien der Gesamtheit nicht völlig decken, der Wahrheit sehr nahe, nur daß es zur klaren Aufdeckung des Zusammenhangs noch weiterer Zwischenglieder bedurfte.
Fußnoten von Rosa Luxemburg
(1) Siehe Das Kapital, Bd. II, S. 351 [Karl Marx: Das Kapital, Zweiter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke Bd. 24. S. 376/377.] <=
(2) A. Smith: l.c., Bd. I, S. 376. <=
(3) Siehe R. Luxemburg. In: Die Neue Zeit, 18. Jg., Zweiter Band, S.184. [Rosa Luxemburg: Zurück auf Adam Smith! In: Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke, Bd. 1, Erster Halbbd., Berlin 1972, S. 735.] <=
(4) Wir lassen hier außer Betracht, daß bei Smith auch die umgekehrte Auffassung dazwischenläuft, wonach sich nicht der Preis der Waren in v + m auflöst, sondern der Wert der Waren aus v + m zusammensetzt! Dieses Quidproquo ist wichtiger für die Smithsche Werttheorie als in dem Zusammenhang, in dem und hier seine Formel v + m interessiert. <=
Viertes Kapitel - Das Marxsche Schema der einfachen Reproduktion
<50> Betrachten wir die Formel c + v + m als Ausdruck des gesellschaftlichen Gesamtprodukts. Haben wir es hier bloß mit einer theoretischen Konstruktion, mit einem abstrakten Schema zu tun, oder wohnt dieser Formel in der Anwendung auf die Gesamtgesellschaft ein realer Sinn inne, hat sie objektive gesellschaftliche Existenz?
Das c, konstantes Kapital, ist theoretisch erst von Marx als Kategorie von grundlegender Bedeutung aufgebracht worden. Allein schon Smith selbst, der ausschließlich mit den Kategorien fixes und zirkulierendes Kapital arbeitet, verwandelt das fixe Kapital tatsächlich und unbewußt für sich in konstantes, d.h., er faßt darunter nicht bloß Produktionsmittel, die in mehreren Jahren verschleißen, sondern auch solche, die jährlich ganz in die Produktion aufgehen.(1) Sein Dogma selbst von der Auflösung des Gesamtwerts in v + m und seine Beweisführung dafür führen ihn dazu, die zwei Kategorien der Produktionsbedingungen: die lebendige Arbeit und alle toten Produktionsmittel, auseinanderzuhalten. Auf der anderen Seite, wenn er aus den Einzelkapitalen und -einkommen den gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß zu konstruieren sucht, bleibt ihm als "fixes" Kapital in Wirklichkeit das konstante übrig.
Jeder einzelne Kapitalist verwendet zur Produktion seiner Waren gewisse sachliche Produktionsmittel: Baulichkeiten, Rohstoffe, Werkzeuge. Zur Herstellung der Gesamtheit der Waren ist in der gegebenen Gesellschaft offenbar die Gesamtheit der von den Einzelkapitalisten verwendeten sachlichen Produktionsmittel notwendig. Die Existenz dieser Produktionsmittel in der Gesellschaft ist eine ganz reale Tatsache, wenn sie auch in Gestalt lauter privater Einzelkapitale existieren. Hier kommt die allgemeine absolute Bedingung der gesellschaftlichen Produktion unter allen ihren historischen Formen zum Ausdruck. Die besondere kapitalistische <51> Form äußert sich darin, daß die sachlichen Produktionsmittel eben als c, als Kapital fungieren, d.h. als Eigentum von Nichtarbeitenden, als Gegenpol proletarisierter Arbeitskräfte, als Gegenstück der Lohnarbeit. Das v, variables Kapital, ist Summe der in der Gesellschaft während der Jahresproduktion tatsächlich gezahlten Löhne. Auch diese Tatsache hat eine reale objektive Existenz, wenn sie gleich in einer Unzahl von Einzellöhnen zum Vorschein kommt. In jeder Gesellschaft ist die Anzahl der tatsächlich in der Produktion angespannten Arbeitskräfte und ihre jährliche Erhaltung eine Frage von grundlegender Wichtigkeit. Die besondere kapitalistische Form dieser Kategorie als v, als variables Kapital, besagt: 1., daß die Existenzmittel der Arbeitenden ihnen als Lohn, d.h. als Preis ihrer verkauften Arbeitskraft, entgegentreten, als Kapitaleigentum anderer, Nichtarbeitender, Besitzer der sachlichen Produktionsmittel; 2. als eine Geldsumme, d.h. bloß als Wertgestalt ihrer Lebensmittel. Das v drückt aus sowohl, daß die Arbeitenden "frei" sind in doppeltem Sinne: persönlich frei und frei von allen Produktionsmitteln - als daß die Warenproduktion die allgemeine Form der Produktion in der gegebenen Gesellschaft ist.
Endlich das m - Mehrwert - stellt die Gesamtsumme aller von den Einzelkapitalisten erzielten Mehrwerte dar. In jeder Gesellschaft wird Mehrarbeit geleistet und wird z.B. auch in der sozialistischen Gesellschaft geleistet werden müssen. In dreifachem Sinne: als Arbeitsquantum zur Erhaltung Nichtarbeitender (Arbeitsunfähiges, Kinder, Greise, Gebrechlicher, öffentlicher Beamten und sog. liberaler Berufe, die am Produktionsprozeß nicht unmittelbar teilnehmen (2)), als Assekuranzfonds der Gesellschaft für elementare Unglücksfälle, die den jährlichen Ausfall der Produktenmasse gefährden (Mißernte, Waldbrand, Überschwemmungen), endlich als Fonds zur Erweiterung der Produktion, sei es infolge des Bevölkerungszuwachses, sei es infolge der kulturellen Hebung der Bedürfnisse. Die kapitalistische Form äußert sich in doppelter Hinsicht: 1. darin, daß die Mehrarbeit als Mehrwert, d.h. in Warenform und in Geld realisierbar geleistet wird, 2. darin, daß sie als Eigentum nichtarbeitender Besitzer der Produktionsmittel zum Vorschein kommt.
Die beiden Figuren v + m endlich stellen zusammen gleichfalls eine objektive Größe von allgemeiner Gültigkeit dar: die Gesamtsumme der in <52>der Gesellschaft im Verlaufe eines Jahres geleisteten lebendigen Arbeit. Jede menschliche Gesellschaft, von welcher geschichtlichen Form auch, muß sich für diese Tatsache interessieren, sowohl im Verhältnis zu den erzielten Resultaten wie im Verhältnis zu den vorhandenen und verfügbaren Arbeitskräften überhaupt. Auch die Einteilung in v + m ist eine allgemeine, von den besonderen historischen Formen der Gesellschaft unabhängige Erscheinung. Der kapitalistische Ausdruck dieser Einteilung äußert sich nicht nur in den qualitativen Besonderheiten beider, die bereits hervorgehoben sind, sondern auch in ihrem quantitativen Verhältnis, darin, daß v die Tendenz zeigt, auf das physiologische und soziale Minimum. das zur Existenz der Arbeitenden notwendig ist, herabgedrückt zu werden, und daß das m auf Kosten des v und im Verhältnis zu ihm stets zu wachsen die Tendenz hat.
Letzterer Umstand drückt endlich die vorherrschende Eigentümlichkeit der kapitalistischen Produktion aus: die Tatsache, daß die Schaffung und Aneignung von Mehrwert der eigentliche Zweck und das treibende Motiv dieser Produktion ist.
Man sieht: Die der kapitalistischen Formel des Gesamtprodukts zugrunde liegenden Beziehungen sind von allgemeiner Gültigkeit und werden in jeder planmäßig organisierten Wirtschaftsform Gegenstand einer bewußten Regelung seitens der Gesellschaft - der Gesamtheit der Arbeitenden und ihrer demokratischen Organe in einer kommunistischen Gesellschaft, des besitzenden Zentrums und seiner despotischen Gewalt in einer auf Klassenherrschaft beruhenden Gesellschaft. Unter der kapitalistischen Produktionsform besteht eine planmäßige Regelung des Ganzen nicht. Die Gesamtheit der Kapitale wie der Waren der Gesellschaft besteht in Wirklichkeit aus einer Summe unzähliger zersplitterter Einzelkapitale und einzelner Warenposten.
Es entsteht somit die Frage, ob denn diese Summen selbst in der kapitalistischen Gesellschaft etwas mehr als den Sinn einer bloßen statistischen Aufstellung, noch dazu von sehr ungenauem und schwankendem Charakter besitzen. Auf dem Maßstab der Gesamtgesellschaft kommt jedoch zum Ausdruck, daß die völlig selbständige, selbstherrliche Einzelexistenz der privatkapitalistischen Betriebe bloß die historisch bedingte Form, während der gesellschaftliche Zusammenhang die Grundlage ist. Obwohl die Einzelkapitale völlig unabhängig agieren und eine gesellschaftliche Regelung vollständig fehlt, vollzieht sich die Gesamtbewegung aller Kapitale als ein einheitliches Ganzes. Auch diese Gesamtbewegung äußert sich in spezifisch kapitalistischen Formen. Während bei jeder planmäßig organi- <53> sierten Produktionsform die Regelung sich vor allem auf das Verhältnis der gesamten geleisteten und zu leistenden Arbeit und den Produktionsmitteln - in den Zeichen unserer Formel gesprochen: zwischen (v + m) und c - oder zwischen der Summe der benötigten Lebensmittel benötigten Produktionsmittel - in der Formel dasselbe (v + m) zu c - bezieht, wird kapitalistisch die zur Erhaltung der toten Produktionsmittel wie der lebenden Arbeitskräfte benötigte gesellschaftliche Arbeit als ein Ganzes, als Kapital behandelt, dem die geleistete Mehrarbeit als m, Mehrwert, entgegengestellt wird. Das Verhältnis dieser beiden Größen m und (c + v) ist ein reales, objektives, handgreifliches Verhältnis der kapitalistischen Gesellschaft. nämlich die durchschnittliche Profitrate, die tatsächlich jedes Privatkapital nur als ein Teil eines gemeinsamen Ganzen, des gesellschaftlichen Gesamtkapitals, behandelt, ihm den Profit als einen ihm nach Größe zukommenden Teil des aus der Gesellschaft herausgepreßten Gesamtmehrwerts ohne Rücksicht auf das von ihm tatsächlich erzielte Quantum zuweist. Das gesellschaftliche Gesamtkapital mit seinem Gegenstück, dem gesellschaftlichen Gesamtmehrwert, sind also nicht bloß reale Größen von objektiver Existenz, sondern ihr Verhältnis, der Durchschnittsprofit, leitet und lenkt - vermittelst des Mechanismus des Wertgesetzes - den ganzen Austausch, nämlich die quantitativen Austauschverhältnisse der einzelnen Warenarten unabhängig von ihren besonderen Wertverhältnissen, ferner die gesellschaftliche Arbeitsteilung, d.h. die Zuweisung entsprechender Kapitalportionen und Arbeitskräfte zu den einzelnen Produktionssphären, die Entwicklung der Produktivität der Arbeit, nämlich einerseits das Stimulieren der Einzelkapitale zu Pionierarbeiten, um sich über den Durchschnittsprofit zu erheben, und andererseits die Ausbreitung der von den einzelnen erzielten Fortschritte auf die Gesamtproduktion usw. Mit einem Wort: Das gesellschaftliche Gesamtkapital beherrscht durch die Durchschnittsprofitrate die scheinbar selbständigen Bewegungen der Einzelkapitale völlig.(3)
Die Formel c + v + m paßt also nicht bloß auf die Wertzusammenset- <54> zung jeder einzelnen Ware, sondern auch auf die Gesamtheit der in einer Gesellschaft kapitalistisch produzierten Waren. Dies bezieht sich aber nur auf die Wertzusammensetzung. Darüber hinaus hört die Analogie auf.
Die genannte Formel ist nämlich vollkommen exakt, wenn wir das Gesamtprodukt einer kapitalistisch produzierenden Gesellschaft als Totalität, als Arbeitsprodukt eines Jahres, auf ihre betreffenden Bestandteile analysieren wollen. Die Figur c zeigt uns an, wieviel von vergangener, in früheren Jahren in Gestalt von Produktionsmitteln geleisteter Arbeit in das Produkt dieses Jahres mit übernommen worden ist. Die Figur v + m zeigt den Wertbestandteil des Produkts, der ausschließlich im letzten Jahre durch Neuarbeit geschaffen worden ist, endlich das Verhältnis von v und m zeigt uns die Verteilung des jährlichen Arbeitspensums der Gesellschaft zwischen der Erhaltung der Arbeitenden und der Erhaltung der Nichtarbeitenden. Diese Analyse bleibt richtig und maßgebend auch für die Reproduktion des Einzelkapitals, ohne jede Rücksicht auf die sachliche Gestalt des von ihm geschaffenen Produkts. Bei dem Kapitalisten der Maschinenindustrie erscheinen c wie v wie m unterschiedslos in Gestalt von Maschinen oder Maschinenteilen wieder. Bei seinem Kollegen von der Zuckerbranche kommen c wie v und m aus dem Produktionsprozeß in Zuckergestalt zur Welt. Beim Eigentümer eines Tingeltangels werden sie in den Körperreizen der Tänzerinnen und der "Exzentriks" vergegenständlicht. Sie unterscheiden sich voneinander in dem unterschiedslosen Produkt nur als dessen aliquote Wertteile. Und dies genügt für die Reproduktion des Einzelkapitals vollkommen. Denn die Reproduktion des Einzelkapitals beginnt mit der Wertgestalt des Kapitals, ihr Ausgangspunkt ist eine gewisse Geldsumme, die aus der Realisierung des hergestellten Produkts herausspringt. Die Formel c + v + m ist dann die gegebene Grundlage für die Einteilung jener Geldsumme in einen Teil zum Ankauf von sachlichen Produktionsmitteln, einen anderen zum Ankauf der Arbeitskraft und einen dritten zur persönlichen Konsumtion des Kapitalisten, falls, wie wir hier zunächst annehmen, einfache Reproduktion stattfindet, oder nur zum Teil zur persönlichen Konsumtion, zum Teil zur Vergrößerung des Kapitals, falls erweiterte Reproduktion stattfinden soll. Daß er zur tatsächlichen Reproduktion mit dem so eingeteilten Geldkapital wieder den Warenmarkt beschreiten muß, um die sachlichen Voraussetzungen der Produktion: Rohstoffe, Werkzeuge usw. sowie Arbeitskräfte zu erwerben, versteht sich von selbst. Daß der Einzelkapitalist dann auf dem Markt die Produktionsmittel und Arbeitskräfte, die er für sein Ge- <55> schäft braucht, auch tatsächlich vorfindet, erscheint dem Einzelkapitalisten wie seinem wissenschaftlichen Ideologen, dem Vulgärökonomen, ebenso selbstverständlich.
Anders bei der gesellschaftlichen Gesamtproduktion. Vom Standpunkte der Gesamtgesellschaft kann der Warenaustausch nur eine Translokation, einen allseitigen Platzwechsel der einzelnen Teile des Gesamtprodukts bewerkstelligen, er kann aber seine sachliche Zusammensetzung nicht ändern. Nach wie vor diesem Platzwechsel kann die Reproduktion des Gesamtkapitals nur dann stattfinden, wenn sich in dem aus der letzten Produktionsperiode hervorgegangenen Gesamtprodukt 1. genügende Produktionsmittel, 2. ausreichende Lebensmittel zur Erhaltung der früheren Anzahl Arbeitskräfte, 3., last not least, die erforderlichen Lebensmittel zur "standesgemäßen" Erhaltung der Kapitalistenklasse nebst Zubehör vorfinden. Hier werden wir auf ein neues Gebiet geleitet: aus reinen Wertverhältnissen zu sachlichen Gesichtspunkten. Es kommt jetzt auf die Gebrauchsgestalt des gesellschaftlichen Gesamtprodukts an. Was dem Einzelkapitalisten völlig Hekuba, wird für den Gesamtkapitalisten ernste Sorge. Während für den Einzelkapitalisten gehupft wie gesprungen ist, ob die von ihm produzierte Ware Maschine, Zucker, künstlicher Dünger oder ein freisinniges Intelligenzblatt ist, vorausgesetzt nur, daß er sie an den Mann bringt, um sein Kapital nebst Mehrwert herauszuziehen, bedeutet es für den Gesamtkapitalisten unendlich viel, daß sein Gesamtprodukt eine ganz bestimmte Gebrauchsgestalt hat, und zwar, daß in diesem Gesamtprodukt dreierlei Dinge vorzufinden sind: Produktionsmittel zur Erneuerung des Arbeitsprozesses, einfache Lebensmittel zur Erhaltung der Arbeiterklasse und bessere Lebensmittel mit dem nötigen Luxus zur Erhaltung des Gesamtkapitalisten selbst. Ja, der Wunsch in dieser Hinsicht ist nicht allgemein und vag, sondern ganz exakt quantitativ bestimmt. Fragen wir, wie groß die Mengen der vom Gesamtkapitalisten benötigten Dinge aller drei Kategorien sind, so bekommen wir einen genauen Voranschlag - vorausgesetzt immer die einfache Reproduktion, die wir als Ausgangspunkt nehmen - in der Wertzusammensetzung des Gesamtprodukts des letzten Jahres. Die Formel c + v + m, die wir bis jetzt so gut für das Gesamtkapital wie für das Einzelkapital als eine bloße quantitative Einteilung des Gesamtwertes, d.h. der im Jahresprodukt der Gesellschaft steckenden Arbeitsmenge aufgefaßt haben, erscheint jetzt zugleich als die gegebene Grundlage der sachlichen Einteilung des Produkts. Es ist klar, daß, um <56> die Reproduktion in demselben Umfang in Angriff zu nehmen, der Gesamtkapitalist in seinem neuen Gesamtprodukt so viel Produktionsmittel vorfinden muß, wie es der Größe c entspricht, so viel einfache Lebensmittel für die Arbeiter, wie es der Lohnsumme v entspricht, und so viel feinere Lebensmittel für sich nebst Anhang, wie es die Größe m erfordert. Die Wertzusammensetzung des gesellschaftlichen Jahresprodukts übersetzt sich also in die sachliche Gestalt dieses Produkts in folgender Weise: Das gesamte c der Gesellschaft muß als ebenso viele Produktionsmittel, das v als Lebensmittel der Arbeiter und m als Lebensmittel der Kapitalisten wiedererscheinen - wenn anders die einfache Reproduktion ermöglicht werden soll.
Hier kommen wir an einen handgreiflichen Unterschied zwischen dem Einzelkapitalisten und dem Gesamtkapitalisten. Ersterer reproduziert jedesmal sein konstantes und variables Kapital sowie seinen Mehrwert: 1. alle drei Teile in einem einheitlichen Produkt von derselben sachlichen Gestalt, 2. in einer ganz gleichgültigen Gestalt, die bei jedem Einzelkapitalisten von anderer Beschaffenheit ist. Der Gesamtkapitalist reproduziert jeden Wertteil seines Jahresprodukts in einer anderen sachlichen Gestalt, und zwar das c als Produktionsmittel, das v als Lebensmittel der Arbeiter und das m als Lebensmittel der Kapitalisten. Für die Reproduktion des Einzelkapitals waren nur Wertverhältnisse maßgebend, die sachlichen Bedingungen als selbstverständliche Erscheinung des Warenaustausches vorausgesetzt. Für die Reproduktion des Gesamtkapitals vereinigen sich Wertverhältnisse mit sachlichen Standpunkten. Es ist übrigens klar, daß das Einzelkapital nur insofern reine Wertgesichtspunkte pflegen und sachliche Bedingungen als ein Gesetz des Himmels betrachten kann, als das Gesamtkapital umgekehrt den sachlichen Gesichtspunkten Rechnung trägt. Würde das gesamte c der Gesellschaft nicht in Gestalt derselben Menge Produktionsmittel jährlich reproduziert werden, so würde jeder Einzelkapitalist mit seinem in Geld realisierten c umsonst den Warenmarkt abschreiten, er könnte die benötigten sachlichen Bedingungen für seine individuelle Reproduktion nicht finden. Vom Standpunkte der Reproduktion kommen wir also mit der allgemeinen Formel c + v + m für das Gesamtkapital nicht aus - übrigens wieder ein Beweis, daß der Begriff der Reproduktion etwas Reales und mehr ist als eine bloße Umschreibung des Begriffes Produktion. Wir müssen vielmehr Unterscheidungen sachlichen Charakters machen und das Gesamtkapital statt als einheitliches Ganzes in seinen drei Hauptabteilungen darstellen oder der Vereinfachung halber, da dies theoretisch zunächst keinen Harm tut, in zwei Abteilungen betrach- <57> ten: als Produktion von Produktionsmitteln und als Produktion von Lebensmitteln für Arbeiter und Kapitalisten. Jede Abteilung muß getrennt für sich betrachtet werden, wobei in jeder die Grundbedingungen der kapitalistischen Produktion eingehalten werden müssen. Zugleich müssen wir aber von den Gesichtspunkten der Reproduktion aus die gegenseitigen Zusammenhänge der beiden Abteilungen hervorheben. Denn nur im Zusammenhang betrachtet, ergeben sie eben die Grundlagen der Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals als Ganzes.
So findet bei der Darstellung des Gesamtkapitals und seines Gesamtprodukts eine gewisse Verschiebung statt, wenn wir vom Einzelkapital ausgehen. Quantitativ, als Wertgröße, setzt sich das c der Gesellschaft exakt aus der Summe der konstanten Einzelkapitale zusammen, dasselbe bezieht sich auf die beiden anderen Figuren v und m. Aber ihre Erscheinungsform ist verschoben. Während das c der Einzelkapitale aus dem Produktionsprozeß wiedererscheint als Wertpartikel einer unendlichen Buntheit von Gebrauchsgegenständen, erscheint es im Gesamtprodukt sozusagen zusammengezogen in einer bestimmten Menge Produktionsmittel. Und ebenso sind v und m, die bei den Einzelkapitalen als Segmente eines Warenbreis von buntester Erscheinung wieder auftauchen, im Gesamtprodukt zusammengezogen in entsprechende Mengen Lebensmittel für Arbeiter und Kapitalisten. Dies ist auch die Tatsache, auf die Smith annähernd stieß in seinen Betrachtungen über die Nichtkongruenz der Kategorien fixes Kapital, zirkulierendes Kapital und Einkommen bei dem Einzelkapitalisten und bei der Gesellschaft.
Wir sind zu folgenden Ergebnissen gekommen:
1. Die Produktion der Gesamtgesellschaft im ganzen betrachtet kann ebenso wie die des Einzelkapitalisten in der Formel c + v + m ausgedruckt werden.
2. Die gesellschaftliche Produktion zerfällt in zwei Abteilungen: Produktion von Produktionsmitteln und Produktion von Lebensmitteln.
3. Beide Abteilungen werden kapitalistisch betrieben, d.h. als Mehrwertproduktion, die Formel c + v + m findet also auch auf jede dieser Abteilungen im einzelnen Anwendung.
4. Die beiden Abteilungen sind aufeinander angewiesen, müssen deshalb gewisse Quantitätsverhältnisse aufweisen. Und zwar muß die eine alle Produktionsmittel beider Abteilungen, die andere alle Lebensmittel für die Arbeiter und Kapitalisten beider Abteilungen herstellen.
Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, konstruiert Marx die folgende Formel der kapitalistischen Reproduktion:
<58> | I. | 4.000 c + | 1.000 v + | 1.000 m = | 6.000 Produktionsmittel. |
II. | 2.000 c + | 500 v + | 500 m = | 3.000 Konsumtionsmittel.(4) |
Die Zahlen dieser Formel drücken Wertgrößen, also Geldmengen, aus, die an sich willkürlich, ihre Verhältnisse aber exakt sind. Die beiden Abteilungen unterscheiden sich durch die Gebrauchsgestalt der hergestellten Waren voneinander. Ihre gegenseitige Zirkulation vollzieht sich folgendermaßen: Die erste Abteilung liefert für die ganze Produktion, also für sich wie für die zweite Abteilung, Produktionsmittel; daraus folgt schon, daß zum glatten Fortgang der Reproduktion (hier wird immer noch einfache Reproduktion - im alten Umfang - zugrunde gelegt) das Gesamtprodukt der ersten Abteilung (6.000 I) an Wert der Summe der konstanten Kapitale in den beiden Abteilungen (I 4.000 c + II 2.000 c) gleich sein muß. Ebenso liefert die zweite Abteilung Lebensmittel für die ganze Gesellschaft, also sowohl für die eigenen Arbeiter und Kapitalisten wie für diejenigen der ersten Abteilung. Daraus folgt, daß für den glatten Verlauf der Konsumtion und der Produktion und ihre Erneuerung im früheren Umfange nötig ist, daß die von der zweiten Abteilung gelieferte Gesamtmenge der Lebensmittel an Wert den Einkommensbeträgen aller beschäftigten Arbeiter und Kapitalisten der Gesellschaft gleichkommt - hier 3.000 II = (1.000 v + 1.000 m) I + (500 v + 500 m) II.
Hier haben wir nur in der Tat in Wertverhältnissen ausgedrückt, was Grundlage nicht nur der kapitalistischen Reproduktion, sondern der Reproduktion jeder Gesellschaft ist. In jeder produzierenden Gesellschaft, welche ihre soziale Form auch sei - in der primitiven kleinen Dorfgemeinde der Bakaïri Brasiliens, in dem großen Oikos mit Sklaven eines Timon von Athen oder auf den kaiserlichen Fronhöfen Karls des Großen -, muß die verfügbare Arbeitsmenge der Gesellschaft so verteilt werden. daß sowohl Produktionsmittel in genügender Menge wie Lebensmittel hergestellt werden. Und zwar müssen die ersteren ausreichen ebenso zur direkten Herstellung von Lebensmitteln wie zur künftigen Erneuerung der Produktionsmittel selbst, die Lebensmittel aber zur Erhaltung der mit ihrer Herstellung wie mit der Herstellung der Produktionsmittel beschäftigten Arbeitenden und obendrein zur Erhaltung aller Nichtarbeitenden. Insofern ist das Marxsche Schema in seiner allgemeinen Proportion die allgemeine absolute Grundlage der gesellschaftlichen Reproduktion, nur daß hier die gesellschaftlich notwendige Arbeit als Wert erscheint, die Produktionsmittel als konstantes Kapital, die zur Erhaltung der Arbeiten- <59> den notwendige Arbeit als variables Kapital und die zur Erhaltung der Nichtarbeitenden notwendige als Mehrwert.
In der kapitalistischen Gesellschaft beruht aber die Zirkulation zwischen den zwei großen Abteilungen auf Warenaustausch, auf Austausch von Äquivalenten. Die Arbeiter und Kapitalisten der Abteilung I können nur soviel Lebensmittel von der Abteilung II erhalten, wie sie ihr an der eigenen Ware, an Produktionsmitteln, liefern können. Der Bedarf der Abteilung II an Produktionsmitteln wird aber bemessen durch die Größe ihres konstanten Kapitals. Daraus folgt also, daß die Summe des variablen Kapitals und des Mehrwerts in der Produktion der Produktionsmittel - hier (1.000 v + 1.000 m) I - dem konstanten Kapital in der Produktion der Lebensmittel - hier 2.000 c II - gleich sein muß.
Eine wichtige Bemerkung muß noch zu dem obigen Schema gemacht werden. Das angegebene konstante Kapital seiner beiden Abteilungen ist in Wirklichkeit nur ein Teil des von der Gesellschaft angewandten konstanten Kapitals. Letzteres zerfällt in fixes - Baulichkeiten, Werkzeuge, Arbeitstiere -, das in mehreren Produktionsperioden fungiert, in jeder aber nur mit einem Teil seines Wertes - im Verhältnis zum eigenen Verschleiß - in das Produkt eingeht, und in zirkulierendes - Rohstoffe, Hilfsstoffe, Heizungs- und Beleuchtungsstoffe -, das in jeder Produktionsperiode ganz mit dem Wert in das neue Produkt eingeht. Für die Reproduktion kommt aber nur der Teil der Produktionsmittel in Betracht, der wirklich in die Wertproduktion eingeht, der übrige, außerhalb des Produkts übriggebliebene und fortfungierende Teil des fixen Kapitals muß zwar im Auge behalten, kann jedoch bei der exakten Darstellung der gesellschaftlichen Zirkulation außer Betracht gelassen werden, ohne die Richtigkeit der Darstellung zu beeinträchtigen. Dies kann leicht bewiesen werden.
Denken wir uns das konstante Kapital 6.000 c der I. und der II. Abteilung, das in das Jahresprodukt dieser Abteilung tatsächlich eingeht als bestehend aus 1.500 c fixem und 4.500 c zirkulierendem, wobei die 1.500 c fixes den Jahresverschleiß der Baulichkeiten, Maschinen, Arbeitstiere darstellen usw. Dieser Jahresverschleiß sei gleich 10 Prozent des Gesamtwerts des fixen Kapitals, das in Anwendung kommt. Dann hätten wir in Wirklichkeit in den beiden Abteilungen 15.000 c fixes 4.500 c zirkulierendes Kapital, zusammen also 19.500 c + 1.500 v an gesellschaftlichem Gesamtkapital. Das ganze fixe Kapital jedoch, dessen Lebensdauer (bei 10 Prozent Jahresverschleiß) auf 10 Jahre angenommen wird, muß erst nach 10 Jahren erneuert werden. Inzwischen geht jedes Jahr ein Zehntel seines <60> Werts in die gesellschaftliche Produktion ein. Würde das gesamte fixe Kapital der Gesellschaft in gleichem Maße verschleißen und gleiche Lebensdauer haben, so müßte es - bei unserer Annahme - alle zehn Jahre auf einmal in seiner Totalität erneuert werden. Dies ist aber nicht der Fall. Von den verschiedenen Gebrauchsgestalten und Teilen des fixen Kapitals dauern die einen kürzer, die anderen länger, der Verschleiß und die Lebensdauer sind bei verschiedenen Gattungen und Individuen des fixen Kapitals ganz verschieden. Daraus ergibt sich, daß auch die Erneuerung die Reproduktion des fixen Kapitals in seiner konkreten Gebrauchsgestalt durchaus nicht auf einmal in ihrer Totalität vorgenommen zu werden braucht, sondern daß fortwährend an verschiedenen Punkten der gesellschaftlichen Produktion eine Erneuerung von Teilen des fixen Kapitals stattfindet, während andere Teile noch in ihrer alten Gestalt fortfahren zu fungieren. Der 10prozentige Verschleiß des fixen Kapitals, den wir in unserem Beispiel angenommen haben, bedeutet also nicht, daß alle 10 Jahre eine einmalige Reproduktion des fixen Kapitals im Werte von 15.000 c stattfinden muß, sondern daß jährlich im Durchschnitt die Erneuerung und der Ersatz eines Teils des gesamten fixen Kapitals der Gesellschaft, der dem zehnten Wertteil dieses Kapitals entspricht, stattfinden muß, d.h., daß in der Abteilung I, die den Gesamtgebrauch der Gesellschaft an Produktionsmitteln zu decken hat, jährlich neben der Reproduktion der ganzen Roh- und Hilfsstoffe usw., des zirkulierenden Kapitals im Werte von 4.500, auch noch die Herstellung von Gebrauchsgestalten des fixen Kapitals, also Baulichkeiten, Maschinen usw. im Belaufe von 1.500, die dem tatsächlichen Verschleiß des fixen Kapitals entspricht, stattfinden muß; zusammen 6.000 c, die auch im Schema angenommen wurden. Fährt die Abteilung I fort, in dieser Weise jährlich ein Zehntel des fixen Kapitals in seiner Gebrauchsgestalt zu erneuern, so wird sich finden, daß alle zehn Jahre das ganze fixe Kapital der Gesellschaft an Kopf und Gliedern durch neue Exemplare ersetzt worden ist, daß also die Reproduktion auch derjenigen seiner Teile, die wir, dem Wert nach, außer Betracht gelassen haben, im obigen Schema vollkommen berücksichtigt ist.
Praktisch äußert sich dieser Vorgang darin, daß jeder Kapitalist aus seiner jährlichen Produktion nach der Realisierung der Waren eine gewisse Geldsumme für Amortisation des fixen Kapitals auf die Seite legt. Diese einzelnen Jahresabschreibungen müssen erst einen Betrag von gewisser Höhe ausmachen, bevor der Kapitalist tatsächlich sein fixes Kapital erneuert resp. durch andere, leistungsfähigere Exemplare ersetzt. Diese abwechselnde Tätigkeit jährlicher Rücklagen von Geldbeträgen für die Er- <61> neuerung des fixen Kapitals und einer periodischen Verwendung der angesammelten Summe zur tatsächlichen Erneuerung des fixen Kapitals fällt aber bei verschiedenen individuellen Kapitalisten auseinander, so daß die einen noch Rücklagen machen, während andere bereits die Renovierung vornehmen. Auf diese Weise ergibt jedes Jahr die Erneuerung eines Teils des fixen Kapitals. Die Geldvorgänge maskieren hier nur den wirklichen Vorgang, der den Reproduktionsprozeß des fixen Kapitals charakterisiert.
Das ist bei näherem Zusehen auch ganz in der Ordnung. Das fixe Kapital nimmt zwar in seiner Totalität am Produktionsprozeß teil, aber nur als eine Masse von Gebrauchsgegenständen. Baulichkeiten, Maschinen, Arbeitsvieh werden in ihrer ganzen Körperlichkeit im Arbeitsprozeß in Anspruch genommen. In die Wertproduktion jedoch gehen sie - darin besteht gerade ihre Besonderheit als fixes Kapital - nur mit einem Teil ihres Wertes ein. Da im Prozeß der Reproduktion (unter Voraussetzung einfacher Reproduktion) es nur darauf ankommt, die während der Jahresproduktion an Lebensmitteln wie an Produktionsmitteln tatsächlich verzehrten Werte in ihrer Naturalgestalt wieder zu ersetzen, so kommt auch das fixe Kapital für die Reproduktion nur in dem Maße in Betracht, als es tatsächlich in die produzierten Waren eingegangen ist. Der übrige in der gesamten Gebrauchsgestalt des fixen Kapitals verkörperte Wertteil ist von entscheidender Wichtigkeit für die Produktion als Arbeitsprozeß, existiert aber nicht für die jährliche Reproduktion der Gesellschaft als Wertbildungsprozeß.
Übrigens trifft der Vorgang, der hier in Wertverhältnissen zum Ausdruck kommt, genauso für jede auch nicht warenproduzierende Gesellschaft zu. Wenn es z.B. zur Herstellung des berühmten Mörissees nebst dazugehörigen Nilkanälen im alten Ägypten, jenem Wundersee, von dem uns Herodot erzählt, daß er "von Händen gemacht" war, sagen wir, einst einer zehnjährigen Arbeit von 1.000 Fellachen bedurft hatte und wenn zur Instandhaltung dieser großartigsten Wasseranlage der Welt jedes Jahr die volle Arbeitskraft von weiteren 100 Fellachen erforderlich war (die Zahlen sind, versteht sich, willkürlich), so kann man sagen, daß das Mörisstaubecken mit Kanälen nach hundert Jahren allemal neureproduziert wurde, ohne daß in Wirklichkeit jedes Jahrhundert die Anlage in ihrer Gesamtheit auf einmal hergestellt worden wäre. Dies ist so wahr, daß, als mit den stürmischen Wechselfällen der politischen Geschichte und den fremden Eroberungen die übliche rohe Vernachlässigung der alten Kulturwerke eintrat, wie sie z.B. auch von den Engländern in Indien an den Tag gelegt wurde, als für die Reproduktionsbedürfnisse der altertümlichen Kultur <62> das Verständnis geschwunden war, da verschwand mit der Zeit der ganze Mörissee, mit Wasser, Dämmen und Kanälen, mit den beiden Pyramiden in seiner Mitte, dem Koloß darauf und anderen Wunderdingen, so spurlos, wie wenn er nie errichtet worden wäre. Nur zehn Zeilen im Herodot, ein Fleck auf der Weltkarte des Ptolemäus sowie Spuren alter Kulturen und großer Dörfer und Städte zeugen, daß einst reiches Leben aus der grandiosen Wasseranlage quoll, wo sich heute öde Sandwüsten im inneren Libyen und öde Sümpfe entlang der Seeküste erstrecken.
In einem Falle könnte uns nur das Marxsche Schema der einfachen Reproduktion vom Standpunkte des fixen Kapitals ungenügend oder lückenhaft erscheinen. Wenn wir uns nämlich in die Produktionsperiode zurückversetzen, wo das gesamte fixe Kapital erst geschaffen wurde. In der Tat, die Gesellschaft besitzt an geleisteter Arbeit mehr als den Teil des fixen Kapitals, der jeweilig in den Wert des Jahresprodukts eingeht und von ihm wieder ersetzt wird. In den Zahlen unseres Beispiels: das gesellschaftliche Gesamtkapital beträgt nicht 6.000 c + 1.500 v wie im Schema, sondern 19.500 c + 1.500 v. Jährlich wird zwar von dem fixen Kapital, das nach unserer Annahme 15.000 c beträgt, 1.500 in Gestalt von entsprechenden Produktionsmitteln reproduziert. Aber so viel wird auch jährlich in derselben Produktion verzehrt. Nach zehn Jahren wird zwar das ganze fixe Kapital als Gebrauchsgestalt, als eine Summe von Gegenständen total erneuert. Aber nach zehn Jahren wie in jedem Jahre besitzt die Gesellschaft 15.000 c an fixem Kapital, während sie nur 1.500 c jährlich leistet, oder an konstantem Kapital besitzt sie im ganzen 19.500, während sie nur 6.000 c schafft. Offenbar muß sie diesen Überschuß an 13.500 fixem Kapital durch ihre Arbeit geschaffen haben; sie besitzt an aufgespeicherter vergangener Arbeit mehr, als es aus unserem Reproduktionsschema hervorgeht. Jeder gesellschaftliche jährliche Arbeitstag stützt sich schon hier, als auf gegebene Basis, auf einige vorgeleistete, aufgespeicherte jährliche Arbeitstage. Doch mit dieser Frage nach der vergangenen Arbeit, die die Grundlage aller jetzigen Arbeit ist, versetzen wir uns an den "Anfang aller Anfänge", der in der wirtschaftlichen Entwicklung der Menschen ebensowenig gilt wie in der natürlichen Entwicklung des Stoffes. Das Reproduktionsschema will und soll nicht den Anfangsmoment, den gesellschaftlichen Prozeß in statu nascendi darstellen, sondern es packt ihn mitten im Fluß, als ein Glied in "des Daseins unendlicher Kette". Die vergangene Arbeit ist stets die Voraussetzung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses, mögen wir ihn so weit zurückverfolgen, wie wir wollen. Wie die gesellschaftliche Arbeit kein Ende, so hat sie auch keinen Anfang. Die Anfänge <63> der Grundlagen des Reproduktionsprozesses verlieren sich in jener sagenhaften Dämmerung der Kulturgeschichte, in der sich auch die Entstehungsgeschichte des Mörissees des Herodot verliert. Mit dem technischen Fortschritt und der Kulturentwicklung ändert sieh die Gestalt der Produktionsmittel, plumpe Paläolithen werden durch geschliffene Werkzeuge ersetzt, Steinwerkzeuge durch elegante Bronze- und Eisengeräte, Handwerkzeug durch Dampfmaschine. Aber bei all dem Wechsel in der Gestalt der Produktionsmittel und den gesellschaftlichen Formen des Produktionsprozesses besitzt die Gesellschaft als Grundlage ihres Arbeitsprozesses stets eine gewisse Menge vergegenständlichter vergangener Arbeit, die ihr als Basis für die jährliche Reproduktion dient.
Bei der kapitalistischen Produktionsweise erhält die in den Produktionsmitteln aufgespeicherte vergangene Arbeit der Gesellschaft die Gestalt von Kapital, und die Frage nach der Herkunft der vergangenen Arbeit. welche die Grundlage des Reproduktionsprozesses bildet, verwandelt sich in die Frage nach der Genesis des Kapitals. Diese ist freilich viel weniger sagenhaft, vielmehr mit blutigen Lettern in die neuzeitliche Geschichte eingetragen als das Kapitel von der sogenannten ursprünglichen Akkumulation. Die Tatsache selbst aber, daß wir uns die einfache Reproduktion nicht anders als unter Voraussetzung vergangener aufgespeicherter Arbeit denken können, die an Umfang die jährlich zur Erhaltung der Gesellschaft geleistete Arbeit übertrifft, berührt die wunde Stelle der einfachen Reproduktion und beweist, daß sie nicht bloß für die kapitalistische Produktion, sondern für den Kulturfortschritt im allgemeinen bloß eine Fiktion ist. Um uns nur diese Fiktion selbst exakt - im Schema - vorzustellen, müssen wir als ihre Voraussetzung die Ergebnisse eines vergangenen Produktionsprozesses annehmen, der selbst unmöglich auf die einfache Reproduktion beschränkt, vielmehr bereits auf die erweiterte Reproduktion gerichtet war. Zur Erläuterung dieser Tatsache an einem Beispiel können wir das gesamte fixe Kapital der Gesellschaft mit einer Eisenbahn vergleichen. Die Dauerhaftigkeit und also auch der jährliche Verschleiß verschiedener Teile der Eisenbahn sind sehr verschieden. Solche Teile wie Viadukte, Tunnels können Jahrhunderte dauern, Lokomotiven Jahrzehnte, sonstiges rollendes Material wird sich in ganz kurzen Fristen. zum Teil in wenigen Monaten abnutzen. Es ergibt sich aber dabei ein gewisser durchschnittlicher Verschleiß, der, sagen wir, 30 Jahre ausmachen, also jährlich auf den Wertverlust von 1/30 des Ganzen hinauslaufen wird. Dieser Wertverlust wird nun fortlaufend wieder ersetzt durch teilweise Reproduktion der Eisenbahn (die als Reparaturen figu- <64> rieren mag), indem heute ein Wagen, morgen ein Lokomotiventeil, übermorgen eine Strecke Gleise erneuert wird. Auf diese Weise wird nach Verlauf von 30 Jahren (bei unserer Annahme) die alte Eisenbahn durch eine neue ersetzt, wobei jahrein, jahraus dieselbe Arbeitsmenge von der Gesellschaft geleistet wird, also einfache Reproduktion stattfindet. Aber so kann eine Eisenbahn bloß reproduziert, so kann sie nicht produziert werden. Um sie in Gebrauch nehmen und ihren allmählichen Verschleiß durch den Gebrauch allmählich ersetzen zu können, muß die Eisenbahn erst einmal ganz fertiggestellt werden. Man kann die Eisenbahn stückweise reparieren, man kann sie aber nicht stückweise - heute eine Achse, morgen einen Wagen - gebrauchsfähig machen. Denn dies charakterisiert gerade das fixe Kapital, daß es sachlich, als Gebrauchswert, jederzeit in seiner Totalität in den Arbeitsprozeß eingeht. Um seine Gebrauchsgestalt also einmal erst fertigzustellen, muß die Gesellschaft auf einmal eine größere Arbeitsmenge auf seine Herstellung konzentrieren. Sie muß - um in den Zahlen unseres Beispiels zu sprechen - zur Herstellung der Eisenbahn ihre dreißigjährige, auf die Reparaturen verwendete Arbeitsmenge, sagen wir, auf zwei oder drei Jahre konzentrieren. In dieser Herstellungsperiode muß sie demnach eine über den Durchschnitt hinausgehende Arbeitsmenge leisten, also zur erweiterten Reproduktion greifen, worauf sie - nach Fertigstellung der Eisenbahn - zur einfachen Reproduktion zurückkehren mag. Freilich darf man sich dabei das jeweilige gesamte fixe Kapital der Gesellschaft nicht als einen zusammenhängenden Gebrauchsgegenstand oder Komplex von Gegenständen vorstellen, der immer auf einmal geschaffen werden müsse. Aber alle wichtigeren Arbeitsinstrumente, Gebäude, Verkehrsmittel, landwirtschaftlichen Konstruktionen bedürfen zu ihrer Herstellung einer größeren konzentrierten Arbeitsausgabe, was so gut auf die moderne Eisenbahn und das Luftschiff wie auf das ungeschliffene Stein und die Handmühle zutrifft. Daraus folgt, daß die einfache Reproduktion an sich nur in periodischer Abwechslung mit erweiterter Reproduktion gedacht werden kann, was nicht bloß durch den Kulturfortschritt und das Wachstum der Bevölkerung im allgemeinen, sondern durch die ökonomische Form des fixen Kapitals oder der Produktionsmittel bedingt ist, die in jeder Gesellschaft dem fixen Kapital entsprechen.
Marx befaßt sich mit diesem Widerspruch zwischen der Form des fixen Kapitals und der einfachen Reproduktion nicht direkt. Was er hervorhebt, ist nur die Notwendigkeit einer ständigen "Überproduktion", also erweiterten Reproduktion im Zusammenhang mit der unregelmäßigen Verschleißquote des fixen Kapitals, die in einem Jahre größer, in einem ande- <65> ren geringer ist, was periodisch ein Defizit in der Reproduktion zur Folge haben müßte, falls einfache Reproduktion streng eingehalten wäre. Er faßt hier also die erweiterte Reproduktion unter dem Gesichtspunkt des Assekuranzfonds der Gesellschaft für das fixe Kapital ins Auge, nicht vom Standpunkte seiner Herstellung selbst.(5)
In einem ganz anderen Zusammenhang bestätigt Marx indirekt, wie es uns scheint, vollkommen die oben ausgesprochene Auffassung. Bei der Analyse der Verwandlung von Revenue in Kapital im Band II, Teil 2 der "Theorien über den Mehrwert" bespricht er die eigentümliche Reproduktion des fixen Kapitals, dessen Ersatz an sich schon einen Akkumulationsfonds liefere, und zieht die folgenden Schlüsse:
"Aber worauf wir hier kommen wollen, ist folgendes. Wäre das in dem Maschinenbau angewandte Gesamtkapital auch nur groß genug, um den jährlichen déchet der Maschinerie zu ersetzen, so würde es viel mehr Maschinerie produzieren als jährlich bedurft wird, da der déchet zum Teil nur idealiter existiert und realiter erst nach einer gewissen Reihe von Jahren in natura zu ersetzen ist. Das so angewandte Kapital liefert jährlich eine Masse Maschinerie, die für neue Kapitalanlagen vorhanden ist und diese neuen Kapitalanlagen antizipiert. Z.B. während dieses Jahrs beginnt der Maschinenbauer seine Fabrik. Er liefere für 12.000 l. Maschinerie während des Jahrs. So hätte er während der 11 folgenden Jahre bei bloßer Reproduktion der von ihm produzierten Maschinerie nur für 1.000 1. zu produzieren, und selbst diese jährliche Produktion würde nicht jährlich konsumiert. Noch weniger, wenn er sein ganzes Kapital anwendet. Damit dies in Gange bleibe und sich bloß fortwährend jährlich reproduziere, ist neue fortwährende Erweiterung der Fabrikation, die diese Maschinen braucht, nötig. (Noch mehr wenn er selbst akkumuliert.)
Hier ist also, selbst wenn in dieser Produktionssphäre das in ihr investierte Kapital nur reproduziert wird, beständige Akkumulation in den übrigen Produktionssphären nötig."(6)
Der Maschinenbauer des Marxschen Beispiels können wir uns als die Produktionssphäre des fixen Kapitals der Gesamtgesellschaft denken. Dann folgt daraus, daß bei Erhaltung der einfachen Reproduktion in dieser Sphäre, d.h. wenn die Gesellschaft jährlich dasselbe Quantum Ar- <66> beit auf die Herstellung des fixen Kapitals verwendet (was ja praktisch ausgeschlossen), sie in den übrigen Produktionssphären jedes Jahr eine Erweiterung der Produktion vornehmen muß. Hält sie aber hier nur die einfache Reproduktion ein, dann muß sie zur bloßen Erneuerung des einmal geschaffenen fixen Kapitals nur einen geringen Teil der zu seiner Schaffung angewandten Arbeit verausgaben. Oder - um die Sache umgekehrt zu formulieren - die Gesellschaft muß von Zeit zu Zeit, um sich große Anlagen fixen Kapitals zu schaffen, auch unter Voraussetzung der einfachen Reproduktion im ganzen periodisch erweiterte Reproduktion anwenden.
Mit dem Kulturfortschritt wechselt nicht bloß die Gestalt, sondern auch der Wertumfang der Produktionsmittel - richtiger: die in ihnen aufgespeicherte gesellschaftliche Arbeit. Die Gesellschaft erübrigt außer der zu ihrer unmittelbaren Erhaltung notwendigen Arbeit immer mehr Arbeitszeit und Arbeitskräfte, die sie zur Herstellung von Produktionsmitteln in immer größerem Umfang verwendet. Wie kommt dies nun im Reproduktionsprozeß zum Ausdruck? Wie schafft die Gesellschaft - kapitalistisch gesprochen - aus ihrer jährlichen Arbeit mehr Kapital, als sie ehedem besaß? Diese Frage greift in die erweiterte Reproduktion hinüber, mit der wir uns hier noch nicht zu befassen haben.
Fußnoten von Rosa Luxemburg
(1) Wir sprechen hier wie im folgenden der Einfachheit halber und im Sinne des gewohnten Sprachgebrauchs immer von jährlicher Produktion, was meist nur für die Landwirtschaft stimmt. Die industrielle Produktionsperiode und der Kapitalumschlag brauchen sich mit dem Jahreswechsel gar nicht zu decken. <=
(2) Die Arbeitsteilung zwischen geistiger und materieller Arbeit braucht in einer planmäßig geregelten, auf Gemeineigentum der Produktionsmittel basierten Gesellschaft nicht an besondere Kategorien der Bevölkerung geknüpft zu sein. Sie wird sich aber jederzeit in dem Vorhandensein einer gewissen Anzahl geistig Tätiger äußern, die materiell erhalten werden müssen, wobei die Individuen diese verschiedenen Funktionen abwechselnd ausüben mögen. <=
(3) "Wenn man von gesellschaftlicher Betrachtungsweise spricht, also das gesellschaftliche Gesamtprodukt betrachtet, welches sowohl die Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals wie die individuelle Konsumtion einschließt, so muß man nicht in die von Proudhon der bürgerlichen Ökonomie nachgemachte Manier verfallen und die Sache so betrachten, als wenn eine Gesellschaft kapitalistischer Produktionsweise, en bloc, als Totalität betrachtet, diesen ihren spezifischen, historisch ökonomischen Charakter verlöre. Umgekehrt. Man hat es dann mit dem Gesamtkapitalisten zu tun. Das Gesamtkapital erscheint als das Aktienkapital aller einzelnen Kapitalisten zusammen. Dies Aktiengesellschaft hat das mit vielen anderen Aktiengesellschaften gemein, das jeder weiß, was er hineinsetzt, aber nicht, was er herauszieht." (Das Kapital, Bd. II, S. 409.) [Karl Marx: Das Kapital, Zweiter Band In: Karl Marx/Friedrich Engels Werke, Bd. 24. S. 431.] <=
(4) Siehe Das Kapital, Bd. II, S. 371. [Karl Marx: Das Kapital. Zweiter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 396.] <=
(5) Siehe Das Kapital, Bd. II, S. 443-445. [Karl Marx: Das Kapital. Zweiter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 463-465.] Vgl. auch über die Notwendigkeit der erweiterten Reproduktion vom Standpunkt des Assekuranzfonds im allgemeinen, l.c. S. 148. [Karl Marx: Das Kapital. Zweiter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 178.] <=
(6) Theorien, l.c. S. 248. [Karl Marx: Theorien über den Mehrwert, Zweiter Teil. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 26.2, S. 481/482.] <=