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Buch:Die Entwicklung der Deutsch-Russischen Handelsbeziehungen

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Mit einem Vorwort von

M. BUSEMANN

Syndikus des deutsch-russischen Verein zur Pflege und Förderung der gegenseitigen Handelsbeziehungen, E. V.

Erschienen im Carnegie-Verlag - Felix Bitterling in Leipzig

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Jede gediegene Arbeit, die zur Erforschung und zur Kenntnis der kulturellen und der wirtschaftlichen Verhältnisse Russlands beiträgt, ist mit Dank aufzunehmen. Es fehlt an solchen Werken. Mit Recht wurde schon vor dem Kriege darüber geklagt, dass trotz der innigen und weitverzweigten wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden benachbarten Reichen Land und Leute und Leben Russlands selbst den tiefer gebildeten Deutschen im Allgemeinen fremd waren.

Immerhin muss jedoch auch anerkannt werden, dass namentlich seit dem Beginn des Jahrhunderts in Deutschland viel zur Aufklärung über Russland und zur inneren Annäherung an die Russen geschehen ist. Die gute russische Literatur ist von deutschen Verlegern in tadellosen Übersetzungen dem deutschen Volke nahegebracht worden. Es wurden Studienreisen nach Russland veranstaltet, ich nenne insbesondere die im Jahre 1912 unter der Führung von Professor Sering unternommene Studienreise der „Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung". Zahlreiche deutsche Gelehrte ersten Ranges nahmen teil an Kongressen in Russland, so an dem VI. Internationalen Geologen-Kongress in St. Petersburg 1896, an dem Medizinischen Kongress in Moskau im Jahre 1896, ferner an dem Internationalen Geographen-Kongress in St. Petersburg 1902.

Deutschland beteiligte sich an verschiedenen Ausstellungen in Russland. Ich erwähne die Ausstellung „Detski Mir" (Kinderwelt) in St. Petersburg im Jahre 1903, die mit Unterstützung des Reiches, des Preußischen Kultusministeriums und des Deutsch-Russischen Vereines beschickt wurde. Russische Hausindustrieerzeugnisse fanden in ihrer einzig schönen Eigenart durch Ausstellungen in deutschen Warenhäusern, namentlich in Berlin und in München, Eingang in deutsche Häuser. Dem Moskauer Theater wurde Gelegenheit zu Gastspielen auf ersten deutschen Bühnen gegeben.

Vor allem verdient hervorgehoben zu werden, dass in den letzten 25 Jahren eine beträchtliche Anzahl von bedeutsamen Werken über Russland in Deutschland erschienen ist. Genannt seien ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

§  v. Schulze-Gävernitz, G., Volkswirtschaftliche Studien aus Russland. Leipzig 1899.

§  Die Produktivkräfte Russlands. Zusammengesteift im Kaiserlichen russischen Finanzministerium von W. J. Kowalewski. Deutsche autorisierte Ausgabe von E. Davidson. Leipzig 1898.

§  Russlands Industrie und Handel. Von W. K. (Auszug aus dem „Enzyklopädischen Wörterbuch" von Efron und Brockhaus). Aus dem Russischen von L. Davidson. Leipzig 1901.

§  Hettner, A., Das Europäische Russland. Leipzig und Berlin 1905.

§  Wittschewsky, Russlands Handels-, Industrie- und Zollpolitik. Berlin 1905.

§  Goebel, O., Volkswirtschaft des westbaikalischen Sibirien. Berlin 1910.

§  Goebel, O., Volkswirtschaft des ostbaikalischen Sibirien ums Jahr 1909. Berlin 1910.

§  Ischchanian, B. Die ausländischen Elemente in der russischen Volkswirtschaft. Berlin 1912.

§  Russlands Kultur und Volkswirtschaft, herausgegeben. von M. Sering, Bertin und Leipzig 1913.

§  v. Boustedt, A und Trietsch, D. Das Russische Reich in Europa und Asien, 2. Auflage. Berlin, Leipzig, Hamburg 1913.

§  Hoetzsch, O., Russland. Eine Einführung auf Grund seiner Geschichte vom japanischen Krieg bis zum Weltkrieg. 2. Auflage. Berlin 1917.


Hinzu kommen wertvolle Veröffentlichungen der Sachverständigen bei den deutschen Konsulaten. Endlich sind auch die Veröffentlichungen des Deutsch-Russischen Vereines zur Pflege und Förderung der gegenseitigen Handelsbeziehungen, sowie die Tätigkeit der Deutschen Gesellschaft zum Studium Osteuropas anzuführen.

Der Krieg hat es mit sich gebracht, dass durch die Gefangenen beide Völker sich bekannter geworden sind. Die über ganz Deutschland beschäftigten russischen Gefangenen und ebenso die deutschen Gefangenen in Russland haben im persönlichen Verkehr mit den Arbeitgebern und den Arbeitsgenossen, der sich im Laufe der Zeit naturgemäß vielfach ziemlich eng gestaltete, Aufklärung gegeben und empfangen.

Auch der Verfasser des vorliegenden Werkes, Dr. Ludwig Lehrfreund, hat erst in mehrjähriger Kriegsgefangenschaft, während der er, durch glückliche Umstände begünstigt, in schwedisch-russischen Import-Gesellschaften tätig war und weite Reisen durch den Ural und Sibirien unternahm, Russland kennen und lieben gelernt.

Seine Arbeit hat das Verdienst, dass sie in knapper, Übersichtlieber Gestaltung leichten Überblick über die Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland, über ihre vertraglichen Regelungen und deren Wirkungen unter besonderer Hervorhebung des großen Nutzens, der nicht nur für Deutschland, sondern gleicherweise für Russland aus der wirtschaftlichen Vereinigung erwuchs, darbietet. An einer solchen Arbeit, die nicht nur für den Forscher bestimmt ist, sondern jedem, der an dem Handel zwischen Deutschland und Russland beteiligt ist, gute Dienste leistet, fehlte es, meines Wissens, bisher in der deutsch-russischen Literatur.

Der Verfasser zeigt den Beginn der Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Russland im frühen Mittelalter, den Tauschverkehr der Hanseaten-Russlandfahrer mit Nowgorod, das schon Jahrhunderte hindurch bis gegen 1500 der Mittelpunkt des deutsch-russischen Handels war, wobei besonders deutsche Tuche, Metallwaren und Salz umgesetzt wurden. Im 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts kam die Schwäche Deutschlands auch im Handel mit Russland zum Ausdruck. Mit dem Erstarken Preußens konnte dann der Grund zu neuem Aufbau der wirtschaftlichen Beziehungen zum Osten gelegt werden, beginnend mit einem im Jahre 1689 abgeschlossenen Handelsverträge zwischen Brandenburg und Russland.

Die Westeuropa zugeneigte Politik Peters des Großen und die geniale Wirtschaftspolitik des großen Preußenkönigs sind auch dem Güteraustausch beider Länder sehr förderlich gewesen. Besonders gelangte der Handel über die Landgrenze dank der Anlage von Landstraßen und Kanälen zu hoher Blüte.

In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts konnten Friedenswerke in Europa nicht gedeihen. Doch mit der Bildung der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands, wenigstens nach außen hin, im Zollverein 1834, kommt auch der deutsch-russische Handel wieder zur Entfaltung. Allerdings nicht in stetiger Entwicklung, sondern in starken Kurven, entsprechend den fast ununterbrochenen handelspolitischen Verhandlungen und den ihnen folgenden Revisionen der Zolltarife.

Die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Russland vom Übergange zur Schutzzollpolitik in Russland 1877, mit der Erhebung der Zölle in Gold statt wie bisher in Silber, und in Deutschland 1879 bis zum Zollkrieg 1893 und dessen Überwindung durch den deutsch-russischen Handels- und Schifffahrts-Vertrag vom 10. Februar 1894 konnte sich, wie der Verfasser in übersichtlichen Zahlenreihen vorführt, in diesem 13 Jahre langen latenten Zollkriege nicht entwickeln. Immerhin sind aber Ein- und Ausfuhr auf gleicher Höhe geblieben. Einen starken Aufschwung erfuhr dann der Handel mit der Geltung des Handelsvertrages von 1894, mit dem Zusatzverträge von 1904, wie der Verfasser in umfangreichen Auszügen aus russischen und deutschen Quellen im Einzelnen darlegt.

So gibt Lehrfreund in anschaulicher Darstellung den historischen Nachweis, wie innig beide Länder wirtschaftlich aufeinander angewiesen sind, und er stärkt dadurch unser Vertrauen auf einen Wiederaufbau des deutsch-russischen Handels.

In dem ausführlichen Schlusskapitel „Die deutsch-russischen Handelsbeziehungen nach dem Weltkriege" gibt der Verfasser zunächst eine objektive Darstellung der Bedeutung der Brest-Litowsker Verträge mit der Ukraine vom 9. Februar 1918 und mit Russland vom 3. März 1918.

In Bezug auf den bekannten Artikel 292 des Friedensvertrages von Versailles („Deutschland erkennt an, dass alle mit Russland oder irgendeinem Staate oder irgendeiner Regierung, deren Gebiet früher einen Teil Russlands bildete, sowie mit Rumänien vor dem 1. August 1914 oder seit diesem Tage bis zum Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrages geschlossenen Verträge über Einkommen oder Abmachungen aufgehoben sind und bleiben") wird mit Recht hervorgehoben, dass die Rechtmäßigkeit dieser Bestimmung nicht anerkannt werden kann, da Russland an den Friedensverhandlungen nicht teilgenommen hat.

Lehrfreund kommt nach einem Hinweis auf den Zusammenbruch der von Koltschak, Denikin, Judenitsch, Wrangel unternommenen Ver­suche, die Sowjetregierung mit Waffengewalt zu stürzen, zu dem Schluss, dass „man dem russischen Volke nur helfen könne, indem man es aus seiner Isolierung reißt und in wirtschaftliche Beziehungen zu ihm tritt. Je reger sich diese gestalten werden, desto kleiner wird der Nimbus des russischen Bolschewismus im Auslande und desto größer das Bewusstsein seiner Unzulänglichkeit im Inlande." Das ist zweifellos richtig. Inzwischen scheint schon die Erkenntnis, dass Pro­duktion, Industrie und Handel, kurz, das gesamte Wirtschaftsleben nur bei freier Entfaltung der Kräfte des Einzelnen gedeihen kann, in Russland durchzudringen. Lenin hat auf dem Anfang März 1921 in Moskau abgehaltenen X. Kongress der Kommunistischen Partei unter fast allgemeiner Zustimmung die auf dem Gebiete der Wirtschaft be­gangenen Fehler öffentlich zugegeben und dabei erklärt, „man werde nicht umhinkönnen, der Forderung nach freiem Handel und freier Wirtschaft entgegenzukommen." Auch in der bolschewistischen Presse begegnet man neuerdings Äußerungen, welche die Unhaltbarkeit der gegenwärtigen wirtschaftlichen Zustände offen zugeben und auf die Freigabe des Außenhandels als unerlässlich notwendig hinarbeiten.

Die Nationalisierung des Handels ist zweifellos zusammenge­brochen. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass der Einzelhandel in Russland wieder einsetzen wird, und gleichzeitig wird auch die Pro­duktion wieder Lust zum Schaffen bekommen.

Dass Deutschland bei der Neugestaltung der wirtschaftlichen Be­ziehungen Russlands zum Auslande ausgeschlossen wird, ist zwar nicht zu befürchten, indes weist der Verfasser des vorliegenden Werkes mit Recht darauf hin, dass seitens der Wettbewerb enden Länder große Anstrengungen gemacht werden, uns zu verdrängen. Es ist, nachdem die Sowjetregierung die Nationalisierung des Handels allem Anschein nach aufgeben will, dankbar zu begrüßen, dass die deutsche Regierung, hoffentlich mit Erfolg, bemüht ist, die Zulassung von Vertretern des Handels und der Industrie Deutschlands in Russland vertraglich durchzusetzen. Sobald nur erst der deutsche Kaufmann, dessen Arbeit vor dem Kriege Deutschland seinen wirtschaftlichen Aufschwung im Auslande zu danken hatte, wieder nach Russland gehen, dort alte Beziehungen wieder aufnehmen, neue anknüpfen und ungehindert arbeiten kann, ist keine Gefahr mehr, dass Deutschland vom russischen Markte ferngehalten wird.

M. Busemann

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Deutschlands mächtiger Aufschwung in den letzten Jahrzehnten vor dem Weltkriege beruhte, um mit Friedrich Liszt zu reden, auf seiner Umwandlung von einem Agrikultur-Manufakturen einen Agrikultur-Manufaktur-Handelsstaat. Sein gewaltig anschwellender Außenhandel beschäftigte einen immer größeren Teil seiner Bevölkerung, versorgte die heimische Industrie mit den Rohstoffen fremder Länder und erschloss ihre Absatzgebiete in den entferntesten Weltteilen.

Ermöglicht wurde diese weltumspannende Tätigkeit des deutschen Kaufmanns durch den Rückhalt, den er jederzeit an den starken Machtmitteln des Deutschen Reiches fand und durch die Sicherheit und Stetigkeit der internationalen Rechtsbeziehungen, welche ihm die von der deutschen Regierung abgeschlossenen Handelsverträge gewährten.

Durch den Krieg und noch mehr durch den „Friedensvertrag wurden diese Grundlagen des deutschen Außenhandels zerstört. Macht und rechtlos, ohne die geringste Möglichkeit einer Vergeltung sieht sich der deutsche Kaufmann allen Schikanen seiner ehemaligen Feinde preisgegeben, von denen einige immer noch in unbegreiflicher Verkennung der primitivsten Wirtschaftsvorgänge ihren Interessen am besten zu dienen glauben, indem sie Deutschlands Außenhandel erdrosseln.

Deutschland kann aber nicht mehr seine Volkswirtschaft auf den Status eines geschlossenen Handelsstaates zurückschrauben, ohne dass es Millionen seiner Bewohner zur Auswanderung zwingt oder, da diese nur wenigen möglich, der Verelendung preisgibt. Es muss daher, will es vor weiteren politischen und sozialen Unruhen bewahrt bleiben, mit allen Mitteln bestrebt sein, Rohstoffe und Lebensmittel zu annehmbaren Preisen aus dem Auslande zu verschaffen und dort den deutschen Industrieerzeugnissen wieder lohnende Absatzgebiete zu erschließen.

Mit Westeuropa und Amerika konnten teils aus den angeführten, teils aber aus valutarischen Gründen bisher keine befriedigenden Resultate erzielt werden. Insbesondere wird eine Verbilligung der Lebenshaltung und damit auch eine soziale Be­ruhigung erst dann eintreten können, wenn als Lieferanten wieder die valutaschwachen osteuropäischen Länder auftreten werden. Unter ihnen kommt Russland die größte Bedeutung zu. Bis zum Kriege war es unser größter Getreidelieferant und einer der wichtigsten Abnehmer unserer Industrieerzeugnisse, ebenso stand Deutschland in den Export und Importziffern Russlands weitaus an erster Stelle.

Die Bedeutung beider Länder füreinander ist heute noch größer als vor dem Kriege. Denn Deutschland kann sich jetzt, nachdem es wichtige landwirtschaftliche Gebiete hat abtreten müssen, weniger denn je selbst ernähren, und Russlands Industrie ist in einem der­artigen Zustande, dass sie noch für lange Jahre hinaus nur einen sehr geringfügigen Teil des russischen Bedarfes wird decken können.

Von einer feindseligen Handelspolitik Russlands wird umso weniger die Rede sein, als Deutschlands Industrie von jeher auf die russi­schen Bedürfnisse eingestellt war und am ehesten imstande ist, die­selben zu befriedigen. Im Gegenteil ist vorauszusehen, dass die gemeinsame Not beider Länder und ihre vielfach parallellaufenden Interessen nicht nur zu einer wirtschaftlichen, sondern über kurz oder lang auch zu einer politischen Annäherung führen werden. Das ist es aber, was die Entente mit allen Mitteln verhindern will. Ihre Gewaltpolitiker befürchten nicht zu Unrecht, dass der durch den Diktatfrieden geschaffene unnatürliche Zustand nicht lange vorhalten wird, wenn Deutschlands und Russlands vereinigte wirtschaftliche und politische Kräfte dagegen anstemmen werden.

Clemenceau sprach es in seiner letzten Rede als Ministerpräsident offen aus, dass man zwischen Deutschland und Russland Drahtverhaue legen müsse . . . Ob dieser Plan aber gelingen wird, ob es überhaupt in menschlicher Macht liegt, die Verbindung zweier mächtiger, von Natur aus aufeinander angewiesener Länder auf die Dauer zu unterbinden, darüber mag uns ein Überblick über den Werdegang der deutsch-russischen Handelsbeziehungen Aufschluss geben.

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Bis in das frühe Mittelalter hinein lassen sich die Spuren der deutsch-russischen Handelsbeziehungen zurück verfolgen <1>[*]). Vineta, die längst verschollene, sagenumwobene Stadt auf der Insel Usedom am Ausflusse der Oder war bereits um das Jahr 500 herum der Sammelpunkt kühner deutscher Kauffahrer, die auf gebrechlichen Fahrzeugen der russischen Ostseeküste Ostragard hieß sie da­mals zustrebten <2>.

Die erste Veranlassung zu diesen Fahrten gab der an der deutschen Küste vorkommende Bernstein, der da­mals sehr begehrt, in der mannigfaltigsten Weise verarbeitet, zu Geschmeide, Gefäßen, Waffenschmuck und dergleichen verwendet wurde <3>. Allerdings waren es nicht die damaligen Bewohner Russlands, die diese Luxusbedürfnisse zeigten und entsprechende Gegenwerte im Tauschhandel bieten konnten. Vielmehr waren es die Griechen und Römer, die diese Vorliebe für den Bernstein hegten. Russland war damals das Durchgangsland, dessen gewaltige Ströme die Verbindungswege zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meere bildeten <4>.

Der gewöhnliche Handelsweg ging im 3. Jahrhundert von der deutschen Bernsteinküste nach Schleswig und Vineta, wo sich die Kauffahrteiflotten sammelten und in 43-tägiger Fahrt nach Ostragard segelten <5>. Von da aus ging es längs der Düna, der Weichsel, dem San, Bug, Dnjepr bis an das Schwarze Meer, wo in Olbia die griechischen Kaufleute den Bernstein gegen indische und morgenländische Waren, insbesondere Gewürze, Seide und Baumwolle, umtauschten.

Wie umfangreich dieser Levante Handel gewesen sein muss, beweist  die große Zahl der an ihm beteiligten, im 8. und 9. Jahrhundert mächtig aufblühenden Städte, von denen an der Ostsee noch Asagard <Danzig>, Kulm, Druso <Elbing> und Aldejoborg am Ausflusse der Newa aus dem Ladogasee, im Inneren Russlands Pskow, Polotsk und insbesondere Nowgorod und Kiew zu nennen sind, die die wichtigsten Stapelplätze für den Levante Handel bildeten. Vineta blieb der Ausgangspunkt bis um die Mitte des 11. Jahrhunderts, da wurde es vom dänischen König Magnus erobert und geplündert und bald darauf durch ein Erdbeben ins Meer versenkt <6>. Die Bürger Vinetas zogen größtenteils auf die Insel Gotland, wo Visby sich bald zum wichtigsten Handelsplätze für den levantinischen Warenzug über Russland herausbildete.

Seit dem Beginne des 12. Jahrhunderts verlor dieser aber mehr und mehr an Bedeutung, da zu der Zeit die Kreuzzüge einsetzten, mit denen eine neue Epoche in der Geschichte des Welthandels beginnt. Denn den Spuren des Kreuzfahrers folgte bald der Kaufmann, der schnell begriff, dass der levantinische Handelsweg über Italien kürzer als über Russland, und die Waren im Produktionslande aus erster Hand weit billiger zu erstehen seien als bisher. Damit büßte Russland allmählich seinen Transithandel nach dem Morgenlande ein, zu dessen Trägern sich Amalfi, Pisa, Genua und Venedig emporschwangen.

Um die Bedeutung der deutschen Ostseestädte und der russischen Stapelplätze war es aber deshalb noch nicht geschehen. Denn inzwischen hatte der Austausch zwischen Erzeugnissen deutschen Gewerbefleißes und russischen Naturprodukten einen derartigen Umfang angenommen, dass er den absterbenden Levante Handel vollkommen ersetzte. End- und Ausgangspunkte dieses neu emporblühenden deutsch-russischen Handelsverkehrs waren Visby und Nowgorod <7>.

Wir erwähnten schon, dass nach dem Untergange Vinetas Visby der bedeutendste Ostseehafen und einer der ersten Handelsplätze Europas wurde. Von Jahr zu Jahr mehrte sich die Zahl der Visby besuchenden deutschen Kaufleute, von denen viele ganz hinüber siedelten und dort bald eine deutsche Gemeinde bildeten, die weder an Zahl noch an Reichtum hinter der einheimischen zurückstand und gleiche Rechte wie diese ausübte. Im Visbyer Rate saßen 18 Goten und 18 Deutsche, an seiner Spitze standen 2 Vögte, ein gotischer und ein deutscher <8>. In Visby hatte die Gesellschaft des gemeinen deutschen Kaufmanns ihren Mittelpunkt, sie setzte sich zunächst aus Lübecker und westfälischen Kaufleuten zusammen, wurde aber bald die Leiterin des gesamten norddeutschen Handels. Die kaufmännischen Vereinigungen, die früher selbständig neben ihr bestanden hatten, wurden nach und nach Glieder dieses einen großen Bundes, der im Laufe der Zeit durch seine Kontore und Faktoreien den Handel des ganzen nördlichen Europa monopolisierte. Zunächst freilich teilte die Gesellschaft des gemeinen deutschen Kaufmanns ihren Einfluss mit der Gemeinde der gotischen Kaufleute zu Visby. Beide hatten ihre Handelshöfe in Nowgorod; die Gothen nannten den ihrigen nach dem Schutzpatron ihrer Kirche St. Olei, die Deutschen nach ihrem Schutzpatron St. Peter <9>.

In der inneren Verwaltung waren beide getrennt, nach außen hin traten sie jedoch vereint auf, um ihren Rechten und Forderungen größeren Nachdrude zu verleihen. Aber in dem Maße, in dem die Gesell­schaft des gemeinen deutschen Kaufmanns sich zum mächtigen Bunde der Hansa umbildete, in dem Maße verschwand auch der Einfluss der Goten. Als schließlich im Jahre 1361 der Dänenkönig Waldemar II. Visby eroberte und verheerte, war es endgültig um dessen Bedeutung geschehen <10>.

Seitdem war die deutsche Hanse die alleinige Trägerin des Handels nach Russland. An ihrer Spitze stand Lübeck, doch war auch der Anteil der westfälischen Städte, insbesondere Soests und Dortmunds ein recht großer, der ihnen seit dem Beginne des 14, Jahrhunderts von den kurländischen Städten, namentlich Riga, Reval und Dorpat streitig gemacht wurde.

Der Ziel und Mittelpunkt aller hansischen Russlandfahrer bil­dete damals Nowgorod, das der wichtigste Handelsplatz im Innern Russlands war. Seine Bedeutung verdankte es zunächst seiner günstigen Verkehrslage. Durch den Wolchow, den Ladoga und die Newa führte eine Wasserstraße zur Ostsee, auf dem Lovat gelangte man in das Gebiet der oberen Düna, durch die Msta und die Twerza wurde die Verbindung mit der Wolga bewerkstelligt, und längs der Msta, Mologa, Sheksna und Suchowa vollzog sich der Verkehr mit den nördlichen Dwinagegenden <11>.

Dazu trat noch die überaus günstige strategische Lage. Nowgorod war von allen Seiten von Flüssen, Sümpfen und undurchdringlichen Urwäldern umgeben, und während auf dem übrigen Russland jahrhundertelang das Joch der Tartaren lastete, hat Nowgorod nie ein tartarisches Heer vor seinen Mauern gesehen <12>.

Hier strömten, denn alle Schätze des Nordens zusammen, die dem deutschen Kauffahrer überreichliche Gelegenheit zum Warenaustausch boten. Von hier aus erschloss sich der deutsche Kaufmann den russischen Markt, und wenn er auch in der Folgezeit Handelshöfe in Pskow, Polotsk und Smolensk errichtete, so blieb dennoch der St. Peterhof zu Nowgorod unbestritten der Mittelpunkt aller deutschen Handelsinteressen in Russland <13>.

Der deutsche Hof zu Nowgorod unterschied sich von denen in London und Bergen dadurch, dass er keine ständigen Insassen hatte, die den Hansen als Kommissionäre dienten. Die deutschen Kaufleute kamen vielmehr selbst mit ihren Waren zweimal im Jahre und verließen den Hof, sobald sie ihre Waren eingetauscht hatten. Die einen kamen im Frühling und blieben den Sommer über, weshalb man sie „somerfare" nannte, die anderen kamen im Herbst und blieben über den Winter, sie hießen deshalb „winterfare". Wenn die einen ankamen, mussten die anderen abreisen, länger als ein Jahr und einen Tag durfte niemand im Hofe verweilen. Ebenso genau unterschied man, wie wir aus den ältesten Statuten des Nowgoroder Hofes, den sogenannten Scraen, ersehen, die zur See <waterfare> und die über Land <landfare> Gekommenen <14>.

Erstere hatten den Vorrang, da sie einen längeren und schwierigeren Weg zurückzulegen hatten, und ihre Heimatstädte ältere und bedeutendere Glieder der Hanse waren als die der Landfahrer, die sich meist aus den livländischen Städten rekrutierten. Der älteste und am häufigsten benutzte Weg nach Nowgorod führte durch den Finnischen Meerbusen, die Newa hinauf bis nach Ladoga, wo die Deutschen ihren eigenen Hof hatten und die Kirche zum St. Nicolai besaßen <15>.

Hier blieben die deutschen Koggen ihres Tiefganges wegen liegen, und Nowgoroder Fahrzeuge flacherer Bauart nahmen die Waren auf. Von da aus ging es den Wolchowfluss hinauf, an der Insel Gestefeit vorüber, wo ein geringer Wegzoll zu entrichten war, bis nach Nowgorod. Die Kaufleute aus Riga, Reval und Dorpat schlugen meist den Landweg über Pskow ein, den auch alle übrigen benutzten, wenn der Seeweg von Normannen oder Schweden gesperrt war. Außer dem Wegzoll bei Gestefeit hatten die Deutschen, wie wir aus dem Handelsverträge von 1270 ersehen <16>, einen Handelszoll in Nowgorod zu zahlen, doch waren beide so gering, dass die deutschen Kaufleute den Handel mit Nowgorod zollfrei nannten <17>.

Außerdem ersehen wir aus derselben Urkunde, dass diejenigen, welche in das Innere des Nowgoroder Gebietes zum Einkauf reisten, also den einheimischen Nowgoroder Kaufleuten Konkurrenz machten, eine besondere Abgabe an die Freitagskirche zu leisten hatten.

Der hansisch-russische Handelsverkehr vollzog sich meist in der Form des Tausches <18>. Gold und Silber hatten damals noch Warencharakter. Oft wurden Felle als Geld verwendet, da sie einen der wichtigsten Gegenstände der russischen Ausfuhr bildeten. Die besseren Pelzarten, wie Zobel, Marder, Biber und Hermelin wurden in Zimmern <40 Stück> eingehandelt, die gewöhnlicheren Sorten, deren Benennungen uns noch erhalten sind, deren Bedeutung wir aber nicht mehr kennen, nur in größeren Mengen, so die Skevenissen und Doyenissen zu 250, 500 und 1000 Stück, die Troyenissen und Poppeleumer zu 10 000 Stück.

Von großer Bedeutung war auch der Handel mit Wachs, den die deutschen Kaufleute in gewaltigen Mengen aus Nowgorod ausführten, um den riesigen Bedarf an Wachskerzen, die der Kultus der katholischen Kirche damals erforderte, zu decken. Es sind uns noch einige Angaben über die Wachspreise erhalten, so kostete in Riga Ende des 13. Jahrhunderts ein Scheppund (Schiffspfund) = zirka 1 Tonne 11,5 Mark Silber) im 15. Jahrhundert war er schon viel teurer, da zahlte man in Danzig für ein Scheppund russischen Wachses bereits 30 - 50 Mark Silber. Weitere russische Exportartikel waren damals Leder, Haare, Talg, Tran, Harz, Teer und Hanf.

Die Rohprodukte wurden gegen Erzeugnisse der west­europäischen Industrie eingetauscht. Den Hauptgegenstand der deut­schen Einfuhr nach Nowgorod bildeten Tuche, von denen sich die flandrischen besonderer Beliebtheit erfreuten, sie wurden nur in ganzen Stücken verkauft, streng war es auf dem Hofe verboten, dieselben zu zerschneiden und Tuch für einzelne Gewänder zu ver­kaufen, da der Detailverkauf den Nowgoroder Kaufleuten vorbehalten war.

In kleineren Quanten durften die Angestellten der deutschen Kaufleute nur Handschuhe, gefärbtes Garn, Schwefel, Nadeln, Bürsten und dergleichen verkaufen. Bedeutend war auch die Einfuhr von Wein, besonders von Rotwein, der zur Verabreichung des heiligen Abendmahls notwendig war, auch hierbei war nur der Großverkauf in ganzen Fässern erlaubt. Den Ausschank verbot die Skra (Satzung des deutschen Hofes) bei Strafe von 50 Silbermark und Verlust aller Hofrechte. Ein wichtiger Faktor des deutschen Handels nach Russland war das Salz, das von den Russen nicht in genügender Menge erzeugt wurde. Es wurde von Lübeck und Danzig in ganzen Schiffsladungen nach den livländischen Städten verladen, dort in Säcke gepackt und so fertig zum Verkauf nach Nowgorod und Pskow gebracht. Ferner führten die Deutschen Metall waren in großen Mengen ein, auch rohe Metalle, wie Eisen, Blei, Zinn und Kupfer, das die Russen für ihre zahlreichen Kirchen brauchten.

Zeitweise brachten die hansischen Kaufleute auch Brot, Fleisch und gesalzene Fische nach Nowgorod. So wird berichtet <19>, dass im Jahre 1231, als infolge von Missernten und Abschneidens der Zufuhr durch den Großfürsten Jaroslaw, mit dem die Nowgoroder in Fehde lagen, eine große Hungersnot in Nowgorod herrschte, die Deutschen mit ihrer Lebensmitteleinfuhr die Stadt retteten.

Jahrhundertelang vollzog sich dieser deutsch-russische Warenaustausch, und es zeugt für die Natürlichkeit seiner Voraussetzungen, dass er trotz aller Hindernisse und Störungen immer wieder fortgesetzt wurde. Wir erwähnten schon, dass die Schweden den Handelsweg durch den Finnischen Meerbusen und die Newa des Öfteren versperrten. Ein noch größeres Hindernis bereiteten die zahlreichen, vom Papst und der katholischen Geistlichkeit unterstützten Feldzüge der deutschen Ordensritter gegen die „heidnischen" Russen. Es berührt uns gerade heute, im Zeitalter der „Blockaden", ganz eigentümlich, dass trotz des fast dauernden Kriegszustandes zwischen Deutschen und Russen der hansische Kaufmann dennoch ruhig seines Weges zog und sich trotz der häufig genug vom Ordensmeister geforderten Handelssperre gegen Nowgorod nicht dazu herbeiließ, sein friedliches Gewerbe aufzugeben.

Am häufigsten wurde der deutschrussische Handelsverkehr durch die privaten Händel der deutschen und russischen Kaufleute unterbrochen. Bald hatte der Deutsche Tuch in Stücken geliefert, die nicht die vorgeschriebene Länge besaßen, oder Salz in Säcken, denen es am vollen Gewicht fehlte, bald hatte der Russe minderwertige oder ausgekämmte Felle in die Packen geschmuggelt und sich aus dem „gethogenen Haarwerk" noch einen besonderen Verdienst herausgeschlagen, oder er hatte, was am häufigsten geschah, den Wachs mit Sand, Talg und Eicheln untermischt.

Streit und Gewalttätigkeiten waren die Folgen solcher Betrügereien, und da man damals privates Recht von öffentlichem nicht schied, so waren derartige Händel häufig genug die Ursache eines allgemeinen Abbruchs der gegenseitigen Beziehungen. Diese Unterbrechungen hielten aber nie lange vor. Immer wieder entsandte die eine oder die andere Seite ihre Bevollmächtigten, um die Streitigkeiten beizulegen und die Wiederaufnahme des Handelsverkehrs zu erwirken, wovon uns eine lange Reihe von Verträgen noch beredtes Zeugnis ablegen <20>.

Unter diesen beanspruchen die 1268—1270 getroffenen Vereinbarungen ganz besonderes Interesse, denn, wenn es auch bestritten ist, ob sie alle wirklich „ratifiziert" oder nur einseitige Vertragsentwürfe sind, so stellen sie doch im Großen und Ganzen alle Bedingungen dar, unter denen der damalige Handelsverkehr sich abgespielt hat. Die zahlreichen folgenden Friedensund Handelsverträge bieten im Wesentlichen nichts Neues mehr. Aber sie zeigen uns, dass, solange die deutschen und russischen Städte ihre Geschicke selbst bestimmten, das natürliche Interesse ihrer Bevölkerung zum gegenseitigen Handelsverkehr drängte und alle Hindernisse überwand. Dies wurde erst anders als Iwan III., „der Furchtbare", die Herrschaft in Moskau antrat und Russland zu einem einheitlichen absoluten Staatsgebilde formte <21>.

Die Unabhängigkeit Nowgorods und die Sonderstellung der Hanseaten konnte dieser Despot nicht lange dulden. Im Jahre 1478 war es mit der Selbständigkeit des Freistaates Groß-Nowgorod vorbei. Durch Verbannung aller bedeutenderen Bürger und Ansiedlung Moskauer Pöbels an ihrer Stelle besiegelte Iwan das Schicksal dieser einst so stolzen und mächtigen Handelsstadt. Der deutsche Hof hielt sich noch einige Zeit, aber am 5. November des Jahres 1494 wurde er auf Befehl Iwans plötzlich geschlossen, die anwesenden deutschen Kaufleute, 49 an der Zahl, ihrer Waren beraubt und gefangen gesetzt. Erst nach Jahren wurden sie freigelassen, kamen aber auf der Heimfahrt im Schneesturm um. Mit dieser Episode endet auch die Geschichte des Jahrhunderte überdauernden hansisch-nowgoroder Handelsverkehrs. Mit der Schließung des deutschen Hofes zu Nowgorod versiegte auch der Quell, aus der die deutsche Hansa ihren Reichtum und ihre Macht schöpfte <22>.

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In der Folgezeit fehlte es zwar nicht an Bemühungen der deut­schen Städte, den Handel mit Russland wieder aufleben zu lassen. Immer wieder wurden Gesandtschaften nach Moskau geschickt, Ver­handlungen angeknüpft, und es gelang sogar, mit dem Großfürsten Wassili und später auch mit den Zaren Feodor und Boris Godunow Handelsverträge abzuschließen, die der Hanse und besonders Lübeck ihre alten Rechte Wiedergaben <23>.

Aber seine jahrhundertelang behauptete Vormachtstellung konnte der deutsche Städtebund nie mehr erlangen. Die livländischen Städte, die inzwischen immer größeren Anteil am russischen Handel genommen hatten, sonderten sich von der Hansa ab und suchten auf alle mögliche Weise den direkten Verkehr der Deutschen mit Nowgorod und Pskow zu hintertreiben. Diese wählten sich deshalb einen neuen Stapelplatz, Narwa, das seit 1558 in den Besitz Russlands gelangt war. Doch hatten sie hier unter der Konkurrenz der Engländer, Holländer und Franzosen sehr zu leiden. Ja, die Menge der nach Narwa ein­geführten Waren war zeitweise so groß, dass es damals schon zu einem regelrechten „Dumping" kam, Nyenstädt berichtet in seiner livländischen Chronik darüber: „Laken, Seiden-Gewand, Sammet und andere Stückwaren, Spezerei und Getränke mussten sie wohl­feiler abgeben, als sie sonst eingekauft hatten.

Ich mag die Wahr­heit reden, dass ich es von den Moskowitern gehört, dass sie viele Pfunde blazen-Gold das Pfund um 10 Thaler gekaufet, welches in Deutschland 15 Reichstaler bezahlt stand, schöne Damaste in ganzen Ballen, die lange brabantische Elle für einen Reichstaler, die für 2 Reichstaler nicht eingekaufet worden, englische Laken für 30 und 36 Reichstaler zum Höchsten, die doch 45 Thaler kosten."  Aber selbst diesen wenig gewinnbringenden Handel konnten die Hanseaten nur mit Mühe aufrechterhalten.


Die Narwa-Fahrt erregte den Neid der livländischen Kaufleute, die den russischen Handel zu monopolisieren gedachten. Reval stellte sich unter den Schutz des Königs von Schweden, dessen Kriegsschiffe, die nach Narwa segelnden Kauffahrteiflotten aufbrachten. Ein langwieriger Kaperkrieg entstand, den Lübeck, von allen anderen Hansestädten im Stich gelassen und nur mit Dänemark verbunden, mit außerordentlicher Energie durchführte <24>.

Als aber die Schweden 1581 Narwa eroberten, wurde damit auch der letzte unmittelbare Handelsweg nach Russland versperrt. Die Schweden, die die ganze Ostseeküste in ihren Besitz brachten, erhoben hohe Durchgangszölle und machten es so den deutschen Kaufleuten trotz der obenerwähnten Vergünstigungen, die Feodor und Boris Godunow den Lübeckern gewährten, unmöglich, mit den Engländern zu konkurrieren. Diese hatten auf der Suche nach dem nordöstlichen Wege nach Indien im Jahre 1553 den nördlichen Seeweg nach Russland durch das Weiße Meer und die Dwinamündung bis zum heutigen Archangelsk entdeckt und seitdem einen immer größeren Anteil am russischen Handel genommen. Unter der Regierung der Königin Elisabeth verstanden es die Engländer, sich wichtige Privilegien zu sichern, die ihnen eine fast unbestrittene Monopolstellung im russischen Handel verschafften.

„Die Engländer", so heißt es in einer Klageschrift, die eine große Anzahl von russischen Kaufleuten im Jahre 1646 an den Zaren Alexei richtete, „haben die Erschöpfung Russlands nach der Zeit der Unruhen benutzt und russische Beamte bestochen, um sich Handelsprivilegien in Russland zu sichern, während die russischen Kaufleute dadurch vollständig außer Brot gesetzt sind und sich in verschiedenen Städten herumbetteln müssen.

Die Engländer sind in viel größerer Zahl nach Russland gekommen, als ihnen zugestanden gewesen, haben in Archangelsk, Cholmogory, Wologda, Jaroslaw, Moskau und anderen Städten große Kaufhöfe errichtet und Speicher gebaut, haben aufgehört, ihre Waren den russischen Kaufleuten in Archangelsk zu verkaufen und sind stattdessen nach Moskau und in die anderen Städte mit ihren Waren gekommen. Und dann warten sie noch auf hohe Preise und verkaufen ihre Waren nicht früher, selbst wenn sie zwei bis drei Jahre warten müssen. Russische Waren kaufen sie nicht mehr direkt von den russischen Kaufleuten, sondern lassen diese durch ihre Bevollmächtigten im Lande selbst aufkaufen" <25>.

Und in der Tat wurde das russische Eisen fast ausschließlich durch die Engländer an andere Nationen abgeliefert, der Handel mit Segeltuch und Leinwand war ganz in ihren Händen, sie hatten ein ausschließliches Recht, manche Waren, wie Zwirn, Garn, Sal­peter usw. zu exportieren, der Rhabarber, ein Monopol der Krone, wurde in Holland und Hamburg durch den in Petersburg befind­lichen englischen Residenten verkauft. Die Kaufleute Südeuropas wandten sich mit ihren Bestellungen fast ausschließlich an englische, in Russland etablierte Häuser <26>. Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein befand sich der größte Teil des Handels in den russischen Häfen an der Ostsee und im Weißen Meere in den Händen der Engländer.

Gegenüber diesen Erfolgen der „merchant adventurers" geriet der deutsche Kaufmann ganz ins Hintertreffen. Schuld daran trugen die politischen und kriegerischen Wirren, von denen Deutschland während des 16. und 17. Jahrhunderts heimgesucht wurde. Ins­besondere hat das furchtbare Elend des Dreißigjährigen Krieges wie auf allen Gebieten des politischen, geistigen und wirtschaftlichen Lebens, so auch auf dem des Handels Deutschland Wunden geschlagen, deren Spuren erst das 19. Jahrhundert völlig getilgt hat <27>.

Der Niedergang der Hansa vollzog sich unaufhaltsam. Beschleunigt wurde er noch durch das Erstarken der Territorialherrschaften. Die deutschen Landesherren suchten die Selbständigkeit der zur Hanse gehörenden Städte auf ihrem Gebiet zu brechen, so hat schon der zweite Hohenzoller in der Mark Brandenburg den Austritt seiner Landstädte aus der Hanse erzwungen. Ebenso sahen wir, wie die Bildung eines einheitlichen absolutistischen russischen Staates durch Iwan III. zum Verlust der Privilegien der Hanse und zur Schließung des St. Peterhofes in Nowgorod führte.

Ein Jahrhundert später wiederholte sich dieser Vorgang in England, wo die Königin Elisa­beth 1597 den hansischen Stahlhof zu London schloss. Ebenso wenig konnte sich der deutsche Handelsbund den anderen Terri­torialstaaten des Ost- und Nordseebeckens, namentlich Schweden gegenüber, behaupten. Den realen Machtmitteln derselben konnte die Hanse nur noch papierne Proteste und Klagen bei Kaiser und Reich entgegensetzen und ging so ihrer gänzlichen Auflösung entgegen.

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Zu jener Zeit jedoch, als der deutsch-russische Handelsverkehr gänzlich zu versiegen drohte, und nur einzelne deutsche Seestädte wie Hamburg und Bremen einen dürftigen Speditionsverkehr nach Archangelsk betrieben, wurde der Keim gelegt, aus dem in der Folge­zeit eine neue mächtige Blüte des deutsch-russischen Handels hervor­gehen sollte.

Im Jahre 1649, ein Jahr nach Abschluss des West­fälischen Friedens, fasste der Kurfürst Friedrich Wilhelm von Branden­burg, der auf alle mögliche Weise bestrebt war, das fürchterliche Elend, das der Dreißigjährige Krieg über seine Lande gebracht hatte, zu mildern, den Entschluss, eine Gesandtschaft nach Moskau zu schicken, um den gegenseitigen Austausch von Landesprodukten in die Wege zu leiten und den Zaren zu bitten, entweder seinen Untertanen den Verkauf von Getreide an den Kurfürsten zu gestatten oder selbst aus seinen Kornmagazinen zu Archangelsk ihm auf vier  oder sechs Jahre jedes Jahr 2000 Lasten für einen billigen Preis zu überlassen <28>.

Sein Gesandter Heinrich Reiff, ein klevischer Richter, kam mit reichen Geschenken versehen <29> Ende März 1656 in Moskau an und wurde vom Zaren Alexis Michailowitz mit großer Auszeichnung empfangen. Er brachte ein Schreiben an den Kurfürsten zurück, in dem der Zar erklärte, 5000 Tschetwert Roggen (1 Tschetwert = 210 Liter) zum Preise von 1 Rubel für 1 Tschetwert aus seinen Magazinen zu Archangelsk zu überlassen und sich erbot, künftig eine größere Quantität zu billigerem Preise zu liefern.

Diese Sendung gab den Anstoß zu regen Be­ziehungen zwischen Brandenburg und Russland, die schließlich im Jahre 1689 zum Abschluss eines Handelsvertrages führten, der grundlegend für den künftigen Handelsverkehr Brandenburg-Preußens und Russlands wurde. In demselben erhielten die brandenburgischen Kaufleute das Recht, mit ihren Waren nach Archangelsk, Smolensk, Pskow und anderen Städten zu reisen „in Ehrerweisung und mit Belegung gebührenden Zolles, auch in freiwilliger Mietung der Fuhr­leute so zu halten, gleich als anderer Herrschaften Ausländern... wogegen gleiches Falls auch unsere Zaarischen Majestät Groß-Preußischen Reiches Kaufleute mit allerhand Waren in die Stätte seiner Kurfürstlichen Durchlauchtigkeit Gebietes zu reisen sollen, befugt sein, und ebenso zu erhandeln mit allerlei Freiheit und ohne Vorverurteilung, vornehmlich aber unter aller Beschützung und Verteidigung." <30>.

Der Zoll, von dem in diesem Vertrage nicht weiter die Rede ist, betrug für alle Waren, die nach Archangelsk eingeführt wurden, 6 %. Wollte oder konnte man aber die Waren nicht in Archangelsk ver­kaufen und sandte man sie weiter ins Innere nach Moskau, so musste seit dem Erlass des Handelsstatutes vom Jahre 1667, das als der erste Zolltarif Russlands gilt, in Archangelsk 10% Durchfuhrzoll und dann in Moskau wieder ein Zoll von 6% entrichtet werden <31>.

Was die Gegenseitigkeitsklausel anbetrifft, so berichten zeitgenössische Schriftsteller, dass sie nur ein illusorisches Recht den Russen böte, denn diese seien damals zu internationalem Handel unfähig gewesen. In der Tat machten sich russische Kaufleute, welche in Stockholm erschienen, dadurch lächerlich, dass sie sich als Krämer mit ihren un­bedeutenden Waren, wie Töpfen, Nüssen u. dergleichen auf den Markt stellten <32>.

Über den Umfang der deutschen Einfuhr nach Russland in jener Zeit gibt uns Kilburger in seinem kurzen Unterricht von dem russischen Handel genaue Auskunft. Aus seiner Spezifikation der deutschen Güter, die 1671 über See nach Archangelsk gebracht wurden, greife ich heraus: <33>

-       6846 Solotnik Perlen,

-       133 Maß Perlen,

-       4419 Stück Zahlperlen,

-       185 Pfund und noch 4 Kasten mit goldenen und silbernen Spitzen,

-       3931 Pfund Gold- und Silberdraht,

-       63 Stück Saphirsteine und viel falsche Juwelen,

-       342 Stück couleurte Atlasse,

-       204 Stück Damast,

-       367 Stück Leinen,

-       81 Packen und 64 Halbgen Englisch Tuch,

-       41 Packen und 267 Hamburg Tuch,

-       28454 Rieß ordinäres Formatpapier,

-       401 Fässer und 13 Kasten Weyrauch,

-       6176 Pud und 5280 Pud Brosiliensalz,

-       265 Fässer und 3 Kasten Indigo,

-       123 Fässer Rosenroth,

-       89 Fässer mit allerhand Farben,

-       833 Dutzend kleine messingene Glocken,

-       13728 Rollen Messer und Brandsilber,

-       603 Stück Sägen,

-       10250 Stück deutsche Hüte,

-       25 Pud und 28 Pfund Quecksilber,

-       4860 Dutzend Spielkarten,

-       693000 Nähnadeln,

-       154000 Stecknadeln,

-       2477 Tonnen Heringe,

-       162 Ballen Pfeffer,

-       130 Pipen Spanischen Wein,

-       720 Oxthöfte roten Franzwein,

-       109 Oxthöfte weiß,

-       27839 Dukaten, Species,

-       50000 Reichstaler, Species,

-       16000 Rubel russisches Geld, welches aus der Ukraine durch Polen nach Danzig geht und meistenteils dort gewechselt wird.

Hierbei ist jedoch zu beachten, dass außer diesen offiziell registrierten und verzollten Waren noch große Mengen auf Schmuggelwegen Eingang fanden. Die Schiffe mieden oft den Hafen und ankerten irgendwo zwischen den Inseln in der Dünamündung, nachts kamen die Russen auf Kähnen heran und tauschten ihre Produkte gegen die ausländischen Waren. Ja, in Archangelsk selbst wurde trotz einer überaus verzweigten und teuren Zolladministration ein schwunghafter Schmuggelhandel getrieben. So groß war damals schon die Bestechlichkeit der russischen Beamten! <34>

Einen weiteren Aufschwung nahmen die deutsch-russischen Handelsbeziehungen während der Regierungszeit Peters des Großen, der Russland geographisch und kulturell dem Westen näherbrachte. Durch die Gründung Petersburgs verlegte er den Seeweg nach Russland wieder durch die Ostsee und steifte durch die Einnahme von Livland und Estland die Landverbindung mit Deutschland wieder her.

Im Frühjahr 1697 schloss der persönlich in Königsberg anwesende Zar ein Schutz- und Trutzbündnis mit dem Kurfürsten Friedrich III. Im Abschnitt 2 des Vertrages wurde erneut den russischen Kaufleuten das Recht zugestanden, in Memel, Königsberg, Berlin und anderen Städten, den deutschen Kaufleuten in Archangelsk, Pskow, Nowgorod, Smolensk, Kiew, Moskau und anderen Orten Handel zu treiben. Ferner wurde den Brandenburgern die Bewilligung erteilt, „mit Ihren Waren abzureisen nach Astrachan, Persien und Chinesischem Reiche . . . solchen sowohl dorthin als Zurückreisender den Durchzug zu vergönnen beordern, nächst Erlegung der Verordneten Zölle und gebräuchlicher Fracht und Kontribution" <35>.

Weiterhin schloss Peter der Große im Jahre 1713 durch seinen Feldherrn Menschikoff mit den Städten Hamburg, Lübeck und Danzig Verträge ab, durch die letztere wegen ihrer im Verlaufe des Nordischen Krieges gezeigten feindseligen Haltung verpflichtet wurden hohe Kontributionen zu zahlen, dafür aber alle „freyheiten, emolumenta und privilegia" erhielten, die ihnen früher zustanden oder die andere amicissimae nationes noch erhalten würden <36>.

Diese von Peter dem Großen abgeschlossenen Verträge sollten den russischen Kaufleuten nicht wie bisher nur illusorische Rechte geben. Durch eine ganze Reihe, von den merkantilistischen Anschauungen jener Tage getragenen Maßnahmen verstand es Peter, den Aktivhandel seines Landes zu heben. Er gab der Kaufmannschaft in Russland eine feste Organisation, er errichtete Konsulate und Handelsagenturen im Auslande, schuf eine ansehnliche Flotte und fertigte auf eigene Rechnung Schiffe nach überseeischen Häfen ab <37>.

Er begünstigte die russischen Kaufleute durch Ermäßigung von Zöllen, die übrigens von den Ausländern in fremder Währung gezahlt werden mussten. In seinem Zolltarife im Jahre 1724 betrugen für die Mehrzahl der ein- und ausgeführten Waren die Zölle nicht mehr als 5%, für Manufakturerzeugnisse aber 50 - 75%. Für Ausfuhrartikel, in denen Russland wenig oder gar keine Kon­kurrenten hatte, war der Zollsatz ebenfalls hoch, so z. B. für Hanf 27 ½ % des Wertes. Wie sehr es durch all diese Maßnahmen Peter dem Großen gelungen war eine im merkantilistischen Sinne günstige Handelsbilanz zu erzielen, zeigt folgende Tabelle <38>.

Im Jahre 1726 wurden aus Petersburg und Archangelsk ausgeführt:

Warenbezeichnung Anzahl
Hanf 494362 Pud
Flachs 59004  Pud
Talg 49125  Pud
Eisen 55149  Pud
Leder 172009  Pud
Leinewand 10319293 Arschin
Segeltuch 7747 Stück
zusammen für eine Summe von 2688810 Rubel



eingeführt:

Warenbezeichnung Anzahl
Getränke 141203 Rubel
Zucker 11339 Rubel
Kaffee 444 Pud
Seide 3 ½ Pud
Farbstoffe 275661 Rubel
Seidenwaren 15464 Rubel
Wollstoffe 662956 Rubel
Baumwollstoffe 21632 Rubel
Leinenstoffe 940 Rubel
zusammen für eine Summe von: 1585543 Rubel


Unter den Nachfolgern Peters nahmen die deutsch-russischen Handelsbeziehungen an Stetigkeit zu. Am 21. August 1726 wurde in Petersburg ein preußisch-russischer Bündnisvertrag abgeschlossen, in dessen 16. Abschnitte es heißt: „die Commercia zu Wasser und zu Lande zwischen beiderseits Reichen, Provinzen und Untertanen sollen ihren freien, ungehinderten Lauf und Fortgang haben und behalten, und denen Königlichen Preußischen Schiffen und Traftquanten, in denen Russischen Seehäfen, Handels -Städten und Landen, wie auch denen Russischen Schiffen und Handelsleuten, in Ihre Königliche Majestät in Preußen Seehäfen, Handelsstädten und Landen, keine schwerere imposten und opera aufgelegt, noch sie sonst in einigen Stücken härter gehalten werden, als andern daselbst kommerzzierenden, und in Ihrer Handlung am meisten favorisierten Nationen und Kommerzianten geschieht und widerführt" <39>.

Dieser Vertrag wurde auf 18 Jahre abgeschlossen und im Verlaufe des 18. Jahrhunderts immer wieder samt der Zusage der Handelsfreiheit und Meistbegünstigung verlängert. Eine kurze Unterbrechung erlitt nur der deutsch-russische Handelsverkehr durch den Siebenjährigen Krieg. Friedrich der Große erneuerte bald das preußisch-russische Bündnis auf der Grundlage des Vertrages vom Jahre 1726. Ja, als der erbitterte Seekrieg zwischen Frankreich, Spanien, Holland und den aufständischen nordamerikanischen Kolonien einerseits und England andererseits ausbrach, und der Seeverkehr der Neutralen unter den Übergriffen der Kriegführenden, namentlich Englands, sehr zu leiden hatte, stellte Friedrich der Große die preußischen Schiffe unter den Schutz der russischen Kriegsflotte.

Der am 19. Mai 1781 zwischen Friedrich dem Großen und Katharina II. abgeschlossene Vertrag der „bewaffneten Neutralität" dürfte heute ganz besonderes Interesse beanspruchen, seine wichtigsten Stellen lauten:

„Tout vaisseau peut naviguer librement de port en port et sur les cötes des nations en guerre. Les effets appartenants aux sujets des dites nations en guerre, sont libres sur les vaisseaux neutres ä Texception des marchandises de contrebande . . . L'imperatrice de toute la Russie continuera ä faire jouir le commerce et la navigation des sujets prussiens de la protection de ses flottes ..." Im ersten Separatartikel wird weiterhin bestimmt: „de soutenir que la mer Baltique est une mer fermee incontestablement teile pour la Situation locale, oü toutes les nations doivent et peuvent naviguer en paix et jouir de tous les avantages d'un calme parfait, et deprendre pour cet effet des mesures capables de garantir cette mer et ces cötes de toutes hostilites, pirateries et violences" <40>.

Auf der Grundlage dieser auch weiterhin <1792 und 1800) erneuerten Allianz» und Neutralitätsverträge nahm der deutsch» russische Handelsverkehr im Verlaufe des 18. Jahrhunderts wieder größere Dimensionen an. Bereits im Jahre 1741 hatte der deutsche Seehandel den holländischen erreicht und wurde nur noch von dem englischen übertroffen. In diesem Jahre betrug der Wert der deutschen Einfuhr (Preußens und der Seestädte) nach Petersburg Rubel 307709, der der Ausfuhr Rubel 272934 <41>.

Mit der Verbesserung der Landstraßen und Erbauung von Kanälen, die in Russland unter Peter dem Großen, in Preußen unter dem Großen Kurfürsten und Friedrich II. besonders tatkräftig unternommen wurde, entwickelte sich auch der deutsch-russische Landhandel immer mehr. Im Jahre 1796 bis 1797 wurde auf dem Landwege für Rubel 646567 deutscher Waren nach Russland und für Rubel 776064 russischer Waren nach Deutschland eingeführt <42>.

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Während im Verlaufe des 17. und 18. Jahrhunderts ökonomische und fiskalische Interessen sowohl Russlands als auch Preußens und der anderen deutschen Staaten zu einer immer größeren Entwicklung des deutsch-russischen Handelsverkehrs führten, wurden um die stürmische neunzehnte Jahrhundertwende politische und kriegerische Momente für die Handelspolitik maßgebend und verhinderten während der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts eine weitere Ausgestaltung des internationalen Handels. So ließ der Zar Paul I. am 26. März 1799 alle in den russischen Häfen befindlichen Hamburger Schiffe beschlagnahmen, da er seit einiger Zeit eine „Geneigtheit der Hamburgischen Behörden zu anarchistischen Regeln und eine Anhänglichkeit an die Regierung der französischen Usurpatoren" zu bemerken glaubte <43).

Gegen Ende des Jahres 1800 verbot er die Einfuhr von Seiden-, Baumwoll-, Leinen- und Hanfstoffen, von Glas und gläsernen Gegenständen, Porzellan und Steingut <44>, eine Maßnahme, die die preußische Tuchindustrie besonders schwer traf, da deren Absatzgebiet sich über ganz Russland bis nach China und Indien hin erstreckte. So betrug die russische Durchfuhr ausländischen Tuches nach China bis 1800 jährlich 60000 Stück. Im Jahre 1808 nur noch 8000 Stück. Als im Jahre 1801 Russland sich mit Frankreich verbündete, und sich auch der von Napoleon verfügten Kontinentalsperre anschloss, verbot Paul I. die Ausfuhr russischer Waren nicht nur nach England, sondern auch nach Deutschland, um selbst den indirekten Verkehr mit England zu unterbinden.

Der Nachfolger Pauls, Alexander I. war zwar in der Ideenwelt Adam Smiths ausgewachsen und versuchte auch gleich nach seinem Regierungsantritte frei händlerischen Theorien Geltung zu verschaffen. Doch seine anfänglichen Bestrebungen hatten keinen dauernden Bestand. Die Ziffern des russischen Außenhandels zeigen das ganz deutlich. Im letzten Regierungsjahre Pauls I. betrug der Wert der Ausfuhr Russlands 61086000 Rubel, der der Einfuhr 46359 000 Rubel, in den ersten Regierungsjahren Alexanders 1801 bis 1805 war der jährliche Durchschnitt der Ausfuhr 75108000 Rubel, der Einfuhr 52765000 Rubel, doch schon in den nächsten Jahren 1806 bis 1808 sank der Jahresdurchschnitt der Ausfuhr auf 43169000 Rubel, der der Einfuhr auf 32819000 Rubel. Suchen wir den Gegensatz zwischen den Anschauungen des Zaren Alexander und der während seiner Regierungszeit befolgten Handelspolitik, die eine Fortsetzung und Verstärkung eines starren Prohibitivsystems bedeutete, zu erklären, so ergibt sich folgendes:

Die häufigen Kriege und unausgesetzten kriegerischen Vorbereitungen, in die Russland seit der Jahrhundertwende verwickelt war, verursachten ungeheure Ausgaben, die mit den gewöhnlichen Staatseinnahmen nicht zu decken waren. Da griff man zu einem gefährlichen Hilfsmittel, zur Ausgabe von Assignaten, die in immer größeren Mengen in Umlauf gesetzt wurden. Die Folge war, dass der Kurs des Papiergeldes dauernd sank. Noch im Jahre 1784 war der Papierrubel 99 Silber-Kopeken wert,

Im Jahre 1800 nur noch 64 Silber-Kopeken,

Im Jahre 1808 nur noch 50 Silber-Kopeken,

Im Jahre 1809 nur noch 43 Silber-Kopeken,

Im Jahre 1810 nur noch 35 Silber-Kopeken und

Im Jahre 1811 nur noch 23 ½ Silber-Kopeken. <45>

Die russische Regierung ergriff nun unter Alexander I. energische Maßnahmen, um dieser katastrophalen Entwicklung Herr zu werden und arbeitete im Jahre 1809 einen Aktionsplan aus, der unter den gegenwärtigen Verhältnissen besonders erwähnenswert ist. Er bestand im Großen und Ganzen darin, dass die Regierung die Kreditbillette als Staatsschuld anerkennen und ihre weitere Ausgabe unbedingt vermeiden sollte, neue Steuern einführen, eine weitere Erhöhung der Ausgaben verhindern und das Budget in Ordnung bringen sollte, die Zahl der im Umlauf befindlichen Assignaten vermittelst allmählicher Löschung einschränken sollte.

Aber ein derartiger Plan würde nach Meinung seines geistigen Urhebers, Speransky, nur dann zum vollen Erfolge führen, wenn gleichzeitig ein Zolltarif zur Anwendung gelangte, der eine möglichst große Einschränkung der Einfuhr ausländischer Waren und eine möglichste Erleichterung der Ausfuhr inländischer Produkte bewirken würde <46>.

Auf diesen Grundlagen wurde das „Statut über den Handel für das Jahr 1811" ausgearbeitet. Gemäß diesem Statut konnten fast alle wichtigen Rohstoffe zollfrei ausgeführt werden, nur von Flachs, Hanf und noch einigen Artikeln, in denen Russland keine Konkurrenten auf dem europäischen Markte hatte, wurde ein mäßiger Zollsatz erhoben. Zur Einfuhr dagegen waren nur zugelassen einige Hand-Werkzeuge mit mäßigem und Kolonialwaren mit hohem Zollsatz. Für alle übrigen Gegenstände war die Einfuhr überhaupt verboten. Längs der ganzen 150 deutsche Meilen langen Grenze von Memel bis zur Donau wurde die Einfuhr auf drei Punkte beschränkt, die Zollämter Polangen bei Memel, Radziwilow bei Brody und Dybosary am Dnjestr <47>.

Die russische Regierung war sich wohl bewusst, welch große Beschränkungen das Statut sowohl für den Handel als auch für die Verbraucher verursachen würde und sah es nur als äußerste zeitweilige Maßnahme an. Aber sowie der damalige Finanzminister Graf Gurjew, der sich bald überzeugt hatte, welch großen Schaden eine dauernde Handelssperre für die russische Volkswirtschaft verursachte <48>, sich anschickte, einige Breschen in dieses starre Verbotssystem zu schlagen, erfolgten laute Proteste aus industriellen Kreisen, die solche Maßnahmen als schädlich und unpatriotisch bezeichneten. Unter dem Einflüsse dieser Proteste ließ der Zar die Reformen des Finanzministers unausgeführt, und so wurde das Statut, das zunächst nur für das Jahr 1811 berechnet war, immer wieder bis zum Jahre 1815 verlängert.

Gründe der hohen Politik waren es wieder, die in diesem Jahre den Zaren Alexander veranlassten, das Handelsstatut aufzugeben. Nachdem durch die endgültige Besiegung Napoleons, die seit dem Beginne des 19. Jahrhunderts unaufhörlich tobenden Kriege zu einem Abschluss gelangt waren, setzte als natürliche Reaktion eine Epoche freundschaftlicher Kongresse ein, auf denen die Ideen der Völkerverbrüderung, der allgemeinen Abrüstung und des ewigen Friedens üppige Blüten trieben. Natürlich war die Wiederherstellung freundschaftlicher Handelsbeziehungen zwischen den europäischen Völkern ein wesentlicher Programmpunkt auf diesen Kongressen, und so willigte Zar Alexander, der persönlich, wie schon erwähnt, freihändlerischen Ansichten huldigte, auf dem Wiener Kongress ein, die wirtschaftliche Isolierung Russlands aufzugeben und an einer öko­nomischen Annäherung der europäischen Staaten mitzuwirken. Der im Jahre 1816 erschienene neue russische Zolltarif stellt einen vorsichtigen Übergang dar, die Mehrzahl der Industrieerzeugnisse blieb immer noch von der Einfuhr ausgeschlossen, erlaubt waren: Schreibmaterialien, billige Tucharten, fertige Kleider, Pelze, Waffen, Messerwaren, Gegenstände aus Gips, Alabaster usw. Der Zoll betrug 25% des Wertes, für Tuche 35%. Um eine zu niedrige Zolldeklarierung zu verhindern, erhielten die Zollbeamten das Recht, jede eingeführte Ware gegen Zahlung des angegebenen Wertes zu­züglich 10% Verdienst für sich zu behalten <49>.

Bisher haben wir in diesem Abschnitt immer nur von der russischen Handelspolitik und ihrem Einfluss auf den deutsch-russischen Handels­verkehr gesprochen. Von einer deutschen Handelspolitik konnte des­halb nicht die Rede sein, weil im Anfänge des 19. Jahrhunderts in Deutschland noch ein zollpolitisches Chaos herrschte. Provinz und Provinz, Stadt und Stadt, Stadt und Land standen einander gegen­über mit besonderen Steuergesetzen und besonderen Zolleinrichtungen. In den Tarifen herrschte eine grenzenlose Verwirrung, sie wurden durch Deklarationen ergänzt und einzelne Bestimmungen durch be­sondere Verfügungen ersetzt, dabei wurden noch die alten Tarife subsidiär benutzt. Kein Mensch kannte sich schließlich aus, und jeder Kaufmann, der einen etwas beträchtlichen Handel mit fremden Waren hatte, musste nach Bequelins Worten bloß für sein Geschäft mit der Akzise einen eigenen Angestellten halten <50>.

Derartige Verhältnisse erschwerten natürlich jede kaufmännische Tätigkeit ungemein und machten irgendeine Einflussnahme auf den auswärtigen Handel unmöglich.

Es bedurfte erst der eisernen Rücksichtslosigkeit Napoleons, um auch hier gründlichen Wandel zu schaffen. Nachdem er 1806 fast ganz Preußen erobert hatte, führte sein Finanzadministrator in Berlin, Esteve, bereits im März 1807 einen einheitlichen Grenzzolltarif für sämtliche preußischen Provinzen ein, dessen Sätze sich zwischen 8 und 25% des Wertes bewegten. Dieser Tarif blieb auch, in Geltung, nachdem das Land von den Franzosen geräumt worden war. Aber nach der Besiegung Napoleons war Preußens Zollwesen durch die Wiedererwerbung abgetretener Provinzen und durch die Neuerwerbungen wieder in große Verwirrung geraten. In einem Berichte des Finanzministers Bülow heißt es darüber: „Es bestehen noch innere Grenzen mitten im Staate in Ansehung der Besteuerung, welche sich jetzt, da die Departements- und Kreiseinrichtungen sich nicht nach den ehemaligen Grenzen richten können, oft in demselben Departement und Kreis befinden, so dass die Untertanen im Lande selbst, wenn sie von einem Orte zum anderen gehen, ohne von diesen Grenzen unterrichtet zu sein, vor der Konfiskation ihrer Waren und der Bestrafung als Defraudanten bei dem redlichsten Willen nicht sicher sind …" <51>.

Diese Zustände im Inneren und ihre Rückwirkungen auf die Handelspolitik den auswärtigen Staaten gegenüber, die sich sämtlich durch radikale Schutzzollsysteme ab­sperrten und denen gegenüber es Preußen-Deutschland an jeder Handhabe fehlte, führten endlich nach vielen fruchtlosen Reform­versuchen zum „Gesetz über den Zoll und die Verbrauchssteuer von ausländischen Waren und über den Verkehr mit den Provinzen des Staats, vom 26. Mai 1818". Durch dieses Gesetz wurden sämtliche Zollschranken im Inneren des Landes aufgehoben und eine Zolllinie um ganz Preußen gelegt, Preußen war endlich zu einer wirtschaftlichen Einheit geworden! Die wichtigsten der 29 Para­graphen dieses Gesetzes sind folgende:

§1 Alle fremden Erzeugnisse der Natur und Kunst können im ganzen Umfange des Staates eingebracht, verbraucht und durch­geführt werden.

§2 Allen inländischen Erzeugnissen der Natur und Kunst wird die Ausfuhr verstattet.

§3 Die vorstehend ausgesprochene Handelsfreiheit soll der Verhandlung mit anderen Staaten in der Regel zur Grundlage dienen.

Erleichterungen, welche die Untertanen des Staates in anderen Ländern bei ihrem Verkehr genießen, sollen, soweit es die Verschiedenheit der Verhältnisse gestattet, erwidert, und zur Beförderung des wechselseitigen Verkehrs sollen, wo es erforderlich und zulässig ist, besondere Handelsverträge geschlossen werden. Dagegen bleibt es aber auch vorbehalten, Beschränkungen, wodurch der Verkehr der Untertanen des Staates in fremden Ländern wesent­lich leidet, durch angemessene Maßregeln zu vergelten.

§6 Bei der Einfuhr wird von fremden Waren ein Zoll er­hoben, der in der Regel ½ Taler für den preußischen Zentner beträgt.

§ 7 Bei der Ausfuhr gilt die Zollfreiheit als Regel. Die Ausnahmen ergibt der Tarif.

§16 Der Verkehr im Innern soll frei sein und keine Be­schränkungen desselben zwischen den verschiedenen Provinzen oder Landesteilen des Staates künftig stattfinden.

§ 23 Es ist nur einmal Ein- und Ausfuhrzoll zu erlegen.

Die günstige Wirkung dieses Gesetzes auf das handelspolitische Verhältnis in Russland machte sich bald geltend. Noch im selben Jahre gelang es, die sich jahrelang hinziehenden Verhandlungen zum Abschluss zu bringen. Den Ausgangspunkt derselben bildete der Artikel 18 des 1815 vereinbarten Wiener Traktates, durch den sich Preußen, Österreich und Russland verpflichtet hatten, auf dem Ge­biete, das im Jahre 1872 zu Polen gehört hatte und nunmehr unter die drei Mächte verteilt worden war, einen freien und unbegrenzten Warenverkehr zu gestatten <53>.

Preußen war an der Ausführung dieser Bestimmung sehr interessiert, weil es dadurch die Ausfuhr­möglichkeit nach Russland, die, wie wir sahen, durch den russischen Zolltarif von 1816 nur im beschränkten Maße gewährleistet war, zu erweitern hoffte. Russland hingegen vertrat die Interessen der Polen, die schon aus Nationalgefühl eine wirtschaftliche Einheit ihres zer­stückelten Landes anstrebten. Nach endlosen Verhandlungen, die zuerst in Warschau und dann in Petersburg stattfanden, <54>, unter­schrieben schließlich am 19. Dezember 1818 der deutsche Bevoll­mächtigte Karl Semler und der russische Unterhändler Peter von Oubril ein Übereinkommen, das als der erste moderne Handelsvertrag zwischen Preußen und Russland angesehen werden darf.

In dem­selben wurde zunächst bestimmt, dass preußische und russische Unter­tanen auf dem Gebiete des ehemaligen Königreiches Polen gleich­berechtigt waren und ungehindert Handel und Schifffahrt betreiben könnten. Es folgen genaue Bestimmungen über Art des Handels, Zahlungsbedingungen, Gewichte, Maße usw. <55>.

Die im Artikel 6 Absatz a getroffene Bestimmung, dass die festgelegten Zollsätze nicht ohne beiderseitige Zustimmung erhöht werden könnten, wurde illu­sorisch gemacht durch den Absatz d desselben Artikels, in dem beiden Mächten das Recht zugestanden wird, von eingeführten Waren eine beliebige Verbrauchssteuer zu erheben, ein Recht, von dem Russland dann ausgiebigen Gebrauch machen sollte! Nur für preußische Fabrikate aus Leder, Leinwand und Wolle war ein Maximum an Grenzzoll und Verbrauchssteuer vorgesehen, das ohne Einwilligung Preußens nicht überschritten werden durfte.

Im Vergleich zum Tarif im Jahre 1816 war der Zollsatz für diese drei Warengattungen ein sehr gemäßigter. Einen weiteren erheblichen Vorteil für Preußen gewährte der erste Separatartikel, in dem Russland den Transit preußischen Tuches nach Asien zum Zoll von 12 Kopeken für den Arschin gewährte.

Durch diese preußisch-russische Konvention wurde der russische Zolltarif vom Jahre 1816 an vielen Stellen durchbrochen. Russland sah sich deshalb, um nicht Preußen allein die beträchtlichen Handelserleichterungen zu gewähren, gezwungen, einen neuen allgemeinen Zolltarif einzuführen, der auch bereits am 20. November 1819 veröffentlicht wurde und als einer der gemäßigten gilt, den Russland je besessen hat. In Wirklichkeit ist er gar nicht so niedrig, denn außer dem Grenzzoll, den der Importeur bezahlte, unterlagen die ausländischen Waren noch einer Verbrauchssteuer, die der Konsument bezahlte und die ein Vielfaches des Grenzzolles ausmachte <56>.

Im Übrigen betrafen die niedrigen Zollsätze von 2%, 3, 5, 6 und 150/0 entweder Rohprodukte, die Russland damals nicht hervorbrachte, oder kleine wertvolle Gegenstände, die leicht auf Schmuggelwegen eingeführt werden konnten. Alle anderen Waren wurden mit 30 oder 60% ihres Wertes verzollt, je nachdem es sich um Luxus- oder Gebrauchsgegenstände handelte <57).

Mit dem Tarife von 1816 verglichen bedeuteten diese Zölle dennoch eine wesentliche Ermäßigung, die Zahl der verbotenen Artikel war bei der Einfuhr von 188 auf 5, bei der Ausfuhr von 6 auf 3 herabgegangen, die Zahl der zollfreien Artikel bei der Einfuhr von 32 auf 61, bei der Ausfuhr von 41 auf 66 angewachsen <58>.

Wegen dieser seiner liberalen Tendenz war der Tarif auch von Anfang an großen Anfeindungen seitens der russischen Industriellen ausgesetzt. Es lässt sich auch nicht leugnen, dass er der russischen Industrie und insbesondere der Manufaktur einen starken Stoß versetzte, aber diese Erschütterung rührte nicht so sehr von den niedrigen Zollsätzen her, wie vielmehr von der Plötzlichkeit, mit der derselbe eingeführt worden war.

Selbstverständlich war der bis dahin ängstlich umhüteten Treibhauspflanze, wie sie die russische Industrie darstellte, der plötzlich scharf einsetzende Zug der freien Konkurrenz nicht gerade zuträglich. Dazu aber trat noch, dass der Zolltarif des Jahres 1819 auch technisch grobe Fehler aufwies. So wurden, um eine möglichste Einfachheit und Kürze zu erzielen, Gegenstände verschiedensten Gehaltes und Wertes in allgemeine Gruppen zusammengezogen, für die, da der Zoll ja dem Werte nach bemessen wurde, unmöglich ein auch nur annähernd richtiger Durchschnittspreis festgestellt werden konnte.

Überhaupt wurde die Bewertung der Waren sehr unvorsichtig und ohne jede Sachkenntnis vorgenommen. Die Folge einer derartigen Tarifierung war natürlich, dass der Zollsatz für alle billigeren Sorten irgendeiner Ware ein unerträglich hoher, für die teuren dagegen ein kaum in Betracht zu ziehender war. Er bedeutete eine Vergünstigung der Luxus- und eine Benachteiligung der Gebrauchsgegenstände, was natürlich den Intentionen des Gesetzgebers geradezu widersprach. Unter diesen Umständen fiel es den Schutzzöllen! nicht allzu schwer, wieder Oberhand am Zarenhofe zu gewinnen.

Der russische Finanzminister Gurjew, dessen Verwandte an russischen Tuchfabriken stark interessiert waren, hatte auch bald ein Mittel gefunden, um einen wesentlichen Punkt des mit Preußen abgeschlossenen Vertrages wenigstens teilweise zu umgehen. Er interpretierte denselben, als in der Folge eine sehr lebhafte Tucheinfuhr begann, plötzlich dahin, dass nur russischen Kaufleuten das Recht zustehe, mit schlesischen Tüchern Handel nach Asien zu treiben, und dass rheinische Tücher auf Zulassung zum Transit überhaupt keinen Anspruch hätten <59>.

Im Juli 1821 hob die russische Regierung „aus Sparsamkeitsrücksichten" 15 Grenzzollämter, darunter die wichtigen Stellen Zielun und Herby auf, und kurz darauf verbot sie die Einfuhr von Kolonialwaren und Spirituosen auf der Landgrenze. Alle Vorstellungen Preußens blieben erfolglos. Der Finanzminister Gurjew war fest entschlossen, das Prohibitivsystem lückenlos wieder herzustellen.

Im Dezember 1821 erhielt der russische Gesandte in Berlin, Graf Alopeus, die Weisung, eine formelle Änderung oder selbst Annullierung des Vertrages vom Jahre 1819 zu erlangen, was ja nach den Bestimmungen desselben nur unter beiderseitiger Zustimmung geschehen konnte. AIs die preußische Regierung die nach so vieler Mühe erlangten Zugeständnisse nicht ohne weiteres preisgeben wollte, schrieb Zar Alexander eigenhändig am 15. Februar 1822 einen Brief an König Friedrich Wilhelm, in dem er die verhängnisvolle Wirkung des Vertrages vom 19. Dezember 1818 für den Handel und die Industrie Russlands und Polens schilderte <60>: „Plus l'Acte du 7. <19.> decembre continue ä s'executer, plus les principes qu'il a etablis, acquierent de deveioppement et plus en Russie comme en Pologne, Industrie agricole et manufacturiere, non seulement s'arrete dans ses progres, mais s'approche meme d'une inevitable ruine."

Der Dezember-Vertrag sollte die auf dem Wiener Kongresse anerkannten Prinzipien zur Anwendung bringen, die gewiss verständig und nützlich sein würden, wenn alle Staaten sie befolgten. Aber nicht nur in England und Österreich und Frankreich, sondern in Preußen selbst herrsche das Prohibitivsystem, Russland und Polen seien mit fremden Waren überschwemmt, während die auswärtigen Häfen für den Import russischer Produkte geschlossen seien. Die Landwirtschaft ohne Absatz, die Industrie ohne Schutz seien im Verfall und die solidesten Handelshäuser ins Wanken geraten. Diese Lage sei unerträglich geworden, und die russische Regierung sehe sich deshalb genötigt, einen neuen Prohibitivtarif aufzustellen.

Friedrich Wilhelm antwortete am 22. März 1822 <61>. Er gab zunächst seiner Überzeugung Ausdruck, dass der Zar mit unbedingter Treue die einmal übernommenen Verträge halten würde. Der die Handelsbeziehungen zwischen Preußen einerseits und Russland und Polen andererseits regelnde Vertrag sei die Frucht langer Verhandlungen, und die einzelnen Bestimmungen seien so eng verbunden, dass keine einzige beseitigt werden könne, ohne dadurch die Basis des Vertrages anzugreifen. Preußens Vorteile seien durch Gegenkonzessionen erkauft, und ohne Entgelt könne der König im Interesse seiner Untertanen nichts nachgeben. Doch der Vertrag habe ja gemeinsame Verhandlungen über neu auftauchende Fragen vorgesehen und deshalb seien seine Minister zu Verhandlungen mit dem russischen Gesandten Grafen Alopeus angewiesen.

Dieser ließ sich aber auf Verhandlungen gar nicht ein, sondern teilte am 13. April einfach mit, dass Russland genötigt gewesen sei, durch Ukas vom 12. März 1822 einen neuen Zolltarif einzuführen. Dieser bestimmte <62>:

dass ausländische Rohstoffe und Nahrungsmittel, die einfach unentbehrlich wären, zollfrei bleiben müssten,

dass notwendige oder nutzbringende Materialien, deren Hervorbringung im Inlande mit der Zeit erreichbar scheine, niedrig zu verzollen wären,

dass hingegen Luxusartikel, entbehrliche Manufakturwaren, sowie solche Erzeugnisse, die bei einer intensiven Gewehrbeförderung auch im Inlande beschafft werden könnten, mit hohen Zöllen zu belegen wären,

dass endlich die Einfuhr von Artikeln, die dem Aufblühen der eigenen Industrie hinderlich sein könnten, zu verbieten wäre.

Dieser Tarif bedeutete eine strikte Umkehr zum Prohibitiv-System, bei der Einfuhr enthielt er 301, bei der Ausfuhr 22 verbotene Artikel. Mit der Einführung desselben wurde die Zollgrenze zwischen Russland und Polen erneuert, wo der Tarif vom Jahre 1819 noch in Geltung blieb.

Im Folgenden geben wir eine Zusammenstellung der wichtigsten, gemäß dem Tarife vom 12. März 1822 geltenden russischen Zollsätze und fügen zum Vergleiche die entsprechenden preußischen hinzu <63>.

Einfuhrgegenstände Einheit In Russland In Preußen
Rohrzucker Zoll-Ztr. 8 Reichstaler 2 Silbergroschen 6 Pfennig 4 Reichstaler
Kaffee -„- 16 Reichstaler 5 Silbergroschen 6 Reichstaler
Baumwolle, rohe -„- Frei, doch 80 Kop. Quar.-Abg. 5 Silbergroschen
Twist, weiß -„- 16 Reichstaler 5 Silbergroschen 2 – 6 Reichstaler
Baumwollware -„- Verboten 50 Reichstaler
Baumwollware, gewöhnliche -„- 483 Reichstaler 10 Silbergroschen 50 Reichstaler
Indigo -„- 8 Reichstaler 2 Silbergroschen 6 Pfennig 15 Silbergroschen
Seide, rohe -„- Frei, doch Quar.-Abg. 8 Rub. Pud 15 Silbergroschen
Seidenware -„- 306 Reichstaler 20 Silbergroschen 100 Reichstaler
Wolle, roh -„- 1 Reichstaler 18 Silbergroschen 6 Pfennig frei
Wollgarn -„- 23 Reichstaler 6 Reichstaler
Wollgewebe -„- Grün, weiß, schwarz verboten, andere 133 Reichstaler 10 Silbergroschen 30 Reichstaler
Ausfuhrgegenstände Einheit In Russland In Preußen
Flachs, roh Zoll-Ztr. 14 Silbergroschen 6 Pfennig 10 Silbergroschen
Hanf, roh -„- 10 Silbergroschen 10 Silbergroschen
Hanfsaat Scheffel 1 Silbergroschen 3 Pfennig 1 ½  Silbergroschen
Hanföl Zoll-Ztr. 2 – 6 Silbergroschen frei
Tauwerk -„- 6 Pfennig frei
Segeltuch -„- frei frei
Leinen -„- frei frei
Talg -„- 20 Silbergroschen frei
Getreide Scheffel 3 – 6 Pfennig frei
Mehl Zoll-Ztr. 1 ½ 3 Pfennig frei
Pelzwerk -„- 10 – 20 Silbergroschen frei
Wachs -„- 1 Reichstaler 18 Silbergroschen 6 Pfennig frei
Pottasche -„- 4 Silbergroschen 9 Pfennig frei
Schweineborsten -„- 13 Silbergroschen frei
Häute -„- 2 Reichstaler 18 Silbergroschen frei


Um den Vertragsbruch, den Russland mit der Einführung dieses Tarifes beging, wenigstens äußerlich zu maskieren, wurde bestimmt, dass preußische, mit Ursprungszeugnissen versehene Fabrikate aus Leder, Leinwand und Wolle auch weiterhin zu den in der Kon­vention des Jahres 1819 bestimmten Zollsätzen eingeführt werden dürften, aber nur in bestimmten Mengen. Diese waren für Lederwaren auf 1 Million Rubel Fakturenwert, für Wollwaren auf 7000 Pud und für Leinen auf 500 Pud reinen Gewichts begrenzt, der Tuchtransit nach China wurde auf 600 000 Arschin beschränkt, außerdem wurde die Einfuhr an bestimmte Einlasspunkte gebunden.

Ehe Preußen sich zu Gegenmaßnahmen entschloss, versuchte König Friedrich Wilhelm nochmals persönlich auf den Zaren einzuwirken und schrieb ihm am 13. Juli 1822 <64>:


„Ma consiance dans l'amitie de votre Majeste et surtout dans sa Justice, est trop bien fondee, pour que je ne soye pas intim^ment convaincu, qu'elle ne souffrira pas que mes sujets soient sacrifies ä des mesures, qu'ils n'avaient pu prevoir, et contre lesquelles ils avoient cru avoir une garantie süffisante dans les traites subsistante. Je me reprocherais d'autant plus le moindre doute ä cet egard, que je m'adresse ä un souverain qui a cherche et trouve son premier titre de gloire dans les soins qu'il a constamment mis ä resseoir la politique de l'Europe sur sa seule veritable base, celle de la morale publique et dc la saintete des traites.”


Der Zar antwortete:


“Jamais, Sire, il n'est entre dans mes vues de priver toutä-coup sans motif et sans avertissement prealable, les sujets et V. M. des aventages, que leur assurait la fois des traites. Un malentendu que je deplore, pouvait seul donner une teile apparence aux mesures que j'ai ete force de prendre, et je ne puis exprimer ä V. M. combien je suis affecte de voir, que les declarations de mon Envoye n'aient point ete comprises d^s I'origine, dans leur vrai sens et dans tout leur etendue . . . J'ai fait tracer sous mes yeux pour le comte d'Alepeus de nouveaux Orders, qu'il s'empressera de communiquer au Ministre de V. M.  “

Und wirklich leitete der russische Gesandte im September 1822 neue Verhandlungen ein, die jedoch auf Betreiben des russischen Finanzministers Gurjew und der Polen, die jede Gelegenheit wahrnahmen, um das Einvernehmen zwischen Berlin und Petersburg zu stören, ohne jeden Erfolg blieben.

So musste sich die preußische Regierung nach langem Zögern dennoch entschließen, auch ihrerseits den Zolltarif Russland gegenüber zu ändern. Durch Kabinettsorder vom 10. April 1823 würde der Zoll für Weizen und Hülsenfrüchte auf 7 ½ Silbergroschen, für anderes Getreide auf 5 Silbergroschen, für Rindvieh auf 10 Tlr., Kleinvieh auf 3 und 2 Tlr., Glas auf 3—6 Tlr. bemessen, gleichzeitig ein Ausfuhrzoll auf Rohbaumwolle, Häute, Farbhölzer, Karten, Leinwandlumpen und Wolle gelegt und die Transitgebühr für die meisten Waren auf 3 Tlr. erhöht.

Diese Gegenmaßnahmen übten denn auch bald ihre Wirkung aus. Russland lenkte ein und sandte einen außerordentlichen Bevollmächtigten, den Baron von Mohrenheim, nach Berlin mit dem Auftrage, neue Verhandlungen zu beginnen. Nach schier endlosen diplomatischen Gefechten hob die preußische Regierung am 19. November 1824 die Zollerhöhungen wieder auf und erließ gleichzeitig einen neuen Tarif, dessen Sätze aber im Vergleich zu den vor 1823 geltenden Eingangszöllen noch einige Erhöhungen aufwiesen. Diese waren für Getreide, Steinkohlen und Vieh in den östlichen Provinzen größer als in den westlichen. So betrugen z.B. die Eingangszölle für <66>:

Produkt 1822 1825

In Preußen

Westlich Östlich
% % %
Weizen pro Scheffel 0.1875 0,20 0,10
Gerste pro Scheffel 0,0625 0,10 0,50
Hafer pro Scheffel 0,0375 0,10 0,50
Roggen pro Scheffel 0,075 0,10 0,50
Hülsenfrüchte pro Scheffel 0,15 0,10 0,50
Steinkohle pro Zentner 0,10 0,10 0.30
Ochsen pro Stück 4,- 3,- 15,-
Kühe pro Stück 1,50 6,- 9,-
Rinder pro Stück 1,50 4,- 6,-
Schweine pro Stück 0,50 2,- 3,-
Hammel pro Stück 0,30 0,50 1,-
Anderes Schafvieh pro Stück 0,30 0,50 0,50
Leinenwaren pro Zentner 30,- 60,- 60,-
Gefärbte Seide pro Zentner 1,50 18,- 18,-
Reis pro Zentner 6,- 9,- 9,-
Tabaksfabrikat pro Zentner 30,- 36,- 36,-
Öl in Fässern pro Zentner 2,- 3,- 3,-
Weiße Seife pro Zentner 6,- 9.- 9.-
Grüne Seife pro Zentner 2,- 3,- 3,-
Talg pro Zentner 6,- 9,- 9,-


Immerhin bedeutete dieser Tarif mit den Retorsionsbestimmungen vom 10. April 1823 verglichen ein Zugeständnis der preußischen Regierung, dass die weiteren Verhandlungen wesentlich erleichterten. Diese führten am 11. März 1824 zum Abschluss eines auf neun Jahre berechneten Handels- und Schifffahrtsvertrages, dessen wichtigste Bestimmungen lauteten <66>:

§  Artikel 1. Die Untertanen der beiderseitigen Regierungen werden in Beziehung auf Verkehrsverhältnisse in dem anderen Staate den Angehörigen desselben gleich geachtet und behandelt.

§  Artikel 2. Wollen sie in den Städten ihre Waren an einen Nichtbürger verkaufen, so müssen sie sich dabei der Vermittlung eines Bürgers der betreffenden Stadt bedienen.

§  Artikel 3. Entrepot-, Stapelrecht- und andere ähnliche Ab­gaben, die nicht mehr bestehen, dürfen nicht wieder hergestellt werden.

§  Artikel 4. Hinsichtlich alles dessen, was die Fluss- und Kanal­schifffahrt anbetrifft, findet unbedingte gegenseitige Gleichstellung der beiderseitigen Untertanen statt.

§  Artikel 5. Die Benutzung der Weichsel, des Njemen und ihrer Zuflüsse ist frei von Abgaben.

§  Artikel 7. Beide Regierungen erkennen im vollen Umfange die Vorteile, welche die Annahme des Grundsatzes vollständiger Handelsfreiheit und eines von übermäßigen Abgaben befreiten Ver­kehrs gewähren würde. Allein Verhältnisse, deren Beseitigung un­tunlich ist, verhindern die sofortige und vollständige Anwendung dieses heilbringenden Systems, weshalb die beiden Regierungen, um ihre wohlwollenden Absichten nicht im Zweifel zu lassen, über die Annahme der nachfolgenden Bestimmungen sich vereinbart haben.

§  Artikel 8. Jede der beiden Mächte behält sich das Recht vor, hinsichtlich der Ausfuhr nach dem von ihr angenommenen Handels­system Bestimmungen zu treffen.

§  Artikel 9, Der Einfuhrhandel aber wird nach den allgemeinen Bestimmungen der bestehenden Tarife behandelt, ohne dass die mit anderen Staaten bereits getroffenen oder noch zu machenden Stipulationen in Anspruch genommen werden können.

§  Artikel 10. Russisches und polnisches Getreide, mittels der Weichsel und des Njemen nach Preußen geführt, darf nur (den näherbezeichneten) geringen Abgaben unterworfen werden.

§  Artikel 11. Wird auf anderem Wege Getreide nach Preußen geführt, so unterliegt solches den dort bestehenden Tarifsätzen. Für das nach Russland und Polen gebrachte preußische Getreide werden die Sätze der dortigen Tarife erhoben, jedoch dürfen die polnischen Tarifsätze auf eingeführtes preußisches Getreide die Abgaben, welche polnisches beim Eingänge in Preußen erlegen muss, nicht übersteigen.

§  Artikel 12. Die russischen Zollstellen zu Yourburg und Polangen werden zu Zollämtern erster Klasse erhoben und dürfen alle nichtverbotenen Artikel einführen lassen, mit Ausnahme jedoch des Rums, Arraks, Branntweins, der Tuche, Halstuche und des Kasimirs.

§  Artikel 13. Auf der Grenze zwischen Preußen und dem Königreiche Polen sollen 12 polnische und 10 preußische Hauptzollämter bestehen.

§  Artikel 14. Diese polnischen Hauptzollämter können alle nicht verbotenen Gegenstände einführen lassen.

§  Artikel 15. Eine genügende Zahl von Zollämtern zweiter Klasse soll außerdem errichtet werden, um den kleinen Grenzund nachbarlichen Verkehr zu erleichtern, weshalb auch einzelne Gegenstände, wie Kräuter, Heu, Stroh, grünes Gemüse, frische Fische, Eier, Milch, frische Früchte, Torf, Brennholz usw. frei von allen Eingangsoder Verbrauchsabgaben sein sollen.


§  Artikel 16. Der gegenseitige persönlidie Geschäftsverkehr und Marktbesuch soll möglichst erleichtert werden und das Nähere nach gemeinsamer Verabredung durch ein besonderes Reglement bestimmt werden.

§  Artikel 17. Der Durchgangshandel, einerseits über die preußische Grenze vom Baltischen Meere bis zur Weichsel einschließlich, andererseits die Häfen Danzig, Elbing, Königsberg und Memel berührend, soll nur den (in einem besonderen Anhänge) bestimmten preußischen Abgaben unterworfen sein.

§  Artikel 19. Der Transit durch das Königreich Polen in allen Richtungen bleibt durchaus frei.

§  Artikel 21. Hinsichtlich des Transits auf der Straße von Brody nach Odessa bleiben die Bestimmungen des Ukas vom 14. August 1818 in Kraft.

§  Artikel 23. Sollte nach Ablauf der neunjährigen Dauer dieses Vertrages eine Verlängerung desselben nicht geschehen, so dienen dem ungeachtet die Grundsätze, auf welchem der Wiener Vertrag vom 21. April 1815 beruht, hinsichtlich der Schifffahrt und des Handels zur ferneren Richtschnur.

Während der Transitverkehr in diesem Vertrage mittels eines in deutscher Sprache beigefügten Zolltarifs genau geregelt war, waren die Bestimmungen über die Ein- und Ausfuhr (Art. 8 und 9) so allgemein gehalten, dass sie die Regierung zu nichts verpflichteten. Eine wesentliche Erleichterung brachte der Vertrag, nominell wenigstens, hinsichtlich der Zollabfertigung durch das russische Zugeständnis von 12 Hauptzollämtern und der im Art. 12 vorgesehenen Erhebung Jourburgs und Polangens zu Zollämtern erster Klasse, was für den Handel Danzigs und Königsbergs von besonderer Wichtigkeit war.

Art. 21 sollte der Sicherung eines lebhaften Transitverkehrs mit Manufaktur- und Galanteriewaren dienen, der seinen Ausgangspunkt zumeist in Leipzig hatte, von den unternehmungslustigen jüdischen Händlern des ostgalizischen Städtchens Brody bis Odessa und von dort aus von armenischen Kaufleuten über Tiflis nach Persien hingeführt wurde. Die Bedeutung dieses Handelsweges war für Deutschland umso größer, als derselbe auch dann offenstand, als an den europäischen Grenzen Russlands das starrste Prohibitivsystem herrschte <67>.

Erst dem russischen Finanzminister Graf Caner in, einem geborenen Hessen, war es vorbehalten, diesen Handel zu erdrosseln <68>. Graf Cancrin, der dem Finanzminister Gurjew 1823 im Amte folgte, übte während der folgenden zwei Jahrzehnte einen nachhaltigen Einfluss auf die russische Zollpolitik aus. Audi er war wie sein Vorgänger von der Notwendigkeit einer aktiven Handelsbilanz überzeugt, doch suchte er sie nicht wie jener durch ein vollständiges Sperrsystem, sondern durch hohen Schutzzoll zu erreichen. Die erste der in seinem Werke „Die Ökonomie der menschliehen Gesellschaft und das Finanzsystem" aufgestellten 13 Regeln lautet:

„Das Schutzsystem soll nicht bis zum äußersten geführt werden, Verbote sollen überhaupt nicht oder nur in äußersten, seltenen Fällen zugelassen werden, bei der Einfuhr darf der Zoll nie so hoch sein, dass er einem Einfuhrverbot für die höchsten Sorten der ausländischen Ware gleichkommt. Diese Regel soll im Interesse der Zolleinkünfte befolgt werden, aber insbesondere im Interesse der inländischen Industrie, da die Produktion sich ununterbrochen vervollkommnen muss, dafür aber notwendig ist, dass sie die industriellen Muster der besten ausländischen Waren vor Augen habe."

Für ihn war der Zolltarif nicht nur ein Mittel zur Anspornung der heimischen Industrie, sondern auch ein wichtiger Quell, um den in ständiger Ebbe befindlichen russischen Staatssäckel aufzufüllen. Er gab dann auch im Verlaufe der nächsten Jahre eine ganze Anzahl bis dahin ver­botener Artikel zur Einfuhr frei, belegte sie aber mit hohen Zöllen und erhöhte auch die übrigen Zollsätze beträchtlich, sehr zum Leidwesen der deutschen Fabrikanten und Kaufleute. Diese hatten aber noch mehr unter den in jenen Jahren überhandnehmenden Zollplackereien und Schikanen der russisch-polnischen Grenzbehörden zu leiden. Die regelrechte Abfertigung war dadurch derartig erschwert, dass der Handel nach Russland und beide Regierungen wussten, dass diese fast ausschließlich auf Schmuggel angewiesen war.

Im Gegensatze zu Russland hatte Preußen seit der Reform des Jahres 1818 in seinem Zollwesen keine wesentliche Änderung vor­genommen. Zwar war eine Berichtigung der Tarifsätze alle drei Jahre vorgesehen, doch waren die Erhöhungen, die Preußen not­gedrungen vornahm, mit Ausnahme der erwähnten Retorsions­maßnahmen Russland gegenüber nur geringfügiger Art. Das im Tarife von 1818 ausgedrückte freihändlerischen Prinzip blieb lange Jahre unberührt. Das war zunächst in den Anschauungen der preußischen Beamten und Gelehrten begründet, die damals ganz und gar den Theorien der klassischen Nationalökonomie huldigten. Noch mehr trugen aber dazu die günstigen Wirkungen bei, die die Zoll­reform von 1818 auf die Volkswirtschaft Preußens ausübte, Industrie, Handel, Exporttätigkeit nahmen in den beiden folgenden Jahrzehnten einen Aufschwung wie nie zuvor.

Auf politischem Gebiete zeigten sich zunächst einige Schwierigkeiten insofern, als Preußen mit der Einführung eines einheitlichen Grenzzolles das übrige Deutschland zollpolitisch als Ausland behandeln musste, was natürlich bei den vom preußischen Gebiet ganz oder teilweise Umschlossenen Nord- und Mitteldeutschen Kleinstaaten große Unzuträglichkeiten hervorrief. Um diese zu beseitigen, bot Preußen den in Betracht kommenden Kleinstaaten den Anschluss an sein Zollsystem an.

Zuerst entschlossen sich die schwarzburgischen Staaten dazu, allmählich, wenn auch nach einigem Widerstreben folgten die anderen Staaten. Sie erhielten einen Anteil an den preußischen Grenzzöllen, der je nach ihrer Bevölkerungs­zahl bemessen war. Damit war ein Prozess eingeleitet, an dessen Vollendung wir jetzt nach einem Jahrhundert wahrscheinlich stehen, das Werden des deutschen Einheitsstaates! Einen gewaltigen Schritt in dieser Richtung bildete der Zollvertrag, der am 14. Februar 1828 zwischen Preußen und Hessen-Darmstadt zustande kam. „Jener denkwürdige Vertrag, der in Wahrheit die Verfassung des deutschen Zollvereins feststellte" <69>.

Zur gleichen Zeit schlossen sich Bayern, Württemberg und Hohenzollern zu einem süddeutschen und die da­zwischenliegenden Staaten zu einem mitteldeutschen Zollverein zu­sammen. Im Jahre 1833 endlich kam es zu einer Einigung zwischen diesen drei Zollverbänden, und am 1. Januar 1834 trat der „Deutsche Handels- und Zollverein" ins Leben. Das große Ziel Friedrich Liszts, die wirtschaftliche Einheit Deutschlands, war erreicht!

In den verschiedenen, den Zollverein bildenden Staaten wurde ein völlig übereinstimmendes Zollsystem mit wenig lokalen Ausnahmen, im Innern derselben aber Verkehrsfreiheit und Wegfall aller bisherigen Zollgrenzen sowie sämtlicher bestehender Stapel- und Umschlags­rechte eingeführt. Die Grundlage der inneren und äußeren Handels­politik des Zollvereins blieb das preußische Zollgesetz vom Jahre 1818, das mit der Verkündigung der Zollvereinsverträge in den einzelnen Zollvereinsstaaten publiziert wurde.

Dieselben günstigen Wirkungen, die diese Reform im Jahre 1818 für die preußischen Provinzen zeitigte, machten sich jetzt für das gesamte Zollvereinsgebiet geltend. Unter diesen Umständen nahm der deutsch-russische Handelsverkehr trotz aller Hindernisse immer größere Dimensionen an. Pokrowski beziffert seine Zunahme im Verlaufe des zweiten Viertels des 19. Jahrhunderts allein an der Landgrenze von 6 auf 25 Millionen Rubel, wobei die Ausfuhr Russlands nach Preußen von 4 auf 10,9 Millionen, diejenige Preußens nach Russland von 1,6 auf 14,4 Millionen Rubel stieg. Genauere Auskunft geben uns die seit 1802 alljährlich erschienenen amtlichen russischen Handelsstatistiken, die von 1827 angefangen, die Aus- und Einfuhr auch nach den verschiedenen Ländern gruppieren. Aus den dort angegebenen Zahlen stellten wir folgende Tabellen zusammen:

Ausfuhr Russlands nach:

Produkte 1835 1836
Getreide: Weizen 9513 Tschetwert 180747 Rubel 43517 Tschetwert 934410 Rubel
Getreide: Roggen 10228 Tschetwert 173870 Rubel 26923 Tschetwert 242539 Rubel
Getreide: Gerste - - - -
Getreide: Hafer - - 34 Tschetwert 187 Rubel
Wachs 167 Pud 7820 Rubel 26 Pud 1222 Rubel
Leder: Juchten 3518 Pud 168864 Rubel 33555 Pud 157398 Rubel
Leder: gegerbtes - 39384 Rubel - 46590 Rubel
Leder: rohes 18549 Pud 423906 Rubel 9664 Pud 192777 Rubel
Flachs 90788 Pud 951972 Rubel 112196 Pud 828344 Rubel
Hanf 174493 Pud 1132222 Rubel 145073 Pud 948373 Rubel
Holzwaren - 2138331 Rubel - 2273071 Rubel
Pottasche 197335 Pud 1436216 Rubel 118349 Pud 1135658 Rubel
Lein- und Hanföl 62534 Pud 768523 Rubel 143825 Pud 1712967 Rubel
Kupfer 38508 Pud 1277699 Rubel 37500 Pud 1237666 Rubel
Eisen 44289 Pud 177901 Rubel 64425 Pud 300671 Rubel
Talg 151761 Pud 1749808 Rubel 212003 Pud 2750240 Rubel
Leinsamen 74603 Tschetwert 2378372 Rubel 106461 Tschetwert 2747249 Rubel
Schafwolle 5090 Pud 155282 Rubel 10868 Pud 459860 Rubel
Borsten 5765 Pud 258181 Rubel 4473 Pud 256865 Rubel
Stricke und Taue 16466 Pud 194456 Rubel 4498 Pud 35491 Rubel
Leinwaren: Segeltuch 9398 Stück 428065 Rubel 13865 Stück 634011 Rubel
Leinwaren: Raventuch 10447 Stück 229844 Rubel 10318 Stück 263809 Rubel
Leinwaren: Flämischleinen 8520 Stück 277640 Rubel 9526 Stück 219310 Rubel
Vieh - 8770 Rubel - 820 Rubel
Pelzwerk - 479781 Rubel - 724285 Rubel
Hasenfelle 777 Pud 55096 Rubel 1387 Pud 149234 Rubel
Sonstige Waren - 2416060 Rubel - 3017445 Rubel
gesamt 17390810 Rubel 21638514 Rubel


Preußen und den Hansestädten.

1837 1838 1839
90115 Tschetwert 1982475 Rubel 27819 Tschetwert 676656 Rubel 67621 Tschetwert 1622904 Rubel
99232 Tschetwert 677743 Rubel 127993 Tschetwert 1394504 Rubel 295310 Tschetwert 3310719 Rubel
2802 Tschetwert 46233 Rubel 3095 Tschetwert 49520 Rubel 8242 Tschetwert 138983 Rubel
20700 Tschetwert 111296 Rubel 16224 Tschetwert 86394 Rubel 33165 Tschetwert 210762 Rubel
1 Pud 64 Rubel 57 Pud 3074 Rubel 70 Pud 3650 Rubel
11629 Pud 78222 Rubel 4593 Pud 220464 Rubel 8815 Pud 423120 Rubel
- 897 Rubel - 4320 Rubel - 11421 Rubel
8227 Pud 141164 Rubel 8858 Pud 153761 Rubel 18868 Pud 307203 Rubel
83233 Pud 620684 Rubel 119028 Pud 600397 Rubel 91574 Pud 535104 Rubel
174083 Pud 1382380 Rubel 238137 Pud 2053118 Rubel 211098 Pud 1784766 Rubel
- 2369660 Rubel - 1780251 Rubel - 2384710 Rubel
188886 Pud 1690082 Rubel 193145 Pud 1347804 Rubel 258925 Pud 1541464 Rubel
145503 Pud 1156864 Rubel 61591 Pud 604449 Rubel 199794 Pud 1620385 Rubel
46393 Pud 1622558 Rubel 34637 Pud 1256122 Rubel 27031 Pud 938796 Rubel
47252 Pud 221310 Rubel 31915 Pud 147272 Rubel 32568 Pud 152850 Rubel
229682 Pud 2745201 Rubel 52880 Pud 736060 Rubel 145291 Pud 1960868 Rubel
110010 Tschetwert 2237969 Rubel 95194 Tschetwert 2131587 Rubel 129534 Tschetwert 3137494 Rubel
4738 Pud 148742 Rubel 17986 Tschetwert 522083 Rubel 65042 Tschetwert 1401719 Rubel
4866 Pud 217283 Rubel 7166 Tschetwert 366595 Rubel 4970 Tschetwert 222161 Rubel
26866 Pud 224746 Rubel 20200 Tschetwert 167443 Rubel 27128 Tschetwert 277053 Rubel
6542 Stück 291134 Rubel 14284 Stück 653385 Rubel 8186 Stück 376439 Rubel
13933 Stück 348481 Rubel 14605 Stück 357951 Rubel 5633 Stück 138251 Rubel
22217 Stück 758446 Rubel 17395 Stück 590127 Rubel 16207 Stück 559183 Rubel
- 5085 Rubel - 73825 Rubel - 115972 Rubel
- 403957 Rubel - 87023 Rubel - 77037 Rubel
615 Stück 107255 Rubel 947 Stück 114103 Rubel 1589 Stück 111649 Rubel
- 22390493 Rubel - 2067973 Rubel - 1964269 Rubel
21928424 Rubel 18247261 Rubel 25338932 Rubel


Einfuhr Russland aus:

Produkte 1835 1836
Kaffee 9513 Tschetwert 180747 Rubel 30417 Pud 847576 Rubel
Gewürz 10228 Tschetwert 173870 Rubel - 118993 Rubel
Wein 1776 Oxh. 1270 Flaschen 563969 Rubel 1580 Oxh. 4999 Flaschen 455075 Rubel
Champagner 12804 Flaschen 63074 Rubel 17361 Flaschen 111638 Rubel
Fische - 7820 Rubel - 322113 Rubel
Salz 238967 Pud 261526 Rubel 173181 Pud 161384 Rubel
Tabak 68170 Pud 3849468 Rubel 62701 Pud 3714081 Rubel
Früchte - 590138 Rubel - 428879 Rubel
Baumwolle 370 Pud 10940 Rubel 6436 Pud 200157 Rubel
Baumwolle gesponnen weiß 934 Pud 74192 Rubel 788 Pud 45945 Rubel
Baumwolle gefärbt 6472 Pud 1177349 Rubel 3971 Pud 714827 Rubel
Farben: Indigo 673 Pud 160095 Rubel 3106 Pud 739684 Rubel
Farben: Cochenille 185 Pud 12284 Rubel 28 Pud 8009 Rubel
Farben: Krapp 5655 Pud 135873 Rubel 909 Pud 22442 Rubel
Sandel- und Farbhölzer 20497 Pud 223757 Rubel 20378 Pud 192722 Rubel
Farben, verschiedene - 328304 Rubel - 394486 Rubel
Apothekenwaren - 187382 Rubel - 209631 Rubel
Baumöl 5536 Pud 116596 Rubel 4121 Pud 94102 Rubel
Sensen und Sicheln - 82352 Rubel - 81954 Rubel
Blei 21119 Pud 147776 Rubel 1253 Pud 13475 Rubel
Sandzucker 80359 Pud 1516536 Rubel 155735 Pud 3263342 Rubel
Seide 3607 Pud 3653507 Rubel 2498 Pud 3121323 Rubel
Baumwollene Sachen - 694110 Rubel - 587521 Rubel
Seiden Sachen - 7466131 Rubel - 7328886 Rubel
Wollsachen - 725159 Rubel - 726879 Rubel
Tuche 375 Pud 196630 Rubel 542 Pud 339361 Rubel
Edelsteine - 88250 Rubel - 707439 Rubel
Sonstige Waren - 12110764 Rubel - 10051795 Rubel
gesamt 35830567 Rubel 35000717 Rubel


Preußen und den Hansestädten

1837 1838 1839
48033 Pud 1341417 Rubel 43155 Pud 1089441 Rubel 72526 Pud 1391339 Rubel
- 141662 Rubel - 127847 Rubel - 203954 Rubel
1739 Oxh.

6033 Flaschen

463347 Rubel 1964 Oxh.

4033 Flaschen

632499 Rubel 1733 Oxh.

6445 Flaschen

412146 Rubel
15151 Flaschen 89843 Rubel 19650 Flaschen 115516 Rubel 14044 Flaschen 101913 Rubel
- 480375 Rubel - 258915 Rubel - 467561 Rubel
137583 Pud 123015 Rubel 207690 Pud 187218 Rubel 242544 Pud 215206 Rubel
79223 Pud 4265271 Rubel 74755 Pud 4462394 Rubel 62223 Pud 3835146 Rubel
- 368591 Rubel - 370402 Rubel - 506817 Rubel
4331 Pud 107355 Rubel 9086 Pud 249565 Rubel 443 Pud 11529 Rubel
463 Pud 29711 Rubel 5678 Pud 322729 Rubel 498 Pud 18819 Rubel
2384 Pud 437332 Rubel 3115 Pud 537790 Rubel 2535 Pud 424311 Rubel
933 Pud 243979 Rubel 1270 Pud 357717 Rubel 1455 Pud 457171 Rubel
164 Pud 45460 Rubel 14 Pud 4120 Rubel 38 Pud 11646 Rubel
3240 Pud 69307 Rubel 4099 Pud 80010 Rubel 6430 Pud 152135 Rubel
32503 Pud 243324 Rubel 30740 Pud 212634 Rubel 59615 Pud 333725 Rubel
- 292216 Rubel - 373137 Rubel - 477597 Rubel
- 106337 Rubel - 144381 Rubel - 228287 Rubel
5342 Pud 119719 Rubel 13117 Pud 268498 Rubel 8397 Pud 174222 Rubel
- 79272 Rubel - 118048 Rubel - 157986 Rubel
8369 Pud 78301 Rubel 26354 Pud 225982 Rubel 10517 Pud 85688 Rubel
256507 Pud 4873633 Rubel 122922 Pud 2138723 Rubel 173165 Pud 2684037 Rubel
3870 Pud 4091446 Rubel 3700 Pud 3906322 Rubel 5584 Pud 5621698 Rubel
- 1088803 Rubel - 1075491 Rubel - 1041317 Rubel
- 9270199 Rubel - 8346125 Rubel - 8143088 Rubel
- 1181268 Rubel - 1198142 Rubel - 2909942 Rubel
796 Pud 550240 Rubel 681 Pud 501746 Rubel 588 Pud 386695 Rubel
- 260275 Rubel - 860224 Rubel - 1541905 Rubel
- 11176240 Rubel - 10569868 Rubel - 10876299 Rubel
41618478 Rubel 38735460 Rubel 42872070 Rubel

*4

Die angegebenen Zahlen bleiben aber noch um ein erhebliches hinter dem wirklichen deutsch-russischen Warenverkehr zurück, denn in ihnen sind die großen Mengen der auf Schmuggelwegen eingeführten Güter nicht enthalten. Wohl war es dem Grafen Cancrin gelungen, den in den zwanziger Jahren überhandnehmenden Schmuggel etwas einzudämmen, ihn zu beseitigen, das vermochte er nicht, trotzdem während der ersten zehn Jahre seines Wirkens durchschnittlich für über 1/2 Millionen Rubel Waren an der europäischen Grenze beschlagnahmt wurden <72>.

Dazu hätte es zunächst einer gründlichen Änderung der Psyche der russischen Beamten bedurft, deren Bestechlichkeit selbst Peter der Große mit den allergrausamsten Maßnahmen nicht hatte ausrotten können. Vor allem wäre es aber notwendig gewesen, den regelrechten Grenzverkehr nach Möglichkeit zu erleichtern. Das Gegenteil aber war der Fall! Die Schikanen bei der Zollabfertigung nahmen trotz der im Handelsverträge des Jahres 1825 abgegebenen Versicherungen derartig zu, dass die deutschen Fabrikanten und Kaufleute sich in Klagen überboten, und der Gesandte in Petersburg kaum wusste, wie er alle die an ihn gelangenden Reklamationen bewältigen sollte. Zudem erhöhte Graf Cancrin die Zollsätze alle drei Jahre. Den Transit deutschen Tuches nach China, der noch 1825 292312 Arschin betrug, verbot er in diesem Jahre gänzlich <73>.

1831 versperrte er den Handelsweg über Odessa nach Transkaukasien durch eine unüberwindliche Zollmauer. Unter diesen Umständen verzichtete die preußische Regierung 1836 auf eine Verlängerung des Handelsvertrages vom Jahre 1825 und schritt nun selbst zur Erhöhung des Zolltarifes. Denn inzwischen hatten sich auch in Deutschland,  besonders unter dem Einflüsse Friedrich Liszts, die Anschauungen geändert.

Liszt stellte der kosmopolitischen Theorie der klassischen Nationalökonomie, die bis dahin die öffentliche Meinung beherrscht hatte, das Prinzip der Nationalität entgegen. Während die klassische Schule sagte, ein Volk muss ebenso wie ein Individuum seine Bedürfnisse auf dem billigsten Markte decken, forderte Liszt entschiedene Förderung der nationalen Volkswirtschaft und empfahl als Mittel hierzu den Schutzzoll.

Diese Ideen fanden zunächst in den industriellen, allmählich auch in den Regierungskreisen Anklang und leiteten so den erbitterten Kampf ein, der im Verlaufe der nächsten Jahrzehnte unter der Losung: „nie Schutzzoll — nie Freihandel" in der deutschen Öffentlichkeit ausgefochten wurde. Zunächst behielt die schutzzöllnerische Partei die Oberhand. Der „Vereinszolltarif" des Jahres 1840 weist beträchtliche Erhöhungen auf.

Von den für die Einfuhr aus Russland besonders wichtigen Waren wurde der Zoll für Flachs von 0,50 auf 1 M., für Segeltuche von 2 auf 4 M., für Stricke und Taue von 1,50 auf 3 M., für Leder von 12 auf 18 M., für Wachs von 1,50 auf 3 M., für Talg von 9 auf 18 M. <per 100 kg> erhöht <74>.


Noch im selben Jahre (1840) leitete der persönlich in Berlin weilende russische Finanzminister neue Verhandlungen ein. Der preußische Minister von Alvensleben gab ihm in einer Denkschrift folgende Wünsche kund:

(1)   Herabsetzung der russischen Zölle für Seiden-, Woll-, Baumwoll-, Leinen-, Stahl- und Eisenwaren,

(2)   Bevollmächtigung der drei russischen Hauptzollämter zur Expedition aller nichtverbotenen Waren,

(3)   dieselbe Befugnis für die polnischen Hauptzollämter hinsichtlich der nach Russland transitierenden Güter,

(4)   Erleichterung der Zollabfertigung und Errichtung neuer Nebenzollämter,

(5)   Gleichstellung der preußischen Flagge in Russland und Finnland mit der eigenen,

(6)   Zulassung der Dampfschifffahrt zwischen Stettin und Petersburg, die bisher zugunsten einer privilegierten Lübeck - Petersburger Linie verboten war.


Im Hinblick auf Polen verlangte die preußische Regierung ebenfalls:

(7)   Zollerleichterung,

(8)   Ausdehnung der Befugnisse der Hauptzollämter,

(9)   unbeschränkte Transitfreiheit durch Polen,

(10)          erleichterten Grenzverkehr,

(11)          Förderung des Jahrmarktverkehrs,

(12)          Befreiung der Flussschifffahrt von der 1838 eingeführten Kommunikationsabgabe <75>.


Die russischen Unterhändler willigten aber nur in folgendem ein:


(1)   Gleichstellung der preußischen Schiffe mit den russischen,

(2)   Gründung zweier neuer Zollämter an der russisch-preußischen Grenze,

(3)   Erhöhung der Grenzübergangsstellen von 7 auf 12.

Hinsichtlich Polens wurde in die Schaffung einiger neuer Zollämter und Grenzübergangsstellen eingewilligt. Dagegen verlangten die Russen für ihren Transithandel durch Preußen die Wiedereinführung der Bedingungen des Vertrages vom Jahre 1825 <76).

Die preußische Regierung erklärte die russischen Zugeständnisse für wertlos und drohte mit Nichtverlängerung der Kartellkonvention, durch die Russland in den Stand gesetzt war, die militärische Bewachung seiner Grenzen durchzuführen, da andernfalls ein großer Teil der leibeigenen Soldaten desertieren würde. Nach weiteren Vorschlägen und Gegenvorschlägen gab die russische Regierung am 2. Juli 1842 einen Ukas heraus, betitelt „concessions definitives accordees par la Russie ä la Prusse". Darin wurde zugestanden gegenseitige Gleichstellung der Flagge, Vermehrung der Zollämter und Grenzübergangsstellen, sowie weitere Erleichterung des Grenz- und Marktverkehrs, die Zollsätze für preußische Leinen- und Hanfwaren wurden herabgesetzt und Meistbegünstigung gewährt.

Die Zollämter Polangen, Tauroggen und Yourburg wurden dem Petersburger Zollamte gleichgestellt, ebenso das in Brest-Litowsk, das die Befugnis erhielt, alle preußischen Waren zum Transit durch Polen nach Odessa passieren zu lassen. Ebenso wurden für den preußisch-polnischen Grenzverkehr bedeutende Erleichterungen bewilligt, die polnischen Abgaben auf Flüssen und Kanälen aufgehoben, die Chausseeabgaben erniedrigt und freier Transit durch Polen gewährt <77>.

Diese Konzessionen bildeten insofern ein Kuriosum in der Geschichte der deutsch-russischen Handelsbeziehungen, als sie nicht Teil eines gegenseitig verpflichtenden Vertrages waren, sondern den Charakter einer freiwilligen Verpflichtung Russlands hatten. Aber sie waren nicht so ganz auf das Wohlwollen und die Freundschaft des Zaren Preußen gegenüber zurückzuführen, wie das die russischen Staatsmänner glauben machen wollten, das dicke Ende zeigte sich bald: die Zollermäßigungen waren nur für Waren preußischen Ursprungs gewährt, was natürlich in den übrigen Zollvereinsstaaten große Erregung auslöste.

In Berlin glaubte man zunächst an ein Versehen der russischen Regierung, wurde aber bald eines Besseren belehrt. So blieb der preußischen Regierung nichts anderes übrig, als unter Hinweis auf die entgegenstehenden Bestimmungen des Zollvereins auf diese Sonderbegünstigungen zu verzichten. Der feine Schachzug der russischen Diplomaten tat aber dennoch seine Wirkung, Preußen ermäßigte seinen Transitzoll und erneuerte die Kartellkonvention auf 12 Jahre. Da zeigte sich auch Russland bereit, seine „concessions definitives" auf den ganzen Zollverein auszudehnen und führte dieselben während der nächsten Jahre auch ziemlich streng durch.

Über die Höhe der in den vierziger Jahren geltenden russischen und deutschen Zollsätze gibt uns folgende Tabelle Auskunft <78>:

Warenbezeichnung Einheit Russischer Tarif Deutscher V.Tarif
Reichstaler Silber-groschen Reichstaler Silber-groschen
Rohrzucker Zoll-Zentner 12 8 5 -
Kaffee Zoll-Zentner 19 27 5 25 ½
Baumwolle, roh Zoll-Zentner - 24 frei
Twist, weiß Zoll-Zentner 21 - 2 u. 8 -
Baumwollwaren, gewöhnlich Zoll-Zentner 106 20 50 -
Indigo Zoll-Zentner 18 22 - 15
Seide, roh Zoll-Zentner 644 20 110 15
Seidenwaren, gewöhnlich Zoll-Zentner 970 - 110 -
Wolle, roh Zoll-Zentner 449 12 frei

-

Wollgarn Zoll-Zentner 55 23 - 15
Wollgewebe Zoll-Zentner 230 8 30 -
Wein Oxhoft 48 10 Z-Z.8 -
Tee Zoll-Zentner verboten 11 -
Früchte Zoll-Zentner 2 8 4 -
Tabak, roh Zoll-Zentner 38 24 5 15
Blei Zoll-Zentner - 9 ½ - 7 ½
Salz Zoll-Zentner 5 24 2 -
Zink Zoll-Zentner 3 27 1 -
Glas Zoll-Zentner 58 6 1 -
Mauer-Dachsteine, gebrannt Per 1000 Stück - 16 Zentner - 5
Senf Zoll-Zentner 63 18 11 -
Pferde Stück 43 10 1 10
Pferde, Hengste Stück frei
Butter Zoll-Zentner 13 22 3 20
Geschirr: Fayence Zoll-Zentner 15 3 5 -
Geschirr: Töpfer Zoll-Zentner 15 3 - 10
Geschirr: Holz Zoll-Zentner 12 28 3 -
Roggen Scheffel - 17 ½ - 1 ½
Gerste Scheffel - 17 ½ - 1
Weizen Scheffel - 22 - 1 ½
Hafer Scheffel - 11 - 1
Perlgraupen und dergleichen Zoll-Zentner verboten 2 -
Lein-, Hanfgewebe, gewöhnlich Zoll-Zentner 233 10 2 -
Bullen, Ochsen Stück - 23 5 -
Steinkohle Zoll-Zentner frei - 1 1/2
Branntwein, ord. Zoll-Zentner verboten 8 -

Von diesen Artikeln erhielten infolge der „concessions definitives" die nachstehenden eine Ermäßigung der Eingangszölle, und zwar:

Warenbezeichnung Einheit Reichstaler Silbergroschen Pfennig
Mauersteine, gebrannt 1000 Stück Reichstaler 6 Silbergroschen 6 Pfennig
Dachsteine, gebrannt 1000 Stück Reichstaler 3 Silbergroschen 3 Pfennig
Senf Pfund Reichstaler 7 Silbergroschen 6 Pfennig
Pferde Stück 16 Reichstaler 5 Silbergroschen Pfennig
Butter Zoll-Zentner 1 Reichstaler 8 Silbergroschen 9 Pfennig
Geschirr: Fayence Zoll-Zentner 2 Reichstaler 17 Silbergroschen 6 Pfennig
Geschirr: Holz Zoll-Zentner 4 Reichstaler 25 Silbergroschen 6 Pfennig
Roggen zur See eingeführt Scheffel Reichstaler 8 Silbergroschen 6 Pfennig
Gerste zur See eingeführt Scheffel Reichstaler 8 Silbergroschen 6 Pfennig
Weizen zur See eingeführt Scheffel Reichstaler 12 Silbergroschen 9 Pfennig
Hafer zur See eingeführt Scheffel Reichstaler 6 Silbergroschen 6 Pfennig
Perlgraupen und dergleichen Scheffel Reichstaler 8 Silbergroschen 6 Pfennig
Lein-, Hanfgewebe, gewöhnlich Pfund 1 Reichstaler 16 Silbergroschen Pfennig
Bullen, Ochsen Stück Reichstaler 9 Silbergroschen 9 Pfennig


Es blieben also noch in fast allen Einfuhrgegenständen die russischen Zollsätze um ein Vielfaches höher als die des deutschen Zollvereins. Deshalb ging noch ein großer Teil des deutsch-russischen Handels auf Schmuggelwegen vor sich, so veranschlagte man den Ausfall an Zolleinnahmen, den Russland durch den Schleichhandel erlitt, für das Jahr 1845 auf 5 534 200 Taler, für 1846 auf 5 219 800 Taler <79>.

Nach den amtlichen russischen Statistiken gestaltete sich der deutsch-russische Handelsverkehr in diesen Jahren wie folgt:

Ausfuhr nach Preußen und den Hansestädten

1840 3995333 Silberrubel 2078515 Silberrubel
1841 4056491 Silberrubel 2251079 Silberrubel
1842 3407682 Silberrubel 2452220 Silberrubel
1843 5199125 Silberrubel 2992492 Silberrubel
1844 6446950 Silberrubel 1915819 Silberrubel
1845 4170436 Silberrubel 2018433 Silberrubel

Einfuhr nach Preußen und den Hansestädten

1840 3964460 Silberrubel 9272137 Silberrubel
1841 4942008 Silberrubel 8031069 Silberrubel
1842 5964934 Silberrubel 8136367 Silberrubel
1843 6385495 Silberrubel 7758805 Silberrubel
1844 5269232 Silberrubel 6812116 Silberrubel
1845 5122350 Silberrubel 7799782 Silberrubel


Die preußische Regierung ließ es auch weiterhin nicht an Vorstellungen fehlen, um Russland von den Schäden der hohen Zollsätze zu überzeugen. Im Februar 1846 wurde dem Zaren eine in ihrem Auftrage von dem Nationalökonomen Freiherrn von Reden verfasste Denkschrift übergeben, in der das Cancrinsche Zollsystem einer gründlichen Kritik unterzogen wurde.

Sie hoffte damit die Stimmen am Zarenhofe zu stärken, die seitdem Rücktritte des Grafen Cancrin für eine Ermäßigung der russischen Zollsätze ein­traten. Mit immer größerer Eindringlichkeit wurde auf die Gefahr hingewiesen, die Russland durch das Auftauchen neuer Konkurrenten auf dem europäischen Markte, wie Australien, die Vereinigten Staaten und Kanada drohte, die ihre Produkte zu billigen Preisen verkauften und die russische Ausfuhr von Jahr zu Jahr herabdrückten. Um dem zu begegnen, müssten die Preise der russischen Rohstoffe auf den auswärtigen Märkten verringert werden, und dies geschehe am besten durch den Fortfall der Ausfuhrzölle.

Aber auch die Eingangszölle müssten verringert werden, denn das bestehende Sperr­system störe den Ausgleich von Ein- und Ausfuhr, den ja auch das Ausland erstrebe, und verteure überdies die eigenen russischen Produkte dadurch, dass die Schiffe anstatt mit Waren mit Ballast einliefen, um sie zu holen. Zu diesen ökonomischen Erwägungen traten auch politische <81>, die dahin gingen, Polen, wo, wie auch im übrigen Europa, in den 40er Jahren 'des 19. Jahrhunderts lebhafte nationale Strömungen aufkamen, stärker an Russland zu fesseln. Und zwar sollte dies durch Schaffung eines einheitlichen Zolltarifes geschehen, die 1822 zwischen Russland und Polen wieder­errichtete Zollgrenze sollte fallen. Da nun an der polnischen Grenze viel niedrigere Zollsätze galten als an der russischen, der hohe russische Zolltarif aber nach Meinung aller Sachverständigen nicht auf Polen angewendet werden konnte, ohne der polnischen Industrie schweren Schaden zuzufügen, so gelangte man auch aus diesen Er­wägungen heraus zu einer Ermäßigung des russischen Zolltarifes.

Im Jahre 1846 wurde der russische Volkswirtschaftler Tengoborski beauftragt, eine Reform des Zolltarifes vorzubereiten, er sollte dabei:


§  die Zolltarife der anderen großen europäischen Staaten in Be­rücksichtigung ziehen,

§  angeben, welche Zölle, die nur aus finanziellen Erwägungen aufgestellt worden waren, sich als zu hoch erwiesen und den Verbrauch empfindlich beeinträchtigt hätten, zugleich Zoll­erniedrigungen Vorschlägen, die den Schmuggel eindämmen, aber auch das Bedürfnis der Zolleinnahmen nicht aus den Augen verlieren sollten,

§  untersuchen, welche Einfuhrverbote sich als bereits überflüssig oder gar schädlich erweisen, und durch welche Zölle diese Ver­bote ersetzt werden könnten,

§  die Zollvereinigung mit Polen in Betracht ziehen <82>.


Auf diesen Grundlagen baut sich der russische Zolltarif vom Jahre 1850 auf, der am 1. Januar 1851 in Kraft trat. Er bedeutete eine Wendung der russischen Zollpolitik vom Prohibitiv zum gemäßigten Schutzzollsystem. Die Zahl der für die Einfuhr verbotenen Artikel wurde von 89 auf 25 eingeschränkt. Erniedrigt wurden die Zölle auf fast sämtliche Rohstoffe, auf chemische Halbfabrikate, auf Maschinen und Instrumente. Die Zölle für Baumwoll-, Woll-, Leinen- und Seidentuche wurden um 10 - 15 % ermäßigt, für Galanteriewaren von 6 auf 2 Rubel per Pfund, für einfache kleine Gegenstände auf 40 Kopeken usw. Für die Ausfuhr wurden fast alle bis dahin verbotenen Gegenstände freigegeben und von 179 Zollsätzen 151 ermäßigt. Dieser Tarif hatte auch eine bedeutende Belebung des russischen Außenhandels zur Folge, namentlich der Ausfuhr, die von 109 Millionen Rubel im Jahre 1850 auf 164 Millionen, im Jahre 1853 wuchs, die Einfuhr nahm im gleichen Zeitraume von 108 auf 113 Millionen zu <83>.

Die preußische, Regierung zeigte sich mit den russischen Zollermäßigungen nicht zufrieden, sie wären gerade für die die deutschen Kaufleute interessierenden Artikel unerheblich. Insbesondere sträubte sie sich gegen eine Zollvereinigung Russlands mit Polen, die dem Wiener Vertrage vom Jahre 1815 durchaus widerspräche. Der preußische Handel hatte an der Aufrechterhaltung des damaligen Zustandes nicht nur wegen der niedrigeren Zölle Polens ein Interesse, sondern auch wegen seiner mangelhaften Grenzbewachung und der großen Bestechlichkeit der polnischen Zollbeamten, die ihre russischen Kollegen in dieser Hinsicht noch um ein Erkleckliches übertrumpften. Doch zeigten sich die Befürchtungen, eine Neuorganisation des Zolldienstes an der preußisch-polnischen Grenze würde den illegalen Handelsverkehr unterbinden, in der Folge als grundlos.

Doch auch der regelrechte deutsch-russische Handelsverkehr entwickelte sich unter dem Einflüsse der gemäßigten Zollpolitik Russlands zusehends. Tengoborski, der Spiritus rector des russischen Tarifes vom Jahre 1850 gibt an, dass die preußische Einfuhr, die während der Periode 1827 - 31 in Russland noch an achter Stelle stand, während der Jahre 1851 - 53 an die zweite Stelle rückte und nur noch von der englischen übertroffen wurde. Von dem Anteil der verschiedenen Staaten an dem Außenhandel Russlands im Durchschnitt der Jahre 1851 - 53 gibt uns Tengoborski folgendes Bild <84>:

Jährliche Ein- und Ausfuhr

(in Silberrubeln)

Land Einfuhr Ausfuhr
England 26363400 49314600
Preußen 14368700 10 874 600
Frankreich 8301800 8237600
Österreich 6151000 6050100
Europäische Türkei 4351400 6392800
Niederlande 3014900 6210400
Hansestädte 5910200 2065200
Vereinigte Staaten 2917800 2230500
Westindien 4951100
Helsingör 3 542 800
Sardinien 313900 2617800
Sizilien 2 604 500 318700
Belgien 619500 1904500
Spanien 2189900 984000
Schweden 148000 1838500
Toskana 155000 1820000
Norwegen 1499500 451500
Dänemark 275500 1540100
Portugal 1097 300 515300
Griechenland 491400 238100
Ionische Inseln 263 600 137700
Alle anderen Staaten 479000 777800
86467800 107177000


Für den Durchschnitt der Jahre 1851 - 53 betrug nach den Angaben Tengoborskis <85> die Einfuhr Russlands aus Preußen.

Warenbezeichnung Silberrubel %
Seidenstoffe 2560700 17,9
Rohe und gesponnene Seide 1274400 8,9
Baumwollstoff 863900 6
Leinenstoff 679400 4,7
5. Fische <bes. Heringe) 645900 4,5
6. Maschinen und Modelle 639900 4,4
7. Farbstoffe 537900 3,7
8. Wollstoffe 530200 3,7
9. Pelzwerk 481900 3,4
10. Uhrwerk 475400 3,3
11. Rohe Baumwolle 444100 3,1
12. Wein 415800 2,9
13. Metalle, bearbeitete 404400 2,8
14. Kolonialwaren -356000 2,5
15. Rohe Wolle 287700 2
16. Salz 255000 1,8
17, Früchte 250200 1,7
18. Rohmetalle 216600 1,5
19. Drogen 213100 1,5
20. Olivenöl 151900 1,1
21. Baumwollgarn 143400 1
22. Apothekerwaren 135200 0,9
23. Papierwaren 129200 0,9
Alle anderen Waren zusammen 2276500 15,8
Zusammen 14368700 Silberrubel


Ausfuhr Russlands aus Preußen.

Warenbezeichnung Silberrubel %
Getreide 2738900 25,2
Wolle 1823 400 16,8
Bauholz 1367000 12,6
Kupfer 760300 7
Vieh 669700 6,1
Ölsamen 637200 5,9
Pelzwaren 6193000 5,7
Pottasche 349400 3,2
Wadis 214200 2
Hanf 195900 1,8
Talg 187900 1,7
Leder 121600 1,1
Alle anderen Waren zusammen 1189800 10,9
Zusammen 10874600 Silberrubel


Ausfuhr Russlands nach den Hansestädten.

Warenbezeichnung Silberrubel %
Getreide 466900 22,6
Hanf 233100 11,3
Kupfer 195600 9,5
Ölsamen 123700 6
Tauwerk 101000 4,9
Pottasche 90200 4,4
Talg 87600 4,2
Leinöl 75400 3,6
Alle anderen Waren zusammen 691700 33,5
Zusammen 2065200 Silberrubel


Einfuhr Russlands aus den Hansestädten.

Warenbezeichnung Silberrubel %
Tabak 1493900 25,3
Kolonialwaren 1047500 17,7
Seiden waren 552100 9,3
Rohe und gesponnene Seide 297000 5
Farbstoffe 230900 3,9
Weine und Spirituosen 186300 3,2
Apothekerwaren 177000 3
Rohe Wolle 163100 2,8
Wollstoffe 133600 2,3
Früchte 110100 1,9
Maschinen und Modelle 104800 1,8
Baumwollstoffe 95400 1,6
Uhrwerk 94500 1,6
Olivenöl 91400 1,5
Baumwolle 90000 1,5
Alle anderen Waren zusammen 1042600 17,6
Zusammen 5910200 Silberrubel


Der Tarif von 1850 zeitigte sehr gute Folgen für Russland. Nicht nur, dass keiner der bedeutenderen russischen Industriezweige unter der Ermäßigung der Eingangszölle litt, im Gegenteil, unter dem Anreiz fremder Konkurrenz gelangten sie zu vollkommeneren Produktionsmethoden, verbesserten und verbilligten ihre Erzeugnisse und nahmen einen größeren Aufschwung denn je. Auch der Fiskus kam bei den niedrigeren Zollsätzen besser davon, denn in den von der Zollermäßigung betroffenen Artikeln nahm die Ein- und Ausfuhr derartig zu, dass auch die Zolleinnahmen sich hoben. Unter diesen Umständen entschloss man sich, noch einen Schritt weiter in der 1850 eingeschlagenen Richtung zu gehen. Im Jahre 1857 kam wieder unter der Initiative Tengoborskis ein Zolltarif zustande, der von 19 für die Einfuhr noch verbotenen Artikeln sieben freigab und über 60 % aller Zollsätze weiterhin ermäßigte.

Trotz allem war aber der russische Zolltarif, mit dem des deutschen Zollvereins verglichen, noch ein recht hoher. Zunächst waren zahlreiche Nahrungs- und Genussmittel, Rohstoffe und Halbfabrikate, die ohne jeden Zoll nach Deutschland eingeführt werden konnten, in Russland immer noch mit Eingangsabgaben belegt. Aber auch da, wo, wie bei den Fabrik- und Handwerkserzeugnissen der Zollverein fast durchweg Eingangszölle erhob, waren diese viel niedriger bemessen. So betrug der Eingangszoll pro Pud für:

in Russland in Deutschland
Parfums und Toilettenwasser 60—100 Kop. 2,5 Kop.
Schreib» und Druckpapier 550-600 Kop. 40,7 Kop.
Bearbeitetes Korkholz 98-100 Kop. 25 Kop.
Schuhwerk aus Leder 55 Kop. 3 – 7,6 Kop.
Bronzefabrikate u. dergleichen 1710 Kop. 122 Kop.
Eisen- und Stahldraht 198 Kop. 35,6 – 40,4 Kop.

usw. <86>.

Aber selbst dieser verhältnismäßig niedrige Vereinszolltarif er­schien der öffentlichen Meinung Preußens als lästige Fessel. Hier hatte die Industrie einen mächtigen Aufschwung genommen und suchte, nun jeder Konkurrenz gewachsen, fremde Märkte zu erobern, wozu sie billige Rohstoffe und Arbeitskräfte brauchte. Auch die deutsche Landwirtschaft war damals auf Export angewiesen und wünschte ebenfalls im Interesse des leichteren Absatzes ihrer Produkte den Freihandel. Dieser hatte seit dem Tode Friedrich Liszts in Deutschland immer mehr an Boden gewonnen und sich zunächst im Freihandelsverein, dann im Volkswirtschaftlichen Kongress Mittelpunkte seiner Bestrebungen geschaffen.

Die freihändlerischen Propaganda wurde von der preußischen Regierung auch aus politischen Gründen sehr gefördert, die Freihandelspolitik sollte nämlich dazu dienen, das schutzzöllnerische Österreich von einer engeren Verbindung mit dem Zollverein abzuhalten <87>.

Doch scheiterten alle Versuche Preußens, den Zollvereinstarif radikal zu ermäßigen an dem Widerstande der süddeutschen Staaten, die unter dem Einfluss Österreichs von ihrem Vetorechte Gebrauch machten. Erst nachdem Bismarck die Zügel ergriffen hatte und es gelungen war, mit Frankreich und schließlich auch mit Österreich freihändlerischen Verträge abzuschließen, kam im Jahre 1865 eine Zollreform zustande, durch welche die an Frankreich und Österreich zugestandenen konventionellen Ermäßigungen an alle mit dem Zollverein in Handelsbeziehungen stehenden Nationen gewährt wurden. Die Zollreduktionen des Jahres 1865 waren recht bedeutende, so betrug der Zoll auf russische Ausfuhrartikel wie:

1840 1865
Leder 36,- Mark 12,- Mark per 100 kg
Holz 2 - 4,- Mark frei per 100 kg
Getreide 0,50 Mark frei per 100 kg
Flachs 1,- Mark frei per 100 kg
Talg 18,- Mark frei per 100 kg
Wachs 3,- Mark frei per 100 kg
Lichter 24,- Mark 12,- Mark per 100 kg
Ochsen 15,- Mark 7,50 Mark per Stück
Kühe 9,- Mark 4,50 Mark per Stück
Schweine 3,- Mark 2, M. per Stück
Schafe 0,50 Mark frei per Stück (88)


Zwei Jahre später schritt auch die russische Regierung wieder zur Revision des Zolltarifs, durch die sie nach den Erfahrungen der Reformen vom Jahre 1850 und 1857 die Zoll einnahmen zu erhöhen hoffte. Außerdem sollte dem wieder überhandnehmenden Schmuggelhandel begegnet werden. Dieser hatte eine völlig organisierte Gestalt angenommen, an der preußisch-russischen Grenze existierten reguläre Kontore, welche den Transport und die VerSicherung der Schmuggelwaren für eine Prämie besorgten, die etwa 35°/o des russischen Zolls betrug <89>.

Gleichzeitig sollten die bis dahin differierenden Zölle für die Land- und Seegrenze ausgeglichen werden und eine Vereinfachung der Tarifklassifikationen vorgenommen werden. Der im Juni 1868 bestätigte neue Zolltarif enthielt im Ganzen 260 Artikel, von denen 35 eine Erhöhung, 152 eine Ermäßigung der Zölle aufwiesen, während 16 von der Gruppe der zollpflichtigen in die der zollfreien überführt, wurden <90>.

Unter dem Einflüsse der freihändlerischen Politik Deutschlands und des gemäßigten Schutzzollsystems Russlands nahm der deutschrussische Handelsverkehr in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts einen gewaltigen Aufschwung, wie folgende Zahlen beweisen <91>:

Aus- und Einfuhren (in 1000 Rubeln).

Russische Ausfuhr nach Deutschland Einfuhr aus Deutschland
1860 25191 36 616
1861 25 239 37 902
1862 31484 41 521
1863 26 840 49167
1864 28146 42 230
1865 32 983 58 052
1866 35 836 78109
1867 42 036 104 545
1868 46 331 119 674
1869 55 915 136 634
1870 76 074 136 063


Im Jahre 1865 überflügelte die deutsche Ausfuhr nach Russland diejenige Englands und nahm seitdem im russischen Handel die erste Stelle ein, die es sich bis zum Ausbruche des Weltkrieges in immer steigendem Maße sicherte.

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Der mächtige politische Aufschwung, den Deutschland nach den Kriegen von 1864, 1866 und 1870 nahm, zeitigte auch auf handels­politischem und wirtschaftlichem Gebiete seine Wirkung. Der Zoll­verein, der seit 1834 nur ein loses Gefüge für die wirtschaftliche Einheit Deutschlands bildete, nahm durch den Vertrag vom 8. Juli 1867 festere Formen an.

Der wichtigste Passus desselben lautet: „Die Gesetzgebung über das gesamte Zollwesen wird durch ein gemein­schaftliches Organ der kontrahierenden Staaten und durch eine gemein­schaftliche Vertretung ihrer Bevölkerungen ausgeübt, die Überein­stimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Faktoren ist zu einem Vereinsgesetze erforderlich und ausreichend" <92>.

Damit verwandelte sich der deutsche Zollverein aus einem losen völkerrechtlichen Gebilde, in dem noch jeder Staat das liberum veto hatte, in ein staatsrecht­liches, deren gemeinschaftliche Organe, der Zollbundesrat und das Zollparlament, mit Stimmenmehrheit Beschlüsse fassten, die ohne weiteres für alle, dem Zollverein angeschlossenen Staaten bindend waren. -Die wirtschaftliche Einigung Deutschlands war hiermit be­endet, und als wenige Jahre später auch die politische Einigung erfolgte, als 1871 das deutsche Kaiserreich wiedererstand, wurde die Institution des Zollvereins einfach übernommen.

Artikel 40 der Reichsverfassung besagte nämlich: „Die Bestimmungen in dem Zollvereinsvertrage vom 8. Juli 1867 bleiben in Kraft, soweit sie nicht durch die Vorschriften dieser Verfassung abgeändert sind und solange sie nicht auf dem im Artikel 77 bzw. 78 bezeichneten Wege abgeändert werden." Seitdem der Zollverein von den Fesseln befreit war, die ihm das unbeschränkte Vetorecht jedes Kleinstaates bereitet hatte, wurde es ihm möglich, die freihändlerischen Zollpolitik, die damals besonders von den Agrariern gefordert wurde, noch entschiedener zu verfolgen. Im März 1868 wurde der Handelsvertrag mit Österreich abgeschlossen, der bedeutende Zollermäßigungen enthielt. Diese wurden noch im selben Jahre für alle Länder generalisiert, und in rascher Aufeinanderfolge wurden dann 1870 und 1873 weitere Schritte in der Durchführung des Freihandels unternommen, die 1877 mit der vollkommenen Abschaffung der Eisenzölle ihren Höhepunkt erreichten <93>.

Während also Deutschland seine Grenzen weit allen ausländischen Erzeugnissen öffnete, erhöhte Russland plötzlich seine Zollschranken um ein erhebliches. Im November 1876 erließ die russische Regierung ein Gesetz, demzufolge vom 1. Januar 1877 ab alle Zölle in Gold zu zahlen wären. Dies bedeutete nach dem damaligen Stande des Papierrubels eine Zollerhöhung von 33 %.

Die Gründe dieser Maßnahme waren auf finanziellem Gebiete zu suchen: Der mächtige wirtschaftliche Aufschwung, den Russland im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts nahm, hatte einen gewaltigen Strom ausländischen Kapitals ins Land gelenkt, das hauptsächlich dem Bau von Eisenbahnen diente. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre versiegte jedoch unter dem Einflüsse ungünstiger ökonomischer und besonders politischer Umstände der Krieg gegen die Türkei stand vor der Tür, dieser Zustrom ausländischen Geldes, ja ein bedeutender Teil der kurzfristigen Anleihen Floss sogar zurück.

Die bedeutenden Zinszahlungen, die Russland nun für seine langfristigen Anleihen an das Ausland noch zu zahlen hatte, hätten nur durch eine aktive Handelsbilanz erfolgen können, aber auch diese war im Laufe des letzten Jahrzehntes passiv geworden. Vom Jahre 1866 bis zum Jahre 1875 hatte sich nämlich die russische Ausfuhr von 212 auf 382 Millionen Rubel erhöht, die Einfuhr aber von 196 auf 531 Mill. Rubel <94>. Unter diesen Umständen entschloss sich der russische Finanzminister Reutern zur Einführung der Goldzolle, mittels derer er die Auslandszahlungen zu begleichen und die Einfuhr einzudämmen hoffte.

Natürlich erregte diese bedeutende Zollerhöhung in Deutschland, wo die Freihandelstheorie gerade ihren größten Triumph feierte, Befremdung. Eugen Richter fragte im Reichstage an, was der Reichskanzler dagegen zu tun gedenke. Bismarck fasste Gegenmaßregeln ins Auge und wollte Getreide, Holz und Vieh, die drei hauptsächlichsten Ausfuhrartikel Russlands, mit Retorsionszöllen belegen. Aber die freihändlerischen Mehrheit des deutschen Reichstages wollte aus reiner Prinzipienreiterei nichts von Kampfzöllen wissen. Dieses starre Festhalten an der freihändlerischen Doktrin, das just zu dem Zeitpunkte, da Deutschlands östlicher Nachbar seine Zollsätze bedeutend erhöhte und der westliche gar Exportprämien seiner Eisenindustrie zahlte, die Zölle für Eisen und Eisenwaren vollkommen wegfallen ließ, musste zu einer Reaktion führen.

Die unter der ausländischen Konkurrenz sowie unter den Folgen der „Gründerperiode" leidenden Industriellen entfachten eine lebhafte Agitation für den Schutzzoll und überschütteten den Reichskanzler mit Petitionen. Sie fanden Unterstützung bei den Agrariern, die sich ziemlich schnell aus radikalen Freihändlern in ebenso energische Vertreter des Schutzzolles verwandelten.

Diese Wandlung hatte ihre Ursache darin, dass mit der Verbesserung und Verbilligung der Verkehrsmittel die Konkurrenz Russlands und der überseeischen Länder der deutschen Landwirtschaft immer fühlbarer wurde. Die ersteren waren Deutschland gegenüber in Vorteil, weil sie ihre Landwirtschaft extensiver und deshalb billiger betrieben und der niedrigere Stand ihrer Valuta ihnen eine Art Exportprämie gewährte. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre verdrängten sie die deutschen Agrarprodukte nicht nur vom Weltmärkte, sondern drückten auch im Inlande die Preise derartig, dass von einer Rentabilität des hochbewerteten deutschen Grundbesitzes nicht mehr die Rede sein konnte.

Zur Krisis der Industrie gesellte sich die Agrarkrisis! Die Bestrebungen der Großindustriellen und der Großrundbesitzer fanden ihren Ausdruck in der „Allianz der Wirtschaftsreformer", die in der Folgezeit die Trägerin der schutzzöllnerische Bewegung wurde. Bismarck schenkte derselben, vor allem nach Abgang des freihändlerischen Ministers Delbrück, immer größere Beachtung. Was ihn schließlich zum Bruch mit der bisher verfolgten Freihandelspolitik führte, waren außer den erwähnten politischen und ökonomischen Gründen insbesondere die finanziellen <95>.

Bismarck wollte die steigenden Ausgaben des Reiches nicht durch weitere Erhöhung der Matrikularbeiträge decken, um die Finanzen der Einzelstaaten nicht zu sehr zu belasten und sich nicht ganz in die Hand des Parlaments, dass die Matrikularbeiträge alljährlich gewähren musste, zu begeben. Er sah nun in den Zöllen eine wichtige Einnahmequelle, durch die er unter Verzicht auf die bereits bedenklich angeschwollenen Matrikularbeiträge die Reichsfinanzen in Ordnung bringen konnte. Mit der ihm eigenen Energie führte der eiserne Kanzler den Kampf durch gegen das mächtige Freihändlertum und seine bedeutenden parlamentarischen Vertreter, wie Bamberger, Eugen Richter und Braun. Bereits im Juli 1879 gelang es ihm, im Reichstage eine Zweidrittelmajorität für seinen neuen Zolltarif zu erlangen, mit dem eine Ära der Schutzzollpolitik eingeleitet wurde.

Der Tarif des Jahres 1879 brachte zunächst einen allgemeinen, nicht allzu hohen Industrieschutz, so wurden die Zölle auf Eisen und Eisenwaren bedeutend erhöht und nach der Feinheit abgestuft. Ferner wurden die Finanzzölle vermehrt und erhöht, als wichtigster Finanzzollartikel wurde Petroleum mit 6 M. per 100 kg belegt und der Tabakzoll von 24 auf 85 M. für unbearbeiteten Tabak und von 120 auf 270 M. für Zigarren und Zigaretten erhöht. Als wichtigste Änderung aber brachte der neue Zolltarif die Wiedereinführung von Eingangszöllen auf Getreide, Holz, Vieh und tierische Produkte. Zwar waren die Zölle nur mäßig, sie betrugen für Getreide 1 M. per Scheffel, für Holz 0,25 M., für Talg 2 M. per 100 kg, für Pferde 10 M., Ochsen 20 M., Kühe 6 M., Schweine 2,50 M., Schafe 1 M. per Stück <95>, aber dennoch erregten sie in Russland, gegen welches sie ja auch in erster Linie gerichtet waren, großes Aufsehen.

Trotzdem die russische Regierung mit der Einführung der Goldzölle im Jahre 1876 zuerst den Weg der Zollerhöhungen beschritten hatte, glaubte sie nicht, dass Deutschland so schroff mit allen freihändlerischen Traditionen brechen und Rohstoffe und Nahrungsmittel, die ja die wichtigsten Ausfuhrartikel Russlands bildeten, mit Zöllen belegen würde. Russland ließ es nun auch nicht bei der Erhebung der Goldzölle sein Bewenden haben, sondern erhöhte, immer in dem Bestreben, eine aktive Handelsbilanz zu erzielen und mit dem Überschuss an Metallgeld die Zinsen seiner Auslandsanleihen zu bezahlen, von Jahr zu Jahr seine Zollmauern in einem Maße, wie es in der Geschichte der Handelspolitik einzig dasteht. Nachdem bereits 1877 die Zölle auf Lokomotiven und Musikinstrumente erhöht worden waren, erfolgte 1880 ein allgemeiner Zollzuschlag von 10 %, 1881 wurde Jute mit einem Zoll belegt, derjenige für Jutewaren und Zement erhöht, 1882 wurde eine ganze Reihe von Artikeln, insbesondere chemische und Farbstoffe-mit Zollerhöhung bedroht, 1884 wurde die Bestimmung erlassen, dass der Zoll auf Kohlen bis zum 1. März 1884 von 9 auf 15 Kop. steigen sollte.

Im Januar 1885 wurden die Zollsätze für Heringe, Tee, Weine und Öle erhöht, im März desselben Jahres für landwirtschaftliche Maschinen, im Mai für Eisen, Kupfer und daraus gefertigte Gegenstände, für landwirtschaftliche Geräte, Handwerkszeug und Maschinen außer landwirtschaftlichen, und schließlich erfolgte noch im Juni 1884 ein allgemeiner Zollzuschlag von 20%. 1886 wurde besonders die Einfuhr von Chemikalien erneut belastet, ebenso 1887, die Zollerhöhungen des Jahres 1887 betrafen außerdem Schmiedeeisen, für welches an der Seegrenze 25 Kop., an der Landgrenze 30 Kop. per Pud entrichtet werden musste, ferner Stahl, Hopfen, Baumwolle, landwirtschaftliche Maschinen, Heringe, Tee, Medikamente usw..

Nachdem noch 1889 die Zollschranken auf einige Rohprodukte ausgedehnt worden waren, wurde 1890 ein neuer allgemeiner Zuschlag von 20 Kop. Gold eingeführt. Schließlich wurde 1891 noch eine allgemeine Tarifrevision durchgeführt, die wieder Zollerhöhungen, insbesondere für Chemikalien, brachte <97>.

Übersieht man diese lange Reihe von Zollerhöhungen, so findet man, dass den deutschen Ausfuhrartikeln ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Folgende Tabelle veranschaulicht, in welchem Maße die hauptsächlich liebsten Ausfuhrgegenstände Deutschlands belastet wurden <98>. Es betrug der Zoll für:

Warenbezeichnung Einheit 1868 1891
Maschinen und Apparate Per Pud 30 – 75 Kopeken 70 – 480 Kopeken
Werkzeuge Per Pud 50 – 80 Kopeken 140 Kopeken
Sensen und Sicheln Per Pud 44 Kopeken 140 Kopeken
Messerwaren Per Pud 6 – 24 Rubel 16 – 32 Rubel
Eisenbahnwagen Per Stück 75 – 300 Rubel 160 – 465 Rubel
Equipagen Per Stück 1,10 – 70 Rubel 12 – 132 Rubel
Klaviere, Fortepianos, Orgeln Per Stück 40 Rubel 132 Rubel
Medikamente Per Pud 3 Rubel 20 Rubel
Anilinfarben Per Pud 4,40 Rubel 17 Rubel
Tinte Per Pud 1,10 Rubel 3 Rubel
Wein Per Pud 2,30 Rubel 4 Rubel
Kaffee Per Pud 1,50 Rubel 3 Rubel
Tabak, roh Per Pud 4,40 Rubel 15,40 Rubel
Seide Per Pud 0,50 Rubel 1 Rubel
Seide, gesponnen Per Pud 5 Rubel 30 – 40 Rubel
Seidenstoffe Per Pfund 3 – 5 Rubel 7,50 Rubel


Die deutsche Regierung beantwortete die unaufhörlichen Zollerhöhungen Russlands mit Repressivmaßnahmen, wie dem Verbote der Beleihung russischer Staatspapiere durch die Reichsbank, Erschwerung der Spirituseinfuhr und strengerer Handhabung der Viehseuchengesetze, vor allem aber durch die Tarifnovellen von 1885 und 1887, die wesentliche Zollerhöhungen auf Getreide, Holz und Vieh brachten. Im Folgenden geben wir ein Bild über die Zölle, denen die wichtigsten russischen Ausfuhrartikel damals in Deutschland unterworfen waren <99>. Sie betrugen für:

Warenbezeichnung 1879 1885 1887 Anzahl
Weizen 1,- Mark 3,- Mark 5,- Mark per 100 kg
Roggen 1,- Mark 3,- Mark 5,- Mark per 100 kg
Hafer 1,- Mark 1,50 Mark 4,- Mark per 100 kg
Gerste 0,50 Mark 1,50 Mark 2,25 Mark per 100 kg
Mais 0,50 Mark 1,- Mark 2,- Mark per 100 kg
Malz 1,20 Mark 3,- Mark 4,- Mark per 100 kg
Flachs, Hanf u. a. vegan Spinnstoffe 1,- Mark frei frei per 100 kg
Wolle frei frei frei per 100 kg
Leinsaat frei frei frei per 100 kg
Bau-, Nutzholz, gesägt 0,25 Mark 1,- Mark 1,- Mark per 100 kg
Pferde 10,- Mark 20,- Mark 20,- Mark per Stück
Ochsen 20,- Mark 30,- Mark 30,- Mark per Stück
Kühe 6,- Mark 6,- Mark 9,- Mark per Stück
Schweine 2,50 Mark 2,50 Mark 6,- Mark per Stück
Schafe 1,- Mark 1,- Mark 1,- Mark per 100 kg
Talg 2,- Mark 2,- Mark 2,- Mark per 100 kg
Borsten frei frei frei per 100 kg
Pottasche 1,50 Mark 1,50 Mark 1,50 Mark per 100 kg
Petroleum 6,- Mark 6,- Mark 6,- Mark per 100 kg
Spiritus 48,- Mark 48,- Mark 180,- Mark per 100 kg


In dieser Periode des Hochschutzzolles konnte sich natürlich der deutsch-russische Handelsverkehr nicht entwickeln, es betrug der Wert der deutschen <100>


Ausfuhr nach Russland Einfuhr aus Russland

(Spezialhandel in 1000 Mark)

Ausfuhr nach Russland Einfuhr aus Russland
1880 331378 231839
1881 335 331 200 605
1882 388 827 203 984
1883 408111 188363
1884 412140 167 917
1885 342 928 152 879
1886 264 334 148 354
1887 362 280 131596
1888 456 499 199 633
1889 351 797 196 899
1890 541 887 206 457
1891 580 396 262 605
1892 383 386 239 485


Zu Beginn der 90er Jahre hatten die Zollmauern der meisten europäischen Staaten sowie Nordamerikas eine derartige Höhe erreicht, dass sie ein schier unüberwindliches Hindernis für die auf Export angewiesene deutsche Industrie bildeten. Gleichzeitig machte sich in Deutschland, wo besonders nach der Missernte des Jahres 1891 die Lebensmittelpreise bedeutend stiegen, eine starke Opposition gegen die hohen Getreidezölle geltend.

Unter diesen Umständen entschloss sich die deutsche Regierung, an deren Spitze inzwischen Caprivi getreten war, Handelsverträge abzuschließen, durch die sie eine Herabsetzung und Bindung der ausländischen Zölle auf deutsche Fabrikate erreichte, dafür aber die eigenen Zölle auf fremde Agrarprodukte herabsetzte. Solche Handelsverträge kamen im Dezember 1891 mit Österreich, Italien, der Schweiz und Belgien, später auch mit Serbien, Spanien und Rumänien zustande.

Außerdem nahmen ver­miedene andere Staaten wie England, Amerika und Argentinien, infolge der gegenseitig zugestandenen Meistbegünstigung, an den Zollermäßigungen teil. Für Russland bedeuteten diese Abmachungen insofern eine Schädigung, als durch dieselben die anderen Agrarländer in die Lage versetzt wurden, ihre Produkte billiger auf den deutschen Markt zu bringen als Russland. Dieses zahlte z. B. für 100 kg Weizen oder Roggen einen Zoll von 5,- Mark, die anderen Länder nach dem Konventionaltarif nur 3,50 Mark. Bereits im No­vember 1891 hatte Russland Schritte unternommen, um an den Zoll­vergünstigungen teilzunehmen, die Verhandlungen waren aber ge­scheitert, da Russland seine Zölle wohl für einige Zeit binden, aber nicht ermäßigen wollte, wie Deutschland es als Entgelt für die Gewährung seines Konventionaltarifes verlangte <101>.

Im folgenden Jahre zeigte Russland kein besonderes Interesse daran, da infolge von Missernten Hungersnot im Lande herrschte und an eine Getreide­ausfuhr nicht zu denken war. Im Juli 1893 schlug die russische Regierung wieder kommissarische Verhandlungen vor. Um Deutsch­land gefügiger zu machen, hatte sie kurz vorher, am 1. Juni 1893, einen Maximaltarif geschaffen, der all den Ländern gegenüber an­gewendet werden sollte, die Russland keine Meistbegünstigung ge­währten. In diesem Maximaltarif waren die Zölle auf Fabrikate um 30%, auf Halbfabrikate um 20% und Kolonialwaren um 15 % höher bemessen als im Tarif von 1891.

Über die Anwendung dieses Tarifes aber sollte jedem einzelnen Lande gegenüber ein be­sonderer Beschluß gefaßt werden. Es blieb hier also noch bei der Drohung mit der Zollerhöhung. Außerdem aber schloss Russland am 30. Juni 1893 einen Vertrag mit Frankreich, durch den letzteres seinen Petroleumzoll auf die Hälfte herabsetzte, Russland dagegen für eine ganze Reihe von Fabrikaten seine Zollsätze um 10 - 25 % ermäßigte. Diese Zollermäßigungen wurden auch allen anderen Staaten gegenüber, außer Deutschland, Österreich und Portugal an­gewendet <102>.

Deutschland sollte erst für Gewährung seines Konventionaltarifs diese Konzessionen erhalten. Die deutsche Re­gierung hielt dieselben aber für ungenügend und beharrte auf ihren ersten Forderungen, nämlich Erleichterungen im Grenzverkehr, Be­seitigung der Differentialzölle und größere Zollermäßigung auf die wichtigsten deutschen Exportartikel. Russland gab nicht nach und versuchte seine Forderungen mit Repressalien durchzusetzen. Ab 1. August 1893 setzte es seinen Maximaltarif Deutschland gegen­über in Kraft. Dieses antwortete prompt mit einer Zuschlagsabgabe von 50% auf die russische Einfuhr. Daraufhin erhöhte Russland seine Zollsätze auf deutsche Waren abermals um 50% und steigerte die Hafenabgaben für deutsche Schiffe von 5 Kop. auf 1 Rubel pro Last <2 Tonnen>, der deutsch-russische Zollkrieg war entbrannt!

Na­türlich litten beide Seiten darunter, Russlands Stellung als Getreidelieferant Deutschlands wurde allmählich von den Vereinigten Staaten von Amerika, Argentinien, Rumänien und Österreich-Ungarn eingenommen, und der deutsche Export nach Russland verringerte sich zusehends. Folgende Tabellen illustrieren dies <103>.

Deutschlands Einfuhr

(in Mengen von 100 kg netto).

1891 1892 1893
An Weizen
aus Russland 7680290 1464435 216326
Vereinigte Staaten von Amerika 2 536407 6582354 3149282
Rumänien 752013 974008 1435778
Argentinien 220 759 982159 1513961
An Roggen
aus Russland 7293340 794832 992351
Vereinigte Staaten von Amerika 807493 1329194 181949
Rumänien 254163 275160 527400
An Gerste
aus Russland 3074219 1830266 2492 748
Rumänien 580 682 711335 2027244
Österreich-Ungarn 2841699 2781822 3 730658
An Hafer
aus Russland 1363424 91372 83608
Vereinigte Staaten von Amerika 53332 424087
Rumänien 470 63684 876026
Österreich-Ungarn 121367 625 328 574587


Deutsche Ausfuhr nach Russland.

(Mengen in 100 kg netto.)

Warenbezeichnung 1891 1892 1893
bis 31. Juli seit 1. August
Baumwolle und Baumwollwaren 50020 40471 18284 4988
Blei und Bleiwaren 42508 55625 37569 11652
Apotheker- und Farbwaren 327203 355644 157924 68500
Eisen und Eisenwaren 571923 521588 543781 130100
Erden, Erze, edle Metalle, Asbest 475452 603774 312123 176883
Getreide und Produkte 73147 99460 55030 17 443
Hopfen 3989 2824 813 245
Instrumente, Maschinen u. Fahrzeuge 130942 126307 86790 43782
Kupfer usw. und -Waren 21979 31000 39840 6063
Kurzwaren 2953 2213 2943 916
Lederwaren 3578 2603 1534 517
Leinenwaren 2414 1945 1049 364
öle und Fette 7105 9173 2904 672
Papier und Pappwaren 26001 19483 6804 4444
Seide und Seidenwaren 4777 3707 2361 165
Tonwaren 148394 170116 101238 72990
Wolle und Wollwaren 34322 29431 32185 9621
Zink und Zinkwaren 42003 38540 35530 5264
Zinn und Zinnwaren 814 1215 283 67


Dieser unhaltbare Zustand, der die so natürliche Arbeitsteilung zwischen dem industriellen Deutschland und dem agrarischen Russland vollkommen zu unterbinden drohte, erregte schließlich hüben und drüben große Unzufriedenheit. In der offiziellen deutschen Denkschrift heißt es: „Angesichts dieser Sachlage haben der Handel und die Industrie Deutschlands auf das nachdrücklichste bekundet, dass sie das allergrößte Gewicht darauflegen, von den Fesseln, die der von Russland hervorgerufene Zollkrieg ihnen angelegt, so schnell wie irgend möglich wieder befreit zu werden" <104>.

Und der russische Finanzminister Graf Witte bemerkte in einer im August 1893 zu Nishni-Nowgorod gehaltenen Rede: „In jedem Fall ist es uns zweifelhaft, dass die bestehende Lage der Dinge nur allein für die Konkurrenten Deutschlands und Russlands vorteilhaft ist. Aber kein Unglück ohne Glück! Die gegenwärtigen Ereignisse haben mit voller Kraft gezeigt, wie sehr das öffentliche Bewusstsein in Deutschland und Russland nach Frieden und Ruhe dürstet. Dies ist unzweifelhaft eine sehr tröstliche Tatsache, und bei dem Vorhandensein einer solchen Tatsache kann man hoffen, dass die gesunde Vernunft triumphieren und ein auf dem Boden der Achtung der gegenseitigen Interessen beruhendes Übereinkommen schaffen wird" <105>.

Die gesunde Vernunft siegte auch schließlich, trotz der wütenden Opposition der sich zum Bunde der Landwirte zusammenschließenden deutschen Agrarier und der langen Protestresolutionen der russischen Wollindustriellen. Am 1. Oktober 1893 wurden in Berlin erneut die Verhandlungen zwischen den Vertretern der deutschen und russischen Regierungen ausgenommen und diesmal auch glücklich zum Abschluss gebracht. Der neue Handelsvertrag wurde am 10. Februar 1894 unterschrieben und trat am 20. März desselben Jahres in Kraft.

[bearbeiten]

Die Bestimmungen des Vertrages lehnen sich im Allgemeinen an die Systematik der neuen deutschen Handelsverträge an, zum Teil jedoch unter Berücksichtigung derjenigen Verträge, welche Russland früher mit anderen Staaten abgeschlossen hat <106>.

Artikel 1 enthält den Grundsatz der Gleichstellung der Angehörigen des fremden Staates mit den Einheimischen in Bezug auf Handel- und Gewerbebetrieb, unter Zusicherung der Meistbegünstigung und mit der Maßgabe, dass die Landesgesetze auf die Fremden Anwendung finden sollen. Hierzu ist im Schluss Protokoll die Meistbegünstigung noch ausdrücklich hinsichtlich des Passwesens ausbedungen.

Durch Artikel 5 verpflichten sich die vertragschließenden Teile von Ausfuhr- und Einfuhrverboten im allgemeinen Abstand zu nehmen, sowie den Transitverkehr auf den demselben geöffneten Wegen zuzulassen. Nur für Artikel, welche Gegenstand eines Staatsmonopols bilden, sind Ausnahmen von diesen Bestimmungen zulässig, desgleichen im Interesse der Gesundheits- und der Veterinärpolizei, ferner der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen schwerwiegenden Gründen.

Artikel 6 sichert den beiderseitigen Boden- und Gewerbeerzeugnissen generell die Meistbegünstigung zu hinsichtlich der Zollbehandlung, einschließlich des Verkehrs in zollamtlichen Niederlagen und des Wiederausfuhr- und Transitverkehrs.

Hierzu enthält das Schlussprotokoll die Verpflichtung russischerseits, dass mit dem Tage des Inkrafttretens des Vertrages die bestehenden Unterscheidungszölle (für Kohle, Koks, Baumwolle, Roheisen) bei der Einfuhr über die Landgrenze bzw. die baltischen Häfen Russlands fallen und künftighin derartige Unterscheidungszolle auf der deutschen Grenze Russlands für die Vertragsdauer ausgeschlossen sein sollen. Deutscherseits wird in dem Schlussprotokoll die Verpflichtung übernommen, unbeschadet der Aufrechterhaltung einiger geringfügigen bestehenden Unterscheidungszölle für den Land- bzw. Seeweg an der russischen Grenze, keine höheren Eingangszeile zu erheben wie an den übrigen Grenzen.

Durch Artikel 8 wird ausbedungen, dass die Waren des einen vertragschließenden Teiles unter keinen Umständen in dem Gebiete des anderen Teiles mit Staats- und Gemeindeabgaben schwerer belastet werden dürfen als die einheimischen.

Artikel 10 schließt alle Durchfuhrabgaben aus.

Artikel 13 - 17 regeln die Rechte der beiderseitigen Schiffe, und zwar im allgemeinen auf der Basis der Gleichstellung der fremden Flagge mit der einheimischen und unter Wahrung der Meistbegünstigung. Für die Küstenschifffahrt sollen die Landesgesetze maßgebend sein. Auch die Fischerei ist von der Gleich­stellung mit der einheimischen ausgeschlossen.

Artikel 19 behält im Eisenbahnverkehr beiden Reichen die unbeschränkte Freiheit zur Ausgestaltung ihrer Tarife vor. Die bestehenden Tarife müssen indessen auf die Angehörigen beider Reiche gleichmäßig angewendet werden. Die Bestimmungen des Schlussprotokolls zu Artikel 19 bezwecken insbesondere den deutschen Ostseehäfen Danzig, Königsberg und Memel die Teilnahme an der überseeischen Vermittlung des Verkehrs nach und von Russland zu wahren, es ist daher die weitere Ausbildung direkter Eisenbahn­tarife zwischen diesen Häfen und russischen Plätzen nach dem hervortretenden Bedürfnis in Aussicht genommen. Hierbei sollten auf den im Staatsbesitz befindlichen Eisenbahnen die Frachtsätze für Ge­treideartikel, sowie für Hanf und Flachs der russischen Ausfuhr bis zu den genannten Häfen durchgerechnet und gleichmäßig verteilt werden, und zwar nach denselben Grundsätzen, wie dieselben für den russischen Eisenbahnverkehr nach Libau und Riga jeweilig maßgebend sind.

Artikel 20 bestimmt die Dauer des Vertrages vom 20. März 1894 bis zum 31. Dezember 1904. Im Falle keiner der vertrag­schließenden Teile 12 Monate vor dem Eintritt des letzten Termins seine Absicht, die Wirkungen des Vertrages aufhören zu lassen, kundgibt, soll dieser in Geltung bleiben bis zum Ablaufe eines Jahres von dem Tage ab, wo der eine oder der andere der vertrag­schließenden Teile ihn kündigt.

Außer diesen wichtigen Zugeständnissen, die unter anderen auch den Mitgenuss der Frankreich gewährten Begünstigungen in sich schloss, umfasste der Vertrag noch eine große Anzahl von Zollermäßigungen und Bindungen. Russischerseits lag denselben der Zolltarif vom 11. Juli 1891 zugrunde, so dass also beim Inkrafttreten des Vertrages nicht nur der 50 prozentige Kampfzollzuschlag in Wegfall kam, sondern auch die 20 – 30 prozentigen Zuschläge, durch welche der 1891er Tarif zum Maximaltarif ausgestaltet wurde. Von den 218 Zollsätzen des Tarifes vom 11. Juni 1891 wurden 71 teils ermäßigt, teils gebunden. Folgende besonders wichtige deutsche Ausfuhrartikel betreffende Zollermäßigung seien hervorgehoben:

Gegenstand Einheit Russ. Tarif von 1891 Neuer russ. Konv.-Tarif
(Rubel)
Hopfen Pud 10,- 3,50
Leder, gepresst, lackiert Pud 15,- 12,-
Tischlers, Drechsl.-Arbeiten aus ord. Holz Pud 0,70 0,55
Kohlen (westl. Landgrenze) Pud 0,02 0,01
Koks (westl. Landgrenze) Pud 0,03 0,15
Chemische und pharmazeutische Produkte Pud 2,40 1,50
Farbstoffe Pud 17,- 14,-
Eisen Pud 0,35 – 1,00 0,30 –0,80
Blech Pud 1,70 1,55
Stahl Pud 0,60 – 1,00 0,50 –0,80
Zink Pud 0,50 0,45
Kupferfabr. ohne Relief ungraviert Pud 4,80 4,32
Kupferfabr. mit Relief graviert Pud 16,- 3,60
Gusseisen Pud 0,75 0.60
Eisen- und Stahlfabrikate Pud 1,70 1,40
Blechfabrikate Pud 3,- 2,25
Messerwaren Pud 16,- 13,-
Sensen, Sicheln usw. Pud 1,40 1,10
Handwerkszeuge Pud 1,40 1,10
Maschinen aus Eisen, Stahl, n. bes. gen. Pud 1,70 1,40
Landwirtschaftliche Maschinen und Geräte Pud 0,74 0,50
Lokomotiven Pud 2,- 1,80
Uhrwerk Stück 1,00 - 2,50 0,60 - 1,50
Flügel, Orgeln Stück 132,- 112,—
Pianinos Stück 80,- 64,-
Andere mus. Instrumente, Zubehöre Pfund 0,20 0,10
Schreib-, Zigarettenpapier Pud 10,60 8,75
Wolle Pud 5,50 - 12.00 4,50 – 11,40
Wollwaren Pfund 1,20 - 1,50 1,05
Baumwollwaren Pfund 1,- 0.50
Schnüre, Bänder usw., seidene Pfund 3,- 1,90
Schnüre, Bänder usw., alle anderen Pfund 1,- 0,60
Spitzen Pfund 3,50 3,15
Galanteriewaren Pfund 0,50 - 2,00 0,40 – 1,80
Bleistifte Pfund 0,40 0,35


Deutschland hingegen gewährte Russland die Zollsätze seines Vertragszolltarifes, von denen 27 ganz oder teilweise für die Dauer des Vertrages gebunden wurden. Über den Vertragszolltarif vom 1. Februar 1892 hinaus wurden Russland Zugeständnisse gemacht in der Zollbindung für Lumpen, Asbest, Pappe und Papier aus Asbest, nicht besonders genannte vegetabile Spinnstoffe, Stuhlrohr, Hornstäbe, Maschinen ganz oder überwiegend aus Holz, Kaviar, Fischspeck, Knochenfett und sonstiges anderweit nicht genanntes Tierfett, Pech und Harze, Tuchleisten, grobe Filze und bedruckte Wollwaren. Außerdem wurde unter Aufrechterhaltung der Autonomie des Zollsatzes die alternative Verzollung der gereinigten Mineralleuchtöle nach Hohl- oder Gewichtsmass bewilligt, was für Russland insofern von Bedeutung war, als das russische Petroleum schwerer ist als das amerikanische und bei einer Verzollung nach Litern besser wegkommt. Die wichtigsten Zollermäßigungen, die Russland durch den Vertrag erlangte, sind folgende <107>:

1887 1894
Weizen   per 100 kg 5,- 3,50
Roggen per 100 kg 5,- 3,50
Hafer per 100 kg 4,- 2,80
Gerste per 100 kg 2,25 2,-
Mais per 100 kg 2,- 1,60
Malz per 100 kg 4,- 3,60
Bau- u. Nutzholz, gesägt per 100 kg 1,- 0,80
Ochsen per Stück 30,- 25,50
Schweine per Stück 6,- 5,-
Schweinefleisch per 100 kg 20,- 17,-
Anderes frisches Fleisch per 100 kg 20,- 15,-
Butter per 100 kg 20,- 16,-
Eier per 100 kg        3,- 2,-


Nach der Meinung Professor BalIods begünstigte der Handelsvertrag vom Jahre 1894 die russische Ausfuhr nach Deutschland mehr als die Ausfuhr deutscher Industrieprodukte nach Russland <108>. Seinen Berechnungen zufolge betrug der Zoll auf den wichtigsten Ausfuhrartikel Russlands, Getreide, im Durchschnitt 29,7% des Wertes, dagegen war der russische Zoll auf die wichtigsten deutschen Ausfuhrwaren, Eisen und Maschinen, mit 52,9% nahezu doppelt so hoch, die russischen Zölle auf Farbwaren, fertige Gewebe, Wäsche, Kleider, Papier, Zucker wären mit 100—300 % geradezu prohibitiv. Nichtsdestoweniger zeigten sich gerade die deutschen Industriekreise über das Zustandekommen des Vertrages äußerst zufrieden, als dessen Hauptvorteil sie die Gewährung einer größeren Stabilität der Zoll-Verhältnisse ansahen <109>. In ihren Erwartungen wurden sie auch nicht getäuscht, denn die Ausfuhr deutscher Industrieerzeugnisse nach Russland, namentlich von Eisen und Maschinen, nahmen in den nächsten Jahren einen ungeheuren Aufschwung. Andererseits gelang es auch Russland, bald seine dominierende Stellung in Deutschlands Getreideversorgung wieder einzunehmen. Die Statistik gibt uns ein deutliches Bild von der günstigen Wirkung des Handelsvertrages auf den deutsch-russischen Handelsverkehr, trotzdem die Ergebnisse der deutschen Reichsstatistik erheblich von denjenigen der russischen abweichen, wie folgende Tabelle zeigt:


Deutsch-russischer Warenverkehr im Spezialhandel

(ohne Edelmetalle.)

Jahr Deutsche Statistik Russische Statistik
Einfuhr aus Ausfuhr nach Ausfuhr nach Einfuhr aus
Russland Deutschland
(in Millionen Mark) (in Millionen Mark)
1893 352,4 135,5 286,4 218,6
1894 493,3 170,6 319,4 308,8
1895                 ' 567,9 207,8 387,2 379,4
1896 628,2 231,6 397,5 410,8
1897 698,4 241,3 378,6 388,5
1898 725,3 273,2 387,6 436,7
1899 620,7 325,1 353,3 498,7
1900 670,7 313,0 405,3 468,4
1901 668,7 301,8 386,3 455,7
1902 758,9 299,5 438,8 430,3
1903 822,3 323,4 502,1 509,1
1904 804,9 300,1 507,2 492,8
1905 972,5 346,3 551,4 519,3


Die russische Ausfuhr gibt für die Ausfuhr viel niedrigere Zahlen, für die Einfuhr dagegen höhere an als die deutsche. Namentlich differieren die russischen Exportziffern gegenüber denen des deutschen Imports. Das hat seinen Grund darin, dass ein großer Teil der russischen Ausfuhr nach Deutschland auf dem Seewege über Holland, Belgien usw. geht, in der russischen Statistik figuriert er nun als Ausfuhr nach Holland, Belgien usw., in der deutschen aber als Einfuhr aus Russland. Die Zahlen der russischen Einfuhr und der deutschen Ausfuhr differieren in den beiden Statistiken nicht zu sehr in den Mengen als in den Werten <111>.

Dies rührt daher, dass im Gegensatz zu der in Deutschland üblichen amtlichen Besetzung von Einheitswerten für die einzelnen Warengruppen in Russland die Importeure selbst den Wert der Warenangeben und meist Zoll und Fracht zum Kaufpreis zuschlagen.  Der deutschen Reichs­statistik nach gestaltete sich der Güteraustausch während der Wirkungszeit des deutsch-russischen Handelsvertrages vom Jahre 1894 wie folgt:

Deutsche Ausfuhr nach Russland.

(Wert in Millionen Mark.)

Warenbezeichnung 1890 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905
Eisenwaren 8,9 11,3 15,3 16,1 22,2 26,9 25,7 33,0 31,0 31,7 28,0 33,3
Maschinen und Maschinenteile, außer Lokomotiven, Lokomobilen, Nähmaschinen usw. 13,5 17,4 22,1 22,4 30,1 41,2 37,4 27,8 21,5 25,3 26,5 26,3
Rohes Silber 21,7 11,4 13,9 16,3 15,3 11,0 9,2 13,0 7,2 4,6 10,2 20,4
Rohe Baumwolle 2,0 5,5 7,9 5,9 5,7 8,3 11,4 8,1 8,9 14,5 14,7 12,3
Grüne und gesalzene Rindshäute 4,0 5,8 4,0 4,0 5,2 8,0 7,4 8,7 12,5 12,4 11,5 11,8
Steinkohlen 1,4 1,5 2,1 4,0 5,2 6,6 10,1 9,9 6,4 6,7 6,6 11,2
Kautschuk- und Guttapercha 0,9 0,6 0,6 2,8 3,8 17,3 10,2 1,1 3,6 6,7 5,3 10,8
Artilleriezündungen, Patronen usw. - - 0,1 - 0,1 0,3 0,1 0,3 - 0,2 0,3 10,5
Handschuhleder, lackiert und gefärbt 1,5 1,6 1,7 2,3 2,6 3,3 3,8 5,4 7,2 8,8 7,7 9,4
Häute und Felle zur Pelzwerkvorbereitung 6,6 6,0 6,7 6,7 5,7 7,0 6,6 8,2 8,0 9,6 7,1 8,9
Rohe Schafwolle 4,4 7,1 3,9 4,6 6,2 4,6 4,2 6,1 9,0 9,8 6,1 8,6
Anilinöl, anilinmalze usw. 1,1 1,2 1,8 2,1 2,7 2,4 2,3 2,6 3,5 6,0 5,8 7,3
Waren aus edlen Metallen usw. - - 2,7 5,0 5,4 6,0 6,0 5,6 6,8 8,1 8,3 7,1
Insekten-, Pflanzen-, Abfallwachs 0,2 0,3 0,2 1,7 3,0 3,4 4,6 4,2 4,2 3,4 3,7 5,6
Bücher, Karten, Musikalien 3,9 4,5 5,5 5,7 6,9 7,3 7,3 7,3 6,9 6,5 7,5 5,6
Wollengarn aus hartem Kammgarn 4,9 3,4 2,4 3,3 6,7 6,9 5,2 10,0 12,1 9,0 5,5 5,2
Roggen - - 0,2 0,4 0,9 0.6 0,1 0.7 0,7 0,6 2.0 4.5
Laibwäsche, Baumwollen und Leinen 0,2 0,4 0,8 1,3 2,8 3.7 4.2 3.9 2.9 3.7 4.1 4.5
Elektrische Kabel                                   1.0 0,7 . 1,4 2,9 4,3
Wollene Tuche- und Zeugwaren, unbedruckt 1,9 1,6 1,9 2,2 2,2 2,6 3,2 1,9 4,2
Grüne und gesalzene Roßhäute 1,2 1,6 0,8 0,8 1,0 1,4 2,7 3,2 11,5 4.3
Feine Waren aus Messing und anderen Kupferlegierungen 2,3 2,9 3,4 3,7 4,1 3,7 4,0 3,5 3,7
Rohes Zink 1,6 1,8 1,7 2,7 3,5 4,6 3,4 3,9 3,2 3,2 4,2 3,7
Anilin und andere Teerfarbstoffe 2,1 2,6 2,9 2,6 3,4 2,8 2,4 2,4 2,6 2,6 3,9 3,7
Koks 2,1 2,2 3,1 2,8 4,0 5,2 5,4 4,4 3,5 4,0 3,9 3,6
Lokomotiven, Lokomobilien usw. 1,0 2,4 7,8 5,3 3,1 6,2 5,0 4,3 3,5 3,6 3,7 3,2
Rohes Blei, Bruchblei, Bleiabfälle 0,5 0,7 0,7 0,8 1,2 1,9 1,7 1,2 1,0 1,9 1,4 3,1


Deutsche Einfuhr aus Russland.

(Wert in Millionen Mark.)

Waren-bezeichnung 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905
Weizen 27,1 70,2 98,0 55,6 67,9 52,7 89,3 79,7 80,7 101,1 121,4 144,4
Gerste 38,2 47,7 41,5 40,6 65,2 57,0 39,3 50,5 72,8 105,6 101,5 115,8
Rohes Gold - 0,3 4,8 0,1 0,1 0,1 1,5 - - 1,8 7,6 101,1
Hafer 26,0 19,2 38,2 41,4 24,7 14,0 38,9 40,1 39,9 37,8 28,9 96,1
Bau- und Nutzholz 52,3 64,4 77,5 98,6 115,0 84,3 61 47,7 40,1 54,7 58,5 70,8
Eier von Geflügel, Eigelb 25,3 34,7 35,3 30,1 35,9 37,4 40,2 41,6 47,4 55,2 55,0 59,4
Roggen 44,3 69,0 63,0 55,6 67,9 52,7 89,3 79,7 90,5 72,6 44,5 56,9
Kleie 13,1 13,2 21,4 19,8 16,0 22,1 34,2 36,8 30,5 38,6 45,6 47,0
Flachs, gebr., gestanzt Häute und Felle zur Pelzwerkvorbereitung 15,6 16.9 12.2 13,8 16,3 15,3 21,4 19,2 28,3 29,2 28,6 32.7
Lebendes Federvieh 8,4 9,2 8,8 15,3 17,4 19,8 18,3 18,9 22,8 27,3 20,3 28,9
Milchbutter, frisch und gesalzen 3,1 2.7 2.5 3.9 3,1 3,5 5,3 7,4 6,9 13,4 21,3 23.0
Ölkuchen 7,7 6,7 8,4 13,2 15,0 15,1 17,6 15,0 13,5 14,7 17,0 20,2
Gekalkte und getrocknete Kalbsfelle 6,0 9,8 7,3 9,4 10,6 11,7 13,5 13,8 17,3 11,3 16,4 19,4
Borsten 9,6 12,1 12,3 - 9,6 10,8 11,4 12,4 15,7 15,0 15,9 13,8
Erbsen 8,7 7,9 8,2 12,0 8,9 7,0 7,3 7,9 7,6 10,0 9,8 13,1
Hanf 16,0 18,9 17,1 13,6 13,4 14,3 14,0 14,6 12,2 11,8 11,1 12,0
Rohes Silber - - 0,2 0,1 - 0,1 - - - - 3,4 9,9
Leinsaat 12,9 20,2 26,2 27,6 19,4 20,4 28,3 15,9 12,8 9,4 7,8 9,6
Mineral. Schmieröle 4,7 6,3 7,0 6,9 8,1 9,5 12,2 10,4 10,8 10,3 10,0 9,5
Blasen, Därme, nicht zum Genuss 3,1 3,1 3,6 5,3 4,7 8,7 8,9 9,8 9,3 9,7 9,5 9,0
Schweine außer Spanferkel 5,4 6,3 5,4 5,4 5,7 4,9 5,0 7,3 8,4 8,3 7,2 8,3
Arbeitspferde, leichte 11,0 14,0 12,7 14,8 17,6 18,1 15,4 13,2 13,7 9,2 4,0 8,5
Linsen 0,8 1,3 1,8 2,6 2,0 3,0 3,5 2,8 3,3 3,7 4,5 7,2
Kaviar, Kaviarersatz 2,0 3,1 3,3 4,4 4,4 5,0 5,7 6,0 5,3 6,7 7,2 6,8
Petroleum, raffiniert 1,3 4,1 2,8 1,5 3,0 7,2 8,6 6,8 7,8 9,7 8,2 6,7
Manganerze 0,3 0,4 1,7 2,0 3,1 6,9 7.0 6.9 7,0 6,1 4,7 6,4
Heede (Werg) 4,0 4,6 6,3 5,8 5,6 4,9 6,3 6,6 6,8 6,9 5,7 5,5
Klee, Esparsette-Luzerne usw. – Saat 4,5 5,8 6,7 4,5 7,4 6,4 6,0 7,0 10,8 12,2 12,3 5,4
Rohe beharrte Scharffelle 2,0 2,7 3,2 3,1 5,2 4,9
Rohe beharrte Ziegenfelle
Raps, Rübsaat usw. 4,2 6,7 8,0 5,1 3,3 4,4 5,5 3,4 2,6 4,0 1,6 3,7
Platinerze 0,2 0,3 2,6 3,1 3,6 3,2 2,8 3,5 3,9 2,5 2,9 3,6
Pferdehaar, roh, gehechelt 1,8 2,2 1,4 2,6 3,2 2,5 2,7 1,8 2,6 2,2 3,0 3,5
Mais 8,4 3,0 3,9 5,2 12,0 10,6 5,5 7,1 33,3 9,6 8,9 3,5
Rohe Bettfedern 2,1 2,5 3,1 2,9 3,2 3,1 4,2 2,9 2,9 3,4 3,7 3,4
Schleifholz, Holz- und Zellstofffabrikate 0,1 0,2 0,4 0,4 1,0 0,6 0,6 1,5 1,0 1,3 2,0 3,2
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Geraume Zeit schon vor Ablauf des deutsch-russischen Handelsvertrages von 1894 trafen sowohl die deutsche als auch die russische Regierung umfassende Vorbereitungen zu seiner Erneuerung. Diese Vorbereitungen gipfelten bei beiden Staaten in der Aufstellung von neuen bedeutend erhöhten Zolltarifen, die die Grundlage für die künftigen Verhandlungen bilden und denjenigen Staaten gegenüber in Anwendung gebracht werden sollten, mit denen ein Vertragsverhältnis nicht zustande kommen würde.

Die hohen Zollsätze dieser Tarife stellten also gewissermaßen Trümpfe dar, die erst im Verlaufe der Verhandlungen nach Maßgabe der gegenseitigen Zugeständnisse ausgespielt werden sollten. Nur für die wichtigsten Getreidearten Roggen, Weizen, Spelz, Gerste und Hafer waren im deutschen Zolltarifgesetz vom 25. Dezember 1902 diejenigen Sätze besonders angegeben, unter welche die Zollsätze des Tarifes durch vertragsmäßige Abmachungen nicht ermäßigt werden sollten. Diese Festsetzung von Minimalzöllen wurde amtlich damit begründet, dass „Deutschlands künftige Handelspolitik von dem Grundsätze auszugehen habe, dass ihre Maßnahmen zugunsten der Ausfuhrindustrie nicht zu einer Beeinträchtigung des für die Erhaltung des Ackerbau es unentbehrlichen Zollschutzes führen dürfe" <114>.

In der Tat hatte sich die Lage der deutschen Landwirtschaft infolge der immer größer werdenden Konkurrenz der extensiver und deshalb billiger arbeitenden überseeischen Agrarländer so verschlechtert, dass ein verstärktet Zollschutz unentbehrlich schien, falls Deutschlands Getreideversorgung nicht in gänzliche Abhängigkeit vom Auslande geraten sollte. Aber durch die Festsetzung von verhältnismäßig hohen Minimalzöllen für Getreide wurden die Verhandlungen mit Russland sehr erschwert. Denn auch die russische Regierung hatte, nachdem sie schon im Jahre 1900 fast alle ungebundenen Zollsätze erhöht hatte, am 13. Januar 1903 einen allgemeinen Zolltarif erlassen, der abermals bedeutende Steigerungen der Industriezölle und auch wieder Differenzialzölle für See- und Landeinfuhr brachte <115>.

Milderungen wollte die russische Regierung nur in dem Maße zugestehen, als der Ausfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen Russlands bedeutsame Erleichterungen zugestanden würden. Da die deutschen Unterhändler gerade hierin kein Entgegenkommen zeigen konnten, so drohten die Verhandlungen mehr als einmal auf einen toten Strang zu geraten. Nachdem im Juli 1903 die erste Konferenz der deutschen und russischen Delegierten in Petersburg resultatlos verlaufen war, führte auch die zweite in Berlin im November desselben Jahres stattfindende Beratung zu keinem Ergebnis. Erst im Sommer 1904 kam es in Norderney zu einer Einigung zwischen dem Reichskanzler Bülow und dem russischen Ministerpräsidenten Witte. Am 15. Juli wurde der Vertrag unterschrieben, der spätestens am 1. Juli 1906 in Kraft und bis zum 31. Dezember 1917 Geltung haben sollte.

In diesem Vertrage hielt Deutschland seine Minimalzölle für Getreide aufrecht, die im Vergleich zum Tarife von 1894 für Roggen eine Erhöhung um 43%, für Weizen um 57%, für Hafer um 76% und für Gerste um 100% bedeuteten. Von anderen landwirtschaftlichen Zöllen wurde der Butterzoll von 16 auf 20 M., der Hopfenzoll von 14 auf 20 M. erhöht. Letzterer war im autonomen Zolltarife mit 70 M. angesetzt, musste aber auf Drängen Russlands so weit ermäßigt werden. Unverändert blieben die Zölle für Erbsen, Linsen, Futterbohnen, Rübsen, Raps und Eier. Wirkliche Zugeständnisse machte Deutschland nur bei Futtergerste und bei Holz. Dagegen erhöhte Russland seine Zölle auf Eisenwaren, Maschinen, insbesondere Lokomotiven, Dampfmaschinen, Dampfpumpen, auch auf viele chemische Artikel.

Von letzteren blieben unverändert die Zollsätze für Zement, Anilin und Alizarinfarben. Ermäßigt wurden dagegen die Zölle für landwirtschaftliche Maschinen und Geräte, insbesondere Lokomobilen mit Dreschmaschinen und Dampfpflügen. Im russischen Tarif wurden die Zollsätze für rund 50% der Ausfuhr aus Deutschland gebunden, während die Bindungen des deutschen Zolltarifes etwa 74% der Einfuhr aus Russland betrafen. Für die wichtigsten deutschen Ausfuhrartikel stellten sich die russischen Zölle wie folgt <116>:

Nr. Warenbezeichnung Einheit Russ. Vertrags-tarif von 1904 Vorher v. Deutschland gezahlter Zoll
(Rubel)
57 Lederwaren Pfund 2,70 1,05
65 Zement aller Art Pud 0,12 0,12
75 Fayencewaren Pud 1,65 – 4,95 1,65 – 4,95
76 Porzellanwaren Pud 7,00 – 17,50 4,95 – 19,08
112 Chem.- pharm. Erzeugnisse Pud 4,- 2,25
128 Indigo Pud 5,44 ½ 5,44 ½
131 Blei- und Zinkweiß Pud 1,35 0,75
135 Alizarin usw. Pud 1,20 1,20
137 Farben, Tinten Pud 5,- 4,95
140/42 Eisen, Stahl Pud 0,75 – 1,50 0,75 – 1,20
147 Zink Pud 0,70 – 1,25 0,67 ½ - 1,20
149 Kupferwaren Pud 8,00 – 21,00 6,48 – 20,40
151 Eisen, Stahlwaren Pud 2,10 2,10
151 Eisen, Stahlwaren, gemustert, poliert usw. Pud 4,20 2,10 – 3,30
154 Weißblechwaren Pud 4,- 3,37 ½
158 Messerwaren Pud 20,40 20,40
160 Schaufeln, Hacken usw. Pud 1,80 1,65
161 Feilen, Bohrer usw. Pud 2,50 1,65
167 Maschinen a. Eisen und Stahl Pud 2,10 – 4,20 2,10 – 2,75
167 Maschinen mehr als 25% Kupfer Pud 8,- 6,48
167 Landwirtschaftliche Maschinen Pud 0,75 0,75
169 Elektrische Messapparate Pud 12,- 10,20
172 Flügel, Orgeln Stück 168,- 168,-
172 Klaviere Stück 96,- 96,-
172 Nicht besonders genannte Musikinstrumente und Zubehör Pfund 0,15 0,15
172 Fahrräder Stück 30,- 27,-
177 Papierwaren Pud 3,60 – 14,50 3,60 – 13,12 ½
178 Bilder, Karten usw. Pud 12,- 4,80 – 7,50
178 Bücher, Zeitschriften Pud Frei Frei
186 Wolle gek., gesp., gezw. Pud 12,40 – 18,30 12,75 – 17,10
199 Wollgewebe nicht besonders genannt Pfund 1,50 – 2,00 1,57 ½
209 Wäsche Pfund 2,70 – 3,60 3,24 – 4,32
209 Kleider Pfund 2,00 – 12,60 2,32 ½ - 15,12
215 Galanteriewaren Pfund 0,70 – 2,70 0,60 – 2,70


Deutschland dagegen erhob für die wichtigsten russischen Ausfuhrgüter folgende Zölle (siehe Tabelle, S.83) <117>.

Abgesehen von den Tarifen erlitten auch verschiedene Punkte des Vertrages von 1894 durch den Zusatzvertrag von 1904 Umgestaltungen und Vervollständigungen, von denen wir die wichtigsten herausgreifen <118>:

Artikel 1, Absatz 2, bestimmt, dass die bisherige dreijährige Frist für die Zwangsveräußerung von Grundbesitz, den die Ausländer in Russland durch Erbgang oder Heirat erwarben, für die Deutschen auf zehn Jahre erstreckt wird.

Artikel 1, VI: Innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten des Vertrages soll ein Sonderabkommen zwischen beiden Ländern über den Schutz des Urheberrechtes an Werken der Literatur, Kunst und Photographie getroffen werden.

Nr. Warenbezeichnung Einheit Deutscher Vertragstarif von 1904 Vorher von Russland gezahlter Zoll
(Mark)
1 Roggen Dopp.-Ztr. 5,- 3,50
2 Weizen und Spelz Dopp.-Ztr. 5,50 3,50
3 Gerste (auch Malzgerste). Dopp.-Ztr. 1,30 2,-
4 Hafer Dopp.-Ztr. 5,- 2,80
11 Erbsen, Linsen Dopp.-Ztr. 1,50 1,50
13 Raps und Rübsen Dopp.-Ztr. 2,- 2,-
15 Lein-Hanfsaat Dopp.-Ztr. frei frei
28 Flachs, Hanf Dopp.-Ztr. frei frei
30 Hopfen Dopp.-Ztr. 20,- 14,-
74 Bau-Nutzholz, unbearbeitet Dopp.-Ztr. 0,12 0,20
74 Bau-Nutzholz, beschlagen Dopp.-Ztr. 0,24 0,30-0,80
74 Bau-Nutzholz, längs gesägt Dopp.-Ztr. 0,80 0,80
100 Pferde Stück 72,- 20,-
106 Schweine Dopp.-Ztr. 9,- Stück 5,-
107 Gänse Dopp.-Ztr. frei frei
107 Hühner u. nicht lebendes Federvieh Dopp.-Ztr. 4,- frei
108 Fleisch, einfach zubereitet Dopp.-Ztr. 35,- 15,-
118 Kaviar Dopp.-Ztr. 150,- 150,-
134 Butter Dopp.-Ztr. 20,- 16,-
136 Eier Dopp.-Ztr. 2,- 2,-
144 Schafwolle Dopp.-Ztr. frei frei
146/51 Pferdehaare, Borsten Dopp.-Ztr. frei frei
155 Haute u. Felle zu Pelzwerk Dopp.-Ztr. frei frei
176 Zucker Dopp.-Ztr. 40,- 40,-
178/79 Branntwein, Likör Dopp.-Ztr. 160,0 - 240,0 160,0 - 240,0
192/95 Kleie und and. Rückstände Dopp.-Ztr. frei frei
237 Erze Dopp.-Ztr. frei frei
239 Petroleum Dopp.-Ztr. 6,— 10,—


Durch Artikel 2, Absatz   2, wird den Beamten des deutschen diplomatischen und berufskonsularischen Dienstes in Russland die Befreiung von der russischen Zensur gewährleistet.

Artikel 2,1, 2, steht hinsichtlich der Geltungsdauer des Passvisa die deutschen Handlungsreisenden jüdischen Glaubens den christlichen gleich.

In Artikel 2, I, 4, wurde das russische Schweineeinfuhrkontingent für den oberschlesischen Industriebezirk von 1360 auf 2500 Stück in der Woche erhöht. Dagegen blieben alle veterinären Bestimmungen Deutschlands bestehen.

Im Artikel 2, III, erklärte sich die russische Regierung bereit, eine Reihe neuer Zollübergangsstellen zu schaffen und sonstige Verkehrserleichterungen vorzunehmen.


Deutsche Ausfuhr nach Russland.

(Wert in Millionen Mark.)

Warenbezeichnung 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913
Maschinen 22,8 40,7 50,6 48,5 64,4 82,1 96,7 129,9
Roggen 8,1 12,3 18,9 17,6 19,6 21,4 18,4 36,2
Elektrotechnische Erzeugnisse 4,2 9,6 10,6 13,5 16,0 19,8 27,5 34.5
Steinkohlen 12,3 10,9 11,0 10,9 13,2 16,6 19,9 29,2
Rindshäute 8,5 11,6 14,5 13,2 19,2 18,2 15,7 27,6
Fahrzeuge 1,5 4,3 5,2 5,4 9,0 12,9 17,1 25,6
Oberleder 4,5 5,3 6,4 8,9 13,0 14,9 16,2 23,9
Felle zu Pelzwerk, zugerichtet 6,7 7,8 8,5 9,3 12,3 11,8 17,5 20,5
Merinowolle 10,1 9,8 11,0 14,9 16,6 15,0 15,9 15,1
Rind-, Schaf-, Ziegenleder, lackiert 3,4 6,4 4,7 3,7 7,4 9,3 8,9 11,8
Rohe Baumwolle 12,4 18,9 20,2 16,3 18,6 15,3 9,9 11,7
Rohes Wollkammgarn 4,4 10,8 6,7 5,4 15,0 20,3 4,6 11,0
Koks 4,0 3,8 4,1 4,0 4,4 5,8 7,7 10,6
Polierte usw. Waren aus Messingguss 2,2 3,4 3,1 4,1 6,1 6,9 7,2 9,8
Rohes Zink 3,2 3,1 3,5 3,7 5,3 6,5 6,3 8,9
Eiserne Pflüge 2,4 4,3 4,7 4,5 5,6 6,1 6,7 8,7
Wollumpen - - - - 4,0 4,4 5,3 7,8
Superphosphate usw. 0.9 1,2 1,2 2,5 4,1 5,8 8,6 7,5
Wollstoffe 4,1 4,7 5,9 4,5 5,0 6,0 6,2 6,6
Ziegenleder, zugerichtet 2,7 3,4 4,3 5,5 7,7 7,0 5,2 6,4
Chemische Erzeugnisse zum Heilgebrauch 1,0 2,5 3,0 4,0 4,0 4,5 4,4 6,0
Schmiedbares Eisen - - - - - - 3,2 5,9
Hafer 0,5 1,8 13,9 2,1 1,6 1,3 1,9 5,8
Thomasphosphatmehl 0,7 1,2 1,1 1,2 2,1 3,3 5,6 5,3
Bücher 4,7 4,3 4,2 4,2 4,8 4,9 5,2 5,3
Kupferwaren, gef. verniert 1,2 2,0 1,5 2,4 3,4 3,5 4,2 5,0
Düngesalze - 2,4 2,3 2,7 6,2 9,1 4,8 4,3
Zugerichtete Felle zu Pelzwerk 9,7 9,5 9,3 21,9 20,5 20,6 18,9 11,9
Mais 4,9 30,3 16,7 16,4 8,8 26,6 31,3 10,0
Kaviar 6,5 7,5 8,5 9,3 8,5 9,0 9,3 9,7
Rohbenzin - - - - - 0,5 8,8 0,7
Leinsaat 12,2 6,2 10,3 9,6 16,3 17,4 21,7 9,1
Eisenbahnschwellen aus Holz 7,9 13,5 8,8 8,3 4,3 6,3 6,0 7,4
Bau- und Nutzholz, längs beschlagen 8,4 9,8 10,1 11,9 10,6 9,6 7,4 7,4
Weißkleesaat 10,4 1,8 1,6 2,5 2,4 4,0 5,2 7,1
Federvieh, geschlachtet 3,5 3,8 4,1 3,9 6,0 6,4 7,3 7,0
Rotkleesaat 4,1 12,6 5,9 9,0 9,5 11,6 9,4 6,5
Flachswerk 2,2 3,6 3,9 3,9 4,1 4,1 4,9 6,4
Zuckerrübensamen - - - 1,4 2,0 4,8 12,4 6,3
Schweinefleisch 1,7 0,9 0,8 1,6 1,5 1,0 3,4 6,0
Linsen 4,8 5,7 5,1 9,2 9,0 12,6 8,0 5,7
Hühner 4,3 4,0 4,4 4,6 5,0 5,1 5,1 5,1
Rohe Ziegenfelle 4,5 2,6 2,6 4,9 4,6 3,5 4,9 5,1
Rohe Schaffelle 10,1 2,3 2,3 2,5 3,2 3,1 4,1 4,4
Luzernesaat 0,3 0,3 0,9 1,4 1,2 1,8 6,7 4,4
Eichenfassholz, nicht gehobelt 1,3 2,3 1,9 3,5 2,1 2,2 3,3 3,9
Buchweizen 0,5 3,2 2,8 1,7 1,7 4,2 3,8 3,7
Rohe Bettfedern 2,5 3,5 3,9 3,0 3,1 3,3 3,4 3,5
Pferdehaare 2,0 3,6 3,4 3,6 2,5 4,8 4,6 3,4
Kartoffeln 0,7 1,2 1,7 2,9 4,2 14,2 14,4 3,3
Frisches Rindfleisch - - - - - - 1,3 3,3
Hanfwerk 6,1 2,3 1,9 1,7 1,9 3,6 2,8 3,2


Deutsche Einfuhr aus Russland.

(Wert in Millionen Mark.)

Warenbezeichnung 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913
Futtergerste 156,5 197,9 193,4 260,4 270,2 299,9 313,1 325,8
Weizen 103,8 85,1 44,2 226,4 238,0 178,9 94,9 81,8
Eier 69,9 65,4 55,2 70,6 75,2 71,5 68,5 80,3
Butter 28,1 14,6 13,7 21,9 21,6 40,4 54,1 62,8
Kleie 49,2 54,6 45,9 58,7 45,2 70,5 87,0 59,8
Bau- und Naturholz, unbearbeitet 48,3 67,1 58,8 62,7 62,5 71,2 78,1 74,1
Flachs, geschwungen 45,2 30,6 28,7 31,2 35,9 40,7 61,4 52,7
Ölkuchen 22,6 26,1 24,1 25,6 24,7 27,9 33,5 41,6
Roggen 58,8 66,7 39,0 35,2 39,0 69,1 37,1 35,9
Bau, und Nutzholz, längs gesägt 20,4 26,0 22,5 28,8 33,4 34,6 44,5 35,0
Hafer 52,8 22,8 19,4 50,5 42,2 61,9 52,8 32,6
Holz zu Holzmasse 8,6 11,5 12,4 17,7 17,7 15,1 24,8 31,7
Gänse 25,3 19,0 19,2 22,7 26,0 23,0 30,5 31,0
Pferde 21,7 7,9 15,7 15,9 21,2 20,9 15,6 25,1
Häute, Feile z. Pelzbearbeitung, außer Hasen u. Kanin 47,4 22,3 25,0 46,7 49,3 25,5 38,4 24,8
Schweine 17,6 12,6 16,1 21,5 17,7 15,4 23,2 24,8
Borsten 15,1 16,8 13,0 13,9 15,5 17,5 20,2 18,9
Mineralische Schmieröle 10,7 2,8 2,7 2,7 2,5 3,8 16,5 18,1
Manganerze 10,2 4,5 2,8 2,8 3,5 2,1 12,8 17,4
Erbsen 11,7 15,6 11,4 15,9 13,2 29,6 27,6 16,9
Kalbfelle 18,2 12,3 13,2 24,6 17,0 17,7 22,1 16,7
Hanf, roh 12,0 15,8 12,0 11,3 10,5 16,8 15,1 16,4
Rindshäute 1,0 0,5 0,3 1,4 1,7 1,4 6,9 15,9
Eisenerze 4,4 10,1 9,1 6,6 12,2 20,8 17,0 12,7
Viehdärme 10,4 12,0 11,4 14,0 13,3 11,2 11,5 12,3
Platinerze 4,8 2,0 4,0 5,2 5,7 5,1 11,5 12,3
Feuerfeste Steine - 0,9 1,2 1,3 1,6 2,3 3,0 4,3
Arzneiwaren, andere nicht Genannte 0,4 1,0 1,5 1,3 1,5 1,8 2,9 4,3
Rohe Rosshäute 4,6 4,1 4,3 4,4 6,3 5,6 4,7 4,3
Klaviere 1,1 2,4 2,3 2,4 3,3 3,9 3,9 4,3
Weizen 6,5 4,1 6,4 1,0 0,2 2,6 2,2 4,1
Baumwollene Strümpfe, Socken - - 1,6 1,4 2,3 3,0 2,9 4,1
Reis, poliert 1,6 2,6 - - 3,5 3,0 3,5 4,0
Wollkämmlinge 0,9 0,8 0,8 1,4 2,3 1,5 2,1 3,9
Grobe Schneidwerkzeuge, außer Messern 1,0 1,9 2,1 2,1 2,7 2,6 2,9 3,5
Anilin und andere Teerfarbstoffe 6,7 6,7 4,8 4,3 5,3 3,3 3,7 3,5
Feine Schneidwaren 1,1 1,8 1,9 2,0 2,1 2,4 2,4 3,4
Merinokammzug 2,0 2,7 1,5 2,0 1,4 1,3 2,0 3,3
Rohes Bienen usw. Wachs 1,1 1,4 1,0 1,4 1,6 3,0 4,2 3,3
Rohblei 0,8 1,9 2,2 1,6 2,2 2,0 2,5 3,2
Lederne Treibriemen 0,8 1,4 1,6 1,9 1,9 2,3 2,6 3,1
Fischernetze 0,2 0,3 0,9 1,0 1,3 1,2 2,0 3,1
Kochgeschirre und  andere Waren aus nicht schmiedbarem Eisenguss - - 2,0 1,6 1,6 2,2 2,0 3,0


..

Im Unterzeichnungsprotokoll zum Zusatzverträge erhielt Deutschland die Befugnis zur Erhebung von Zuschlagszöllen von russischem Zucker für die Dauer der Brüsseler Konvention, verpflichtete sich aber von dieser Befugnis nur nach Maßgabe der Brüsseler Konvention und der Beschlüsse der Brüssel er ständigen Kommission Gebrauch zu machen.

Trotz der erheblichen Mehrbelastung, die der Zusatzvertrag vom Jahre 1904 im Großen und Ganzen für den deutsch-russischen Handelsverkehr bedeutete, ließ die weitere Entwicklung desselben sich doch nicht aufhalten, wie folgende Tabellen beweisen <119>:

Die Gesamtergebnisse des Spezialhandels ohne Edelmetalle betrugen nach den Statistiken:

Jahr Deutsche Statistik Russische Statistik
Deutschlands Russlands
Einfuhr aus Ausfuhr nach Russland Einfuhr aus Ausfuhr nach Deutschland
(Millionen Mark) (Millionen Mark)
1906 1068,4 406,0 644,6 614,9
1907 1108,2 437,9 728,7 628,6
1908 945,6 450,2 752,6 602,6
1909 1363,9 444,5 784,6 836,2
1910 1386,6 547,1 971,6 843,8
1911 1634,2 625,4 1053,6 1059,5
1912 1527,9 679,8 1149,8 980,2
1913 1424,6 880,2 1388,4 977,6


Die Bedeutung des russischen Handels für Deutschland wird durch folgende Zusammenstellung gekennzeichnet (120):


Einfuhr Deutschlands aus den hauptsächlichsten Ländern.

(In Millionen Mark)

Land 1909 1910 1911 1912 1913
Mark % Mark % Mark % Mark % Mark %
Russland 1363,9 16,0 1386,6 15,6 1634,3 16,8 1527,9 14,3 1424,6 13,2
Vereinigte Staaten von Amerika 1262,5 14,8 1087,6 13,3 1343,4 13,8 1586,0 14,8 1711,2 15,9
Österreich-Ungarn 754,7 8,9 759,2 8,5 739,1 7,6 830,0 7,8 827,3 7,7
Großbritannien 723,3 8,5 766,6 8,6 808,8 8,3 842,6 7,9 876,1 8,1
Frankreich 485,1 5,7 508,8 5,7 524,4 5,4 552,2 5,2 584,2 5,4
Argentinien 437,7 5,1 537,2 4,0 369,9 3,8 444,9 4,2 494,6 4,6
Britisch-Indien usw. 317,0 3,7 404,0 4,5 440,3 4,5 532,2 : 5,0 541,8 5,0
Belgien 289,6 3,4 325,5 3,6 340,1 3,5 346,6 3,6 344,6 3,2
Italien 287,9 3,4 274,5 3,1 284,8 2,9! 304,6 2,9 317,7 3,0
Niederlande 253,4 3,0! 258,5 3,9 297,7 3,1 345,4 3,2 333,0 3,1
Australischer Bund 233,1 2,7 267,9 3,0 248,2 2,6 276,7 2,6 296,1 2,8
Brasilien 234,3 2,71 278,9 3,1| 320,0 3,3 312,2 2,91 247,91 2,3


Ausfuhr Deutschlands nach den hauptsächlichsten Ländern.

<In Millionen Mark.>

Land 1909 1910 1911 1912 1913
Mark % Mark % Mark % Mark % Mark %
Großbritannien 1015,0 15,4 1102,0 14,7 1139,7 14,0 1161,1 13,0 1438,2 14,2
Österreich-Ungarn . . 763,3 11,6 821,6 11,0 917,7 11,3 1035,3 11,6 1104,8 10,9
Vereinigter Staaten von Amerika 606,3 9,2 632,7 8,5 639,8 7,9 697,6 7,8 713,2 7,1
Frankreich 455,1 6,9 543,4 7,3 598,6 7,4 689,4 7,7 789,9 7,8
Niederlande 453,5 6,9 498,7 6,7 552,1 6,6 608,5 6,8 693,5 6,9
Russland 444,5 6,7 547,1 7,3 625,4 7,7 679,8 7,6 880,0 8,7
Belgien 413 9 6 3 459 ß ßn 439 4 an 590 5 5 8 5:8k 1 5 8
Italien 348,7 3,3 890,7 5,2 412,7 5,1 493'3 5,5 551,0 5,5
Dänemark 989,0 4,5 323,5 4,3 348,0 4,3 401,2 4,5 393,5 3,9
Argentinien 195,7 3,0 224,7 3,0 318,0 2,7 224,2 2,8 283,9 2,8
Schweden 175,4 2,6 240,2 3,2 255,9 3,1 239,4 2,7 265,9 2,6


Die überragende Wichtigkeit des deutschen Handels für Russland wird durch folgende Tabellen illustriert <121>:

Einfuhr Russlands aus den hauptsächlichsten Ländern.

<In Millionen Rubel.>

Land 1902 - 1906 1907 - 1911 1911 1912
Rubel % Rubel % Rubel % Rubel %
Deutschland 243,5 36,2 397,3 40,4 487,8 42,0 532,3 45,2
Großbritannien 103,9 15,4 134,4 13,7 155,1 13,4 142,4 12,2
Ver. Staaten von Amerika 50,8 7,5 73,9 7,5 102,5 8,8 87,4 7,5
China 63,8 9,5 83,7 8,5 82,3 7,1 76,3 6,5
Frankreich 27,2 4,0 46,6 4,8 55,8 4,9 56,3 4,8
Persien 24,1 3,6 31,5 3,2 35,4 3,0 35,4 3,0
Österreich-Ungarn 22,7 3,4 29,4 3,0 34,3 2,9 32,7 2,8
Ostindien 10,1 1,5 20,9 2,1 28,8 2,5 29,8 2,6
Holland 11,8 1,8 15,8 1,5 17,5 1,5 19,2 1,6
Türkei 7,4 1,1 8,9 0,9 10,2 0,9 16,2 1,4
Italien 10,2 1,5 14,6 1,5 17,6 1,5 15,8 1,3
Norwegen 6,8 1,0 8,0 0,8 8,3 0,7 7,7 0,9

Ausfuhr Russlands nach den hauptsächlichsten Ländern.


Ausfuhr Russlands nach den hauptsächlichsten Ländern

<In Millionen Rubel>

Land 1902 - 1906 1907 - 1911 1911 1912
Rubel % Rubel % Rubel % Rubel %
Deutschland 242,2 24,0 367,6 28.2 490.5 30.8 453.8 29.9
Großbritannien 222,5 22,2 278,1 21,3 237.0 21.2 227.8 21.6
Holland 107,7 10,7 156,4 12,0 188.8 11.9 157.0 10.1
Frankreich 66,8 6,6 82.3 6.3 90.8 5.7 98.2 6.5
Österreich Ungarn 40,8 4,0 54,0 4,1 67,9 4.3 73.4 4.8
Belgien 40,4 4,0 51,6 4,0 55,4 3.5 58.9 3.4
Persien 27,3 2,7 34.0 2.6 44.6 2.8 53.0 3.5
Italien 54,7 5,4 52.0 4.0 52.7 3.3 52.5 3.4
Dänemark 28,0 2,8 32,0 2.5 35.6 2.3 38.1 2.5
China 28,0 2,8 23.5 1.8 25,6 1.6 30.7 2.0
Türkei 18,2 1.8 26.3 2.0 33.6 2.1 30.1 1.2
Vereinigte Staaten von Amerika 4,7 0,5 9,1 0,7 13,5 0,8 18,0 0,7
Deutschland 242,2 24,0 367,6 28.2 490.5 30.8 453.8 29.9



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Welch fürchterliche Verluste an Menschen und Gütern auch der Weltkrieg verursacht hat, so ist es dennoch die Verwirrung auf weltwirtschaftlichem Gebiete, unter denen die Völker jetzt noch am meisten zu leiden haben. Die Lücken an Kraft und Materie schließen sich bald, aber der unendlich komplizierte Organismus der Weltwirtschaft lässt sich nicht so schnell wieder in Ordnung bringen. Jetzt, da die Fäden, die die Volkswirtschaften miteinander verbanden, zerrissen sind, sehen wir erst, wie eng diese miteinander verbunden waren und erkennen, dass keine von ihnen verletzt werden darf, ohne alle anderen in Mitleidenschaft zu ziehen. Nur allzu spät dringt die Erkenntnis von der Solidarität der europäischen Wirtschaftsinteressen durch, und unfassbar erscheinen uns jetzt all die Maßnahmen des „Wirtschaftskrieges", unter deren Folgen alle Staaten, Sieger und Besiegte, noch lange Jahre leiden werden.

Trotz der zahlreichen Verbote und Repressalien, die den vollkommenen Abbruch des Verkehrs zwischen Deutschland und Russland bezwecken sollten, ist es dennoch nie gelungen, die Einfuhr deutscher Waren nach Russland gänzlich zu unterdrücken. Der Verfasser dieser Zeilen hat es noch im zweiten und dritten Kriegsjahre mit angesehen, dass alle möglichen technischen und elektrotechnischen Gegenstände, die, angeblich neutralen Ursprunges, nach dem Ural eingeführt wurden, deutsche Fabrikmarken aufwiesen. Und sieht man sich z. B. die Handelsstatistik Schwedens an, die für den Durch» schnitt der Jahre 1909 - 1913 eine Ausfuhr von 10,4 Millionen Rubel nach Russland aufweist, im Jahre 1915 dagegen eine solche von 54,2 Millionen und 1916 gar von 91,4 Millionen Rubel, so erkennt man ohne weiteres, dass allen künstlichen Hindernissen zum Trotz der deutsch-russische Warenverkehr selbst während des Krieges nicht ganz versiegte, freilich da wo früher ein gewaltiger Strom brauste, sickert nur ein unterirdischer Quell…

Offiziell wurden die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Russland durch die Brest-Litowsker Verträge wieder aufgenommen. Der am 9. Februar 1918 mit der Ukraine abgeschlossene Friedensvertrag regelt in seinem Artikel VII die wirtschaftlichen Be­ziehungen zwischen den vertragschließenden Teilen. Im Wesentlichen wurde hier im Gegensatz, zu dem einige Wochen später mit Groß-Russland abgeschlossenen Vertrage die Bestimmungen und Tarife des Handelsvertrages vom Jahre 1904 aufrecht erhalten <122>.

Der Absatz 1 des genannten Artikels, der einen Warenaustausch durch staatlich organisierte Stellen vorsieht, beansprucht besonderes Interesse, und zwar deshalb weil wahrscheinlich der über kurz oder lang einsetzende Handelsverkehr mit Sowjet-Russland ähnliche Formen annehmen wird. Zwar haben diese staatlichen Zentralstellen, die den Warenverkehr zwischen Deutschland und der Ukraine regelten, in der kurzen Zeit ihres Wirkens keine besonders günstigen Resultate erzielen können. Aber dies lag zunächst an der durch die kriegerischen Ereignisse verursachten Verwirrung in dem besetzten Lande, als auch daran, dass von deutscher Seite nicht genügende Mengen von industriellen Austauschartikeln herangebracht werden konnten, der russische Bauer aber seine Produkte nicht für Papiergeld hergeben wollte, gegen welches er ein, wie sich zeigte, nur allzu berechtigtes Misstrauen hegte.

Noch viel geringere Ergebnisse zeitigte das am 3. März 1918 mit der Moskauer Regierung abgeschlossene Wirtschaftsabkommen. Dasselbe bildete, da eine Wiederinkraftsetzung des deutsch-russischen Handelsvertrages von 1894/1904 infolge des Widerstandes der russischen Unterhändler nicht erreicht werden konnte, ein Provisorium, das auf gegenseitiger Meistbegünstigung und der Bindung des allgemeinen russischen Zolltarifs vom Jahre 1903 beruhte. Noch ehe dieser nominellen Wiederaufnahme der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen irgendwelche größere praktische Bedeutung zugemessen werden konnte, erfolgte der deutsche Zusammenbruch.

Die Brest-Litowsker Verträge wurden durch den Friedensvertrag von Versailles aufgehoben. Artikel 292 desselben lautet: „Deutschland erkennt an, dass alle mit Russland oder irgendeinem Staate oder irgendeiner Regierung, deren Gebiet früher einen Teil Russlands bildete, sowie mit Rumänien vor dem 1. August 1914 oder seit diesem Tage bis zum Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrages geschlossenen Verträge, Übereinkommen oder Abmachungen aufgehoben sind und bleiben." Es kann zwar großen Zweifeln unterliegen, ob diese Aufhebung auch absolut rechtsgültig ist, da ja weder die russische noch die ukrainische Regierung an dem Versailler Friedensvertrage irgendwelchen Anteil genommen hatte, doch bleibt diese Überlegung gegenstandslos, solange noch Macht über alle Rechtsgrundsätze triumphiert.

Die Frage der Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland hatte während der langen Waffenstillstandsund der ersten „Friedens"-Periode überhaupt keine praktische Bedeutung für Deutschland. Das Machtgebot der Entente verhinderte jede Ver­bindung mit Sowjet-Russland, und Deutschland musste sich nolens volens der über das unglückliche Land verhängten Blockade anschließen, da es eine gemeinsame Grenze mit Russland nicht mehr besitzt und die russischen Häfen von der Ententeflotte blockiert wurden. Das wurde erst anders, seitdem England einzusehen begann, dass es Russland weder mit militärischen noch mit wirtschaftlichen Gewaltmitteln beikommen konnte und sich zu einer „fried­lichen Durchdringung" Russlands entschloss.

Im Januar 1920 hob es die Blockade auf und begann die Wirtschaftsprobleme mit den bolschewistischen Delegierten zu erörtern. In langwierigen Verhand­lungen, die in London zwischen Lloyd George und dem russischen Wirtschaftsdiktator Krassin stattfinden, wird versucht, das schwierige Problem eines Handelsabkommens zwischen dem kapitalistischen Eng­land und dem kommunistischen Russland zu lösen. Obwohl diese Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind*), hat der englisch­russische Warenaustausch bereits eingesetzt.

Die Zahlen der eng­lischen Außenhandelsstatistik reden eine deutliche Sprache, sie sind im Vergleiche zur Vorkriegszeit bescheiden, aber ihre steigende Tendenz ist unverkennbar. Erleichtert wird diese Tätigkeit der englischen Kaufleute durch Maßnahmen ihrer weitsichtigen Regierung, die als erste größere Summen zur Verfügung gestellt hat, um ihre Untertanen vor jedem Risiko zu schützen, das ihnen aus den mit Russland getätigten Geschäften erwachsen könnte.

Die deutsche Regierung hatte bisher zu sehr mit inneren Schwierigkeiten zu kämpfen und war in allen Fragen der Außenpolitik zu sehr zur Passivität verurteilt, als dass sie das russische Problem in seiner ganzen Tragweite erfasst und demgemäß mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu lösen versucht hätte.

Wir hörten bisher nur von inoffiziellen Verhandlungen mit dem zur Regelung des Gefangenenaustausches in Berlin weilenden russischen Delegierten Viktor Kopp und der beabsichtigten Entsendung einer Studienkommission nach Russland. Doch scheint man nicht über die ersten Ansätze hinausgekommen zu sein. Nichts aber wäre verfehlter, als in dieser für Deutschland lebenswichtigen Frage dem Prinzipe des laisser faire laisser aller huldigen zu wollen, zu einer Zeit, da andere derzeit mächtigere und kapitalkräftigere Staaten mit aller Kraft bestrebt sind, Deutschlands bisher überragende Position im russischen Außenhandel einzunehmen.

Eine geschichtliche Parallele illustriert uns das. Wir sahen, welch dominierende Stellung die Hansa im russischen Handel innehatte, wie dann die inneren Wirren in Deutschland und schließlieh der Dreißigjährige Krieg die Macht des einst so stolzen deutschen Städtebundes lähmte, und wie England, die Situation klug benutzend, sich Konzessionen verschafften, die seinen merchant adventurers die Vormachtstellung in Russland bis ins 19. Jahrhundert hinein sicherten. Jahrhundertelange, zäheste Arbeit war notwendig, bis Deutschland seine ihm gebührende Stellung wiedereroberte. Soll es diese nun kampflos preisgeben? Soll Deutschland tatenlos zuschauen, wie Engländer und Amerikaner, Japaner und Italiener sich des russischen Marktes bemächtigen? Die Antwort kann nicht zweifelhaft sein, trotz der Bedenken, die gegen die sofortige Wiederanknüpfung der wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland vorgebracht werden.

Da wird zunächst auf die Gefahren der bolschewistischen Propaganda hingewiesen, der mit der Eröffnung der Handelsbeziehungen mit Russland Tür und Angel geöffnet seien. Es darf sicher nicht verkannt werden, dass das deutsche Volk, nach den gigantischen Anstrengungen des 4 ½jährigen Weltkrieges erschöpft und durch die ungeheuerlichen Forderungen seiner ehemaligen Feinde erbittert, einer bolschewistischen Infizierung nicht unzugänglich ist, aber diese Gefahr lässt sich nicht durch noch so strenge Absperrung bannen. Ideen lassen sich nicht durch Stacheldrähte aufhalten, sie können nur mit geistigen Mitteln bekämpft werden. Nur indem wir der Idee der revolutionären Umgestaltung unserer gesamten ökonomischen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen die der revolutionären, organischen Entwicklung, nur indem wir dem Prinzip der Diktatur das der Demokratie entgegenstellen, werden wir uns gegenüber dem Bolschewismus behaupten.

Und ein offener Meinungskampf ist sicherlich einer unterirdischen, aller Kritik baren Propaganda vorzuziehen. Ein reger Handelsverkehr würde überdies den Stand der russischen Dinge breiteren Kreisen vor Augen führen und sie erkennen lassen, wie himmelweit Ideal und Wirklichkeit des Bolschewismus voneinander entfernt sind.

Weiterhin wird eingewendet, dass, indem wir Beziehungen zu Sowjet-Russland anknüpfen, wir es mit den antibolschewistischen Gruppen verdürben, die über kurz oder lang die Herrschaft in Russland antreten würden.

Wenn man sich aber vergegenwärtigt, dass es eine Zeit gab, da Koltschak ganz Sibirien und den Ural in der Hand hatte und die tschechischen Legionen bereits nach Ufa und in die Wolganiederung vorgedrungen waren, da Denikin die ganze Ukraine beherrschte und seine Kavallerie im Rücken der roten Armee die Verbindung mit Moskau bedrohte, da Judenitzsch Truppen schon die Vorstädte Petersburgs stürmten, da die Engländer die Murmanküste besetzt hielten und die französische Flotte vor Odessa operierte, und wenn man sieht, wie gestärkt die Sowjetregierung aus all diesen Kämpfen hervorgegangen ist, so wird man vielleicht zu der Erkenntnis gelangen, dass eben dieser gewaltsame reaktionäre Antibolschewismus im Grunde die Hauptstütze der Sowjetmachthaber gewesen ist und bleiben wird.

Denn er gestattet ihnen, die russischen Massen unter nationalen Losungen zu einen und ihre brutale Gewaltherrschaft mit einem Scheine der Notwendigkeit zu umgeben. Wer objektiv die Lage Russlands betrachtet, der kommt zu dem Schlüsse, den die englische Regierung bereits gezogen hat, dass man dem russischen Volke nur helfen könne, indem man es aus seiner Isolierung reißt und in wirtschaftliche Beziehungen zu ihm tritt. Je reger diese sich gestalten werden, desto kleiner wird der Nimbus des russischen Bolschewismus im Auslande und desto größer das Bewusstsein seiner Unzulänglichkeit im Inlande.

Aber zu den Bedenken sozialer und politischer Art treten auch wirtschaftliche. Bolschewismus, so definiert man, sei die Negation alles Wirtschaftlichen, er bedeute Zerstörung, aber nicht Erhaltung und Schaffung von Gütern. Das ist im Wesentlichen richtig, darin unterscheidet sich auch der Bolschewismus von den anderen sozialistischen Richtungen, dass er die kapitalistische Wirtschaftsordnung erst von Grund aus zerstören will, ehe das kommunistische Reich aufgebaut werden soll. Aber diese seine erste Phase hat der Bolschewismus bereits hinter sich.

Was von dem russischen Wirtschaftsorganismus im November 1917 noch übrig war, ist gründlich zerstört. Jetzt, da es ans Aufbauen geht, greift die bolschewistische Regierung zu Methoden, die von denen der so verschrienen und in Trümmer geschlagenen bürgerlichen Gesellschaftsordnung keineswegs verschieden sind.

Lenin brachte dies zum ersten Male im Frühjahr 1918 in seinem Referate über „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht" zum Ausdruck. Er forderte darin: die Gewährung hoher Gehälter an die Betriebsleiter, die widerspruchslose Unterordnung der Massen unter den einheitlichen Willen der Leiter des Arbeitsprozesses, die Anwendung des Taylor-Systems, die Einführung des Akkordlohnes, die Anpassung der Löhne an die allgemeinen Arbeitsergebnisse eines Betriebes und die Organisierung des Wettbewerbes zwischen den einzelnen Produktiv, und Konsumkommunen.

Diese Forderungen wurden auch vom Zentralausschuss der Sowjets anerkannt und sind seitdem durch den russischen Wirtschaftsdiktator Krassin, einem Ingenieur und ehemaligen Leiter der Petersburger Siemens -Schuchert -Werke, ihrer Verwirklichung bedeutend nähergebracht worden.

Schließlich wollen wir uns noch mit dem letzten und verfänglichsten Einwande auseinandersetzen, der alle Bemühungen um einen Güteraustausch mit Russland für vergeblich hält, da Russland jetzt nichts ausführen könne. Es wird da auf die furchtbare Lebensmittelnot in den russischen Großstädten hingewiesen, auf die unwahrscheinlich hohen Preise für die allernotwendigsten Bedarfsartikel, und erklärt, dass Russland eher selbst einer internationalen Hilfsaktion bedürfe, als dass es als Versorger des darbenden Mitteleuropa in Betracht kommen könne.

Nun, der Verfasser dieser Zeilen hat selbst neun Monate als Bürger „dritter Kategorie" in Petersburg 50 g Brot täglich erhalten und ist nicht geneigt, die Verhältnisse Russlands in allzu rosigem Lichte anzusehen, er kommt aber dennoch zu anderen Ergebnissen. Zunächst darf bei der Beurteilung der volkswirtschaftlichen Lage Russlands nicht aus dem Auge gelassen werden, dass sein ungeheures Gebiet keine einheitliche volkswirtschaftliche Struktur aufweist.

Während die Ukraine und Sibirien Getreideausfuhrländer sind, sind die nordrussischen Provinzen von jeher Getreideeinfuhrgebiete gewesen. Und gerade auf diese letzteren war die bolschewistische Herrschaft bis vor kurzem beschränkt. Erst seitdem die Armee Denikins auf die Krim zurückgedrängt ist und auch die Herrschaft Koltschaks in Sibirien zusammengebrochen ist, konnte an eine Versorgung des hungernden russischen Nordens gedacht werden. Selbstverständlich ist zuzugeben, dass in allen Teilen Russlands, auch in den gesegneten Gefilden der „schwarzen Erde" ein ungeheurer Produktionsrückgang zu verzeichnen ist.

Darüber kann kein Zweifel bestehen, wohl aber, ob dieser Umstand als die Ursache oder nicht viel mehr als die Folge der Ausschaltung Russlands aus dem Weltverkehr zu deuten ist. Wir sind der Ansicht, dass wenn der russische Bauer für seine Erzeugnisse nicht mehr Papiergeld erhalten wird, von den er mehr besitzt, als er zu zählen vermag und mit dem er doch nichts anzufangen weiß, sondern Pflüge, Sensen, Sicheln, Äxte, Beile, Messer, Nägel, Nadeln usw., was alles er heute auch für Berge von Sowjet-Rubeln nicht erhalten kann, dass er dann nicht nur dem nötigen Anreiz sondern auch die technische Möglichkeit zu inten­siveren Produktionsmethoden erhalten wird.

Selbst wenn man den Fall setzt, dass die Ausfuhr russischer Getreideprodukte vorerst nicht in Schwung kommen wird, bis ihr Verbrauch in allen Teilen Russlands einen normalen Umfang angenommen hat, so kann es doch keinem Zweifel unterliegen, dass andere Landwirtschafts,- und Viehzuchtprodukte wie Flachs, Hanf, Baumwolle, Wolle, Haare, Borsten, Felle, Pflanzenöl, Treber, Samen usw. in solchen Mengen vorhanden sind, dass sie Russland zu einer Ausfuhr größeren Stils befähigen.

Die Anbauflächen für Flachs und Hanf, die sich zumeist in den unter der Lebensmittelnot leidenden nördlichen Provinzen befinden, sind zwar gegenwärtig zugunsten des Getreidebaues eingeschränkt, doch ist die russische Industrie, deren Leistungsfähigkeit noch weit mehr als die der russischen Landwirtschaft zurückgegangen ist, außerstande, die vorhandenen Vorräte an Flachs und Hanf zu verarbeiten.

Ebenso verhält es sich mit der Baumwolle, für deren Anbau aber noch bedeutende Gebiete im südlichen Sibirien und Turkestan erschlossen worden sind, wo zuverlässigen Meldungen nach auch ungeheure Vorräte liegen. Von allergrößter Bedeutung wird für Deutschland die Ausfuhr von russischem Bauholz sein.

Russlands Waldreichtum ist unerschöpflich, und Deutschland hat, abgesehen von seiner eigenen nach fünfjähriger Pause verstärkt einsetzenden Bautätigkeit, noch für den Wiederaufbau Nordfrankreichs und Belgiens zu sorgen. Aber auch die mannigfachen Produkte der Holzindustrie und der trockenen Destillation wie Pech, Teer, Terpentin, Kolophonium u. dgl. werden keine unbedeutenden Faktoren des russischen Exports bilden. Kohlen, Erze, Salze usw. werden zunächst dem Bedarfe der eigenen russischen Industrie dienen müssen, vergegenwärtigt man sich jedoch die mäch­tigen Erz,- und Kohlenlager, die Russland im Dongebiet, im Ural, im Kaukasus und in dem noch völlig unerschlossenen, an Mineralschätzen aber märchenhaft reichen Altei-Gebiete besitzt, so kann man es nur als eine Frage der Technik und der Organisation bezeichnen, ob diese ungeheuren Naturreichtümer der deutschen Industrie, die ihrer nach den durch den Versailler Vertrag bedingten Abtretungen deutscher Erz,- und Kohlenlager dringender denn je bedarf, zugeführt werden können.

Mangan-, Wolfram,- und Platinerze könnten ebenso wie Glimmer und Grafit sofort in größeren Mengen ausgeführt werden. Die russischen Mineralöle werden bei dem allzu hohen Dollarkurse die amerikanischen bald vom deutschen Markte verdrängt haben, und schließlich könnten auch Tabak und Weine, von denen größere Vorräte in der Krim und dem Kaukasus aufgestapelt sind, als Austauschobjekte in Frage kommen.

Überschaut man all diese unerschöpflichen Produktions- und Ausfuhrmöglichkeiten, so erkennt man, dass Russland trotz aller Verwüstungen, die es im Weltkriege und noch mehr durch den Bürger­krieg erlitten hat, ein reiches Land ist und bleibt. Sein Reichtum beruhte nicht auf seinen Industrie-, Verkehrs,- und Handelsanlagen, die sind allerdings zerstört, sondern auf seinen Äckern, Wiesen, Wäldern und mineralhaltigen Bergen und diese seine Grund­elemente sind unberührt, sie haben nichts von ihrem Werte verloren.

Will man die Naturprodukte Russlands dem Wirtschaftsorganis­mus Europas wieder nutzbar machen, so gilt es allerdings eine Voraussetzung zu erfüllen, die Verbindung mit ihren Produktionsorten herzustellen. Dies ist bei dem jetzigen Stande des russischen Verkehrswesens gewiss eine schwere, aber ebenso dankbare Auf­gabe, die gerade den in ihrer Betätigungsmöglichkeit so beschränkten deutschen technischen und organisatorischen Kräften höchst will­kommen sein müsste. Da aber, wie gesagt, die Wiederherstellung des russischen Verkehrswesens die Voraussetzung für jeden Güteraustausch mit Russland bildet, so müsste die Lieferung von Eisenbahnmaterial, ebenso wie die der wichtigsten landwirtschaft­lichen Maschinen und Geräte und der notwendigsten Medikamente der Ausfuhr russischer Erzeugnisse vorangehen.

Die russische Regierung könnte einen Teil ihres Edelmetallvorrates als Sicherung für derartige Lieferungen zur Verfügung stellen mit der Maßgabe, dass derselbe nach späterer Bezahlung durch russische Produkte zurückerstattet werden müsste. Diese Edelmetalldepots müssten bei der Reichsbank, oder, solange der Versailler Vertrag dies verhindert, bei einem neutralen Bankinstitut hinterlegt werden, und die deutsche Regierung daraufhin befugt sein, den deutschen Lieferanten die vollen Rechnungsbeträge vorzuschießen. So würde den deutschen Firmen die Bezahlung auch der ersten Lieferungen gewährleistet werden, ohne dass sich Russland seines Edelmetallvorrates entledigt, den es zur Wiederherstellung seiner Valuta dringend benötigen wird.

Selbst wenn die Wiederinstandsetzung der russischen Eisen­bahnen lange Jahre in Anspruch nehmen sollte, so darf daraus noch nicht der Schluss gezogen werden, dass ebenso lange auch jede Ver­kehrs,- und damit auch Handelsmöglichkeit in und mit Russland ausgeschaltet wäre. Man darf die gewaltigen Ströme Russlands nicht außer Betracht lassen. Diese bilden die bequemsten Zugangsstraßen vom Innern Russlands zu den Häfen der Ostsee, des Schwarzen und des Weißen Meeres. Dass sie bisher nicht zur Linderung der Verkehrsnot beigetragen haben, lag daran, dass sie durch die quer durch ganz Russland sich hinziehenden Kampffronten versperrt waren, und die zahlreiche und leistungsfähige russische Binnenflotte von ihrer Brennstoffbezugsquelle, dem Bakuer Petroleumgebiet, abgeschnitten war. Diese Hindernisse sind jetzt aus dem Wege geräumt, und in den mächtigen Verkehrsadern der russischen Tiefebene wird wieder neues Leben pulsieren.

Der deutsche Handelsweg nach Nord,- und Mittelrussland kann also wie ehemals wieder über die Ostsee gehen, während der russische Süden durch das Schwarze Meer und die Donau eine bequeme Verbindung mit Deutschland hat. Diese beiden Schiffsverbindungen sind von umso größerer Bedeutung als der Überlandverkehr zwischen Deutschland und Russland darunter zu leiden hat, dass Polen sich jetzt als Pufferstaat dazwischenschiebt und unter französischem Einfluss jede Verbindung zwischen Deutschland und Russland hemmt. Wir werden zwar nicht nur in unserem eigenen, sondern auch im Interesse der ganzen europäischen Wirtschaft die Forderung freien Transitverkehrs durch die russischen Randstaaten aufstellen, aber es wird wahrscheinlich noch einige Zeit vergehen, bis ökonomische Gründe für die Politik Frankreichs und seiner Vasallen maßgebend sein werden.

Schließlich wird auch der Tatsache Rechnung getragen werden müssen, dass auf russischer Seite nicht mehr Privatpersonen unsere Kontrahenten sind, sondern staatliche Organe. Der russische Außenhandel ist nationalisiert und die russische Regierung bedient sich des jetzt unter starker staatlicher Kontrolle stehenden „Zentrosojus", des alt russischen Zentralverbandes der Konsumgenossenschaften, um den internationalen Güteraustausch vorzunehmen. Dieser Zentralverband, der in seinen 500 Unterverbänden und 50000 örtlichen Genossenschaften fast die gesamte russische Bevölkerung organisiert hat, besitzt zahlreiche Auslandsfilialen, von denen die Londoner und Stockholmer auch gegenwärtig wieder eine lebhafte Einkaufstätigkeit entfalten. Es liegt auf der Hand, dass wir einer derart mächtigen und einheitlich dirigierten Organisation ein ebenbürtiges Zentralorgan entgegenstellen müssen, das die deutschen Interessen ebenso einheit­lich und zum Nutzen der gesamten deutschen Volkswirtschaft ver­treten könnte. Dieses Zentralinstitut müsste aus Vertretern der am russischen Handel beteiligten Unternehmungen bestehen und nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung aufgebaut werden. Es könnte am besten an die bereits bestehende Organisation des deutsch russischen Vereines angelehnt werden. Eine der­artige mit öffentlichen Rechten ausgestattete Zentralstelle für den Handel mit Russland würde schon aus valutarischen Gründen von größter Wichtigkeit sein und könnte die hässlichen Begleiterscheinungen, die die Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen mit den westlichen Ländern zeitigte, vermeiden. Wir würden weder Riesengewinne bringende Konjunkturen noch ebenso plötzlich herein­brechende Krisen noch schwarze Listen deutscher „Kaufleute'' im Auslande erleben.

Diese Maßnahmen zur Regelung des deutsch-russischen Handels müssten aber bald getroffen werden. Sonst werden wir die russischen Produkte über Schweden oder England zu teuren Preisen erhalten, und die deutschen Erzeugnisse werden über Polen und Litauen nach Russland geschmuggelt werden. Ganz unterdrücken wird man den deutsch-russischen Güteraustausch weder durch aktive noch durch passive Resistenz. Er wird sich immer wieder, wie all die Jahr­hunderte hindurch mit der Kraft eines elementaren, naturnotwen­digen Ereignisses Bahn brechen.

Freilich hängt es jetzt von der Einsicht der europäischen Staatenlenker und unserer eigenen Tat­kraft ab, in welchem Maße die deutsch-russischen Handelsbeziehungen zur Gesundung Deutschlands und Russlands und damit auch ganz Europas beitragen werden. Nichts Besseres kann ich deshalb zum Schluss wünschen, als dass die Worte eines unvoreingenommen klarblickenden Engländers mehr Anklang finden mögen als bisher.

J. M. Keynes schreibt in seinem Buche über „Die wirtschaftlichen Folgen des Friedens vertrag es": „Ich sehe keine Möglichkeit, diesen Verlust an Leistungsfähigkeit (Russlands) in absehbarer Zeit wieder gutzumachen, es sei denn durch Vermittlung deutscher Unternehmung und Organisation. Es ist geographisch und aus vielen anderen Gründen Engländern, Franzosen und Amerikanern unmöglich, das zu leisten. Sie haben weder den Trieb noch die Mittel, die Arbeit in genügendem Umfange zu unternehmen, Deutschland andererseits hat die Erfahrung, den Antrieb und in erheblichem Maße auch die Waren, um den russischen Bauern mit den Gütern zu versorgen, an denen er die letzten fünf Jahre hindurch Mangel gelitten hat, das Verkehrs,- und Lagerungsgeschäft wieder aufzunehmen und so zum allgemeinen Nutzen der Weltwirtschaft die Zufuhren wieder zuzuleiten, von denen wir mit so Verhängnisvollen Folgen abgeschnitten waren. Es liegt in unserem Interesse, den Tag zu beschleunigen, wo deutsche Agenten und Organisatoren in der Lage sein werden, in jedem russischen Dorfe die gewöhnlichen Antriebe wieder in Tätigkeit zu setzen ... Wir wollen also Deutschland ermutigen und unterstützen, seinen Platz in Europa als Schöpfer und Organisator des Reichtums bei seinen östlichen und südlichen Nachbarn wieder einzunehmen."


[bearbeiten]

(1)        Nestors Jahrbücher, deutsche Übersetzung von Scherer, Leipzig 1774, T.4.

(2)        Storch, Heinrich, historisch statistisches Gemälde des russischen Reiches, 3.T., Leipzig 1800, S. 45 ff.

(3)        Waldmann, Der Bernstein im Altertum, Fellin 1883.

(4)        Fischers Geschichte des deutschen Handels, Hannover 1793, I.T., S. 195.

(5)        v. Bremen, Adam, in Lindenborgii Script, rer. german septentr. Hamburg! 1706, Seite 58.

(6)        Storch, T. 4, S. 103 ff.

(7)        Bereshkow, M., Über den Handel Russlands mit der Hansa bis zum Ende des 15. Jahrhundert, St. Petersburg 1879, S. 54 ff. (russisch).

(8)        Herrmann, E., Beiträge zur Geschichte des Russischen Reiches, Leipzig 1843, S. 12—14.

(9)        Riesenkampff, Der deutsche Hof zu Nowgorod, Dorpat 1857, S. 17 ff.

(10)     Storch, T. 4, S. 155.

(11)     Riesenkampff, S. 20.

(12)     Buck, Der deutsche Handel zu Nowgorod, St. Petersburg 1895, S. 2.

(13)     Riesenkampff, S. 100.

(14)     Sartorius-Lappenberg, Urkundliche Geschichte des Ursprungs der deutschen Hanse, Bd. 11, S. 16—27, Bd. 111, S. 200—212. Vgl. auch Behrmann, De scra von Naugarden, Kopenhagen 1828, S. 88 ff.

(15)     Aristow, Das Gewerbewesen Alt-Russlands, Petersburg 1866, S. 201 (russisch).

(16)     Hansisches Urkundenbuch, Nr. 663 und 665.

(17)     Bereshkow, Seite 157.

(18)     Sartorius, Hansisches Urkundenbuch, herausgegeben von Lappenberg, Hamburg 1830. Vergleich auch Bereshkow, Seite 160.

(19)     Volle Sammlung russischer Chroniken, T. 3, Seite 48 (russisch).

(20)     Götz, S. K., Die deutsch-russischen Handelsverträge des Mittelalters, Hamburg 1916.

(21)     Schiemann, Geschichte Russlands.

(22)     Sartorius, Geschichte des Hansischen Bundes, T. 3, Seite 235.

(23)     Winkler, C. K., Die deutsche Hansa in Russland, Seite 71 ff., Seite 106 ff.

(24)     Storch, T. 4, Seite 230.

(25)     Brückner, A., Iwan Possoschkow, Leipzig 1878, Seite 275.

(26)     Storch, T. 5, Seite 229 ff.

(27)     Langenbeck, Geschichte des deutschen Handels seit dem Ausgange des Mittelalters, Leipzig 1918, Seite 25 ff.

(28)     Hirsch, F., Die ersten Anknüpfungen zwischen Brandenburg und Russland unter dem Großen Kurfürsten, Berlin 1885, Seite 4 ff.

(29)     v. Köhne, B., Berlin, Moskau, St. Petersburg 1649-1763 in den Schriften des Vereins für die Geschichte der Stadt Berlin, Heft XX, S. 9.

(30)     Markens, F., Recruit des traites et conventions conclus par la Russie avec les puissances eirangeres T. 5, Nr. 180.

(31)     Kilburger, J. P., Kurzer Unterricht von dem russischen Handel, in Büschings Magazin für die neue Historie und Geografie, Hamburg 1769, T. 3, Seite 317.

(32)     Ssolowjew, Geschichte Russlands, T. 17, Seite 164 (russisch).

(33)     Kilburger, Seite 279.

(34)     Sammlung von Nachrichten zur Geschichte und Statistik des auswärtigen Handels Russlands. Herausgegeben unter der Redaktion von W. J. Pokrowski vom Zolldepartement Petersburg 1902, T. 1, S. XVII (russisch).

(35)     Martens, T. 5, Nr. 181.

(36)     Martens, T. 5, Nr. 185, 186, 189.

(37)     Brückner, S. 290 ff. Ordega, Die Gewerbepolitik Russlands von Peter 1 bis Katharina 11, Tübingen 1885, Seite 18 ff.

(38)     Pokrowski, S. XXIV.

(39)     Martens, T. 5, Nr. 207.

(40)     Martens, T. 6, Nr. 229.

(41)     Storch, T. 5, Seite 442.

(42)     Storch, T. 8, Seite 125.

(43)     Pokrowski, S. XXIX.

(44)     Lodyshenski, Geschichte des russischen Zolltarifes, Petersburg 1886, Seite 158 (russisch).

(45)     Lodyshenski, Seite 163.

(46)     Lodyshenski, Seite 164.

(47)     Witschewsky, Russlands Volkswirtschaft, Berlin 1905, Seite 39.

(48)     Das russische Finanzministerium 1802 - 1902. Petersburg 1902, T. I, Seite 139.

(49)     Lodyshenski, S. 177.

(50)     Freymark, Die Reform der preußischen Handels- und Zollpolitik von 1800  - 1821, Jena 1897, 8. 8 ff.

(51)     Geheimes Staatsarchiv, R. 74, T. XXXVIII, Nr. 58, Vol. 1 b.

(52)     Freymark, Seite 62 - 65.

(53)     Martens, T. 3, Nr. 81.

(54)     Zimmermann, Geschichte der preußisch-deutschen Handelspolitik, Leipzig 1892, Seite 13 - 22, 59 - 64.

(55)     Martens, T. 7, Nr. 297.

(56)     Pokrowski, S. XXV.

(57)     Lodyshenski, Seite 187.

(58)     v. Reden, Das Kaiserreich Russland, Berlin 1843, Seite 39 und 45.

(59)     Zimmermann, Seite 66 ff.

(60)     Martens, T. VIII, Seite 5.

(61)     Zimmermann, Seite 69 ff.

(62)     Das russische Finanzministerium, Seite 143.

(63)     v. Reden, Seite 48 u. 49.

(64)     Zimmermann, Seite 75 ff.

(65)     v. Reden, 3. 50 - 52.

(66)     Krökel, Carl, Das preußisch-deutsche Zolltarifsystem seit 1818, Seite 28 und 29.

(67)     Das russische Finanzministerium, T. 1, Seite 134, 331.

(68)     Witschewsky, Seite 57, 58, 80—85.

(69)     Treitschke, T, 3, Seite 634.

(70)     Krökel, T. 1, Seite 19 ff.

(71)     Pokrowsky, S. XXXI.

(72)     Zimmermann, Seite 85.

(73)     Lodyshenski, Seite 224.

(74)     Krökel, T. 2, Tabellen.

(75)     Zimmermann, Seite 229 ff.

(76)     Martens, T. VIII, Seite 277.

(77)     Martens, T. VIII, Nr. 325.

(78)     v. Reden, Seite 70.

(79)     Zimmermann, Seite 241.

(80)     Des Kaiserreichs auswärtiger Handel in seinen verschiedenen Gestaltungen, Jahrgänge 1840 - 50 (russisch).

(81)     Lodyshensky, Seite 226 - 251.

(82)     Das russische Finanzministerium, T. 1, Seite 327 - 28.

(83)     Das russische Finanzministerium, T. 1, Seite 330.

(84)     Tegoborski, Etudes sur les forces productives de la Russie, Paris 1844, T. IV, Seite 483.

(85)     Tegoborski, T. IV, Seite 489, 490, 499 u. 500.

(86)     Stieda, Wilhelm, Russische Zollpolitik, Schmöllers Jahrbuch 1883, Seite 186.

(87)     Zimmermann, A., Die Handelspolitik des Deutschen Reiches, Berlin 1899, Kapitel 1.

(88)     Krökel, Tabellenwerk.

(89)     Gravenhoff, D., Russlands auswärtiger Handel und der neue Zolltarif, Berlin 1892, Seite 15.

(90)     Das russische Finanzministerium, Seite 544.

(91)     Vesselowsky, A., Tableau du commerce exterieur de la Russie de 1856 - 61, St. Petersburg 1873.

(92)     Weber, W., Der deutsche Zollverein, Leipzig 1871, Seite 466,

(93)     Krökel, S. 49 - 54. / Zimmermann, Seite 218 - 230.

(94)     Das russische Finanzministerium, T. 1, Seite 545.

(95)     Biermer, Die deutsche Handelspolitik im 19.Jahrhundert, Seite 39 - 46.

(96)     Bodenstein, Der deutsche Zolltarif vom Jahrgang 1879, Berlin 1879.

(97)     Das russische Finanzministerium, T. 1, Seite 546 - 547, T. 2, Seite 204 - 214.

(98)     Zusammengestellt nach den allgemeinen Zolltarifen des russischen Kaiserreichs, St. Petersburg.

(99)     Zusammengestellt nach dem deutschen Zolltarif der Jahre 1879, 1885 und 1887.

(100)  Auswärtiger Handel des deutschen Zollgebietes nach Herkunfts- und Bestimmungsländern in den Jahren 1880 - 96, herausgegeben im Reichsamt des Innern, XXIV. Hauptergebnisse.

(101)  Tischert, Georg, 5 Jahre deutscher Handelspolitik, Leipzig 1898, Seite 221 - 231.

(102)  Das russische Finanzministerium, T. II, Seite 231.

(103)  Materialien zur Beurteilung des Entwurfs eines deutsch-russischen Handelsvertrages, herausgegeben im Auftrage von Mitgliedern des Zollbeirates, Berlin 1894.

(104)  Reichstagsdrucksachen der zweiten Session 1893 - 94 Nr. 190, Seite 1008.

(105)  Tischert, Seite 231

(106)  Denkschrift in den Reichstagsdrucksachen der 2. Session 1893 - 94, Seite 1011 ff.

(107)  Internationaler Anzeiger für Zollwesen, 25. Heft.

(108)  Ballod, Die deutsch-russischen Handelsbeziehungen. Schriften des V. f. Sozialpolitik, Jahrgang 1900, Seite 285 ff.

(109)  Der deutsch-russische Handelsvertrag, Referate erst, in der am 19. Febr. 1894 abgehaltene Versammlung der Delegierten d. Zentralverbandes deutscher Industrieller, Berlin 1894.

(110)  Reichstagsanlagen 1903 05, 6a, Ani. 16, Seite 45. Zahlen für 1904, 1905: Statistik des Deutschen Reichs, Band 271, V, Seite 1.

(111)  Humann, Arthur, Der deutsch-russische Handels- und Schifffahrtsvertrag v. 20. März 1894, Schmöllers Jahrbuch 1900, Seite. 55 - 63.

(112)  Die Zahlen der Jahre 1894 - 96 sind genommen aus: Auswärtiger Handel des deutschen Zollgesetzes nach Herkunfts- und Bestimmungsland, herausgegeben im Reichsamt des Innern, Berlin 1898. Für die folgenden Jahre stammen die Zahlen aus der Statistik des Deutschen Reiches, N. F., Band 97, 122, 128, 135, 142, 152, 158, 165 u. 172.

(113)  Mitteilungen und Berichte des Zentralverband deutscher Industrieller Reichstags, Anlagen zu Nr. 373 (A) 1900 - 1902.

(114)  Begründung zu dem Entwürfe eines Zolltarifgesetzes, allgemeiner Teil, Seite 17

(115)  Zweig, E., Die russische Handelspolitik seit 1877, Seite 54.

(116)  Reichstagsanlagen 1903 - 05, Nr. 543, Anlage XVI.

(117)  Reichstagsanlagen 1903 - 05, Nr. 543, Anlage Xlll.

(118)  Reichstagsanlagen 1903 - 05, Nr. 543, Denkschrift.

(119)  Statistik des Deutschen Reiches, Band 182, 190, 197, 232, 242, 252 und 261.

(120)  Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich.

(121)  Übersicht über den auswärtigen Handel Russlands, Petersburg 1913 (russisch).

(122)  Busemann, M., Der Friedensvertrag mit der Ukraine vom 9. Februar 1918, Berlin 1918.



*Siehe Literaturangaben auf Seite 102—105.

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